Nino Haratischwili
Das mangelnde Licht. Roman. Frankfurt am Main: Frankfurter Verlagsanstalt 2022. 832 S., 34 €
Nino Haratischwili.
Fotografien, die schmerzhafte Erinnerungen wachrufen, bilden das Gerüst des neuen Romans von Nino Haratischwili. Die Ich-Erzählerin Keto nimmt die Leser während eines Ausstellungsbesuchs mit in ihre georgische Vergangenheit, die von Fremdbestimmung und dem Gefühl des Ausgeliefertseins geprägt ist. Mit ihrem Blick auf die Fotografien geht sie von Wand zu Wand
zurück zu ihrer langjährigen, engen Freundschaft mit den drei Frauen Ira, Nene und Dina. Letztere hat das Leben der vier fotografisch festgehalten. Beim Lesen der Fotografie-Beschreibungen
kommen Assoziationen zur Bildsprache der georgischen Fotografin Dina Oganova auf – gelegentlich auch zu Susan Meiselas Fotoserie »Prince Street Girls«, nur wachsen die Mädchen in Haratischwilis Roman nicht im New York der 1970er auf, sondern in Tiflis während der Perestroika, wo sie mit dem postsowjetischen Chaos in ihrem Heimatland konfrontiert werden. Machtkämpfe,
Bandenkriege und Selbstjustiz bestimmen den Alltag der dort lebenden Familien. Stereotype Männerrollen führen das patriarchale Reglement dieser Welt. Frauen werden wie Trophäen gehandelt und Haratischwili zeigt anhand der vier im Zentrum stehenden Freundinnen
unterschiedliche Reaktionen auf die Mechanismen dieser Unterdrückung. Leider wird das Potenzial der Figuren in dem Roman sprachlich erdrückt. Keine Geste, keine Regung darf für sich stehen und Raum für Interpretationen lassen. Viele Szenen wirken theatralisch übertrieben,
aufgetakelt oder auch »pudrig« (um es mit einem Lieblingswort der Autorin auszudrücken) und gleiten so ins klischeehaft Überfrachtete ab. Starke Gefühle wie Verzweiflung, Wut und Hingabe werden in dicke Wortwolken gepackt, die sich über den Lesern entladen. Wenn der Regen nicht so dicht fallen würde, könnte man sich zwischen den Tropfen noch bewegen. Hanna Schneck