Oleg Senzow
Haft. Aus dem Russischen von Claudia Dathe. Berlin und Dresden: Voland & Quist 2021. 432 S., 26 €
Oleg Senzow.
145 Tage lang war der ukrainische Regisseur und Maidan-Aktivist Oleg Senzow im Hungerstreik. In dieser Zeit hat er Tagebuch und Kurzgeschichten geschrieben. 337 Seiten lang folgt man ihm bei seinen Analysen über Fußball, Literatur und Film sowie bei der detaillierten Beschreibung des russischen Strafvollzugssystems. Immer mit dem Bewusstsein, dass jeder weitere Tag einer ist, an dem Senzow dem Tod ein Stück näher rückt. Und auf ebendiesem Untergrund sticht jener Satz in seiner Schlichtheit hervor: »Ich war verwundert, als ich von meinem Anwalt hörte, dass nicht der ukrainische Staat die Kosten für seine Reisen und Honorare zahlt, sondern dass russische Regisseure zusammenlegen.« Eine Erkenntnis, die Oleg Senzow am vierzigsten Tag seines Hungerstreiks ereilt. Ein Staat, für den er letztlich auf der Krim und am Maidan gekämpft hat, zahlt nicht einmal die Reisekosten seines Anwalts. Man ist versucht zu glauben, dies könnte ein Wendepunkt im Denken, eine Abkehr von seiner Haltung bewirken. Aber es gibt keine Wendepunkte in den 145 Hungerstreiktagen, nur ein Festhalten an einem Vorhaben, das im Kern die Freilassung ukrainischer politischer Gefangener zum Ziel hat. Und wahrscheinlich ist es auch nicht möglich, nachdem einmal ein solcher Entschluss gefasst wurde, sich ohne Weiteres davon zu lösen. Die Umsetzung fordert ja die gesamte Kraft. Eindringlich und roh sind die Beschreibungen
des Haftalltags in der russischen Strafkolonie »Eisbär« in Labytnangi am Polarkreis. Man kommt nicht umhin, Bewunderung allein für die konsequent geführten Tagebucheinträge zu empfinden, wirkt sich doch die vollkommene Absenz von Nahrung auch stark auf das psychische Befinden aus. In jedem Fall ein eindringliches Kapitel Widerstandsliteratur, das sich allein aufgrund seiner Vielschichtigkeit zu lesen lohnt. Kaśka Bryla