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Michael Opitz: Wolfgang Hilbig

Michael Opitz: Wolfgang Hilbig

Eine Biografie

S. Fischer

Michael Opitz: Wolfgang Hilbig. S. Fischer 2017. 672 S.

Fünfzig Jahre wird es im kommenden Sommer her sein, dass ein paar junge, unangepasste Literaten auf dem Leipziger Elsterstausee – heute nur noch wildes Gestrüpp – ihre Motorbootlesung zelebrierten. Mit an Bord: ein kräftiger, untersetzter, eigensinniger Bohrwerkdreher, Heizer, Turner und Boxer aus Meuselwitz, der Kleinstadt par excellence. Den Dichter sah man Wolfgang Hilbig nicht an. Innerlich war er aber schon lange auf Kurs: Schriftsteller werden, komme, was da wolle. Doch kein Verlag interessierte sich damals für ihn. Nur die Staatssicherheit.
Ein halbes Jahrhundert später und zehn Jahre nach seinem Tod gehört der Bachmann-, Lessing- und Büchner-Preisträger zumindest im Feuilleton zu den wichtigsten Wortkünstlern der DDR und der BRD. Er lebte in beiden Ländern, beschrieb sowohl ihre mörderische Vorgeschichte als auch ihre harte Gegenwart schonungslos und rettete dabei die Schönheit in der Sprache. Seine Chancen, posthum eine ähnliche Erfolgswelle auszulösen wie weiland der Ost-West-Schreiber Uwe Johnson, sind zwar geringer, weil Hilbig eher Lyriker als Romancier war. Mit der ersten umfassenden Hilbig-Biografie steigen sie aber deutlich. Anhand bekannter, vor allem aber vieler unbekannter Texte breitet der Literaturwissenschaftler Michael Opitz chronologisch ein krasses, fast unwirkliches, faszinierendes Leben vor uns aus, in dem, ganz wie bei Kafka oder Thomas Bernhard, Schreiben zum Überlebensmittel wurde.
Während im Ofen des Heizers Hilbig Kohle zu Asche verging, entstand auf seinem rußgeschwärzten Pausentisch deutsche Kanon-Literatur, geschrieben von dreckigen Arbeiterhänden in fleckige A5-Hefte. Opitz plädiert dafür, ihn, dessen Sprachmächtigkeit der eines Johnson und Grass gleichkommt, heute neu oder wieder zu entdecken. Der Phönix ist zum Abflug bereit. Lesen wir ihn. Sofie Schneider


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