Patrick Hofmann. 288 S.
Schlachttag ist Feiertag. Dies ist ehernes Gesetz im Leben einer jeden bäuerlichen Sippe. Nicht so in Muckau im Jahre 1992: Im Braunkohleabbaugebiet südlich von Leipzig soll nämlich die letzte Sau des Schlegelschen Hofes geschlachtet werden, bevor die Raupen und Zahnradbagger anrücken und Muckau samt Hof dem Erdboden gleich machen werden. Zur finalen Schlachtung findet sich die gesamte Schlegel-Sippe auf dem Hof ein - aus einer solchen Konstellation ergeben sich naturgemäß sowohl eine ausgemachte Stimmenvielfalt als auch jede Menge generationenübergreifendes Konfliktpotential. Folgerichtig kommen nicht nur innerfamiliäre Animositäten auf den Verhandlungstisch, sondern auch ein knappes Jahrhundert deutscher Geschichte inklusive der unmittelbar zurückliegenden realsozialistischen Epoche.In seinem Debüt »Die letzte Sau« nimmt Patrick Hofmann das Thema Schlachtung als Ausgangspunkt, um in historische und gesellschaftliche Weiten auszuschwärmen. Doch »Die letzte Sau« ist alles andere als ein Akademikerroman mit Blutwurstgarnitur. Hofmanns beeindruckendste Leistung liegt in der Darstellung der Großfamilie: Anfangs überfordert die sich daraus ergebende Vielstimmigkeit vielleicht, und als weiteres Hindernis kommt der Dialekt des Leipziger Landes hinzu, in dem viele Dialoge abgefasst sind. Doch bald ist klar, wer mit wem auf welche Weise verwandt ist und wer gerade das Wort führt, und schließlich möchte man diese pralle Welt gar nicht mehr verlassen. Hofmann gelingt es, eine absolut authentische Atmosphäre herzustellen: Der Leser sitzt gemeinsam mit Schlegels in der Wohnküche und beißt ins Blutwurstbrot. Zwischen Schlachtung und Verzehr bleibt nur selten Zeit für Sentimentalitäten, und das, obwohl nicht nur die Sau in Auflösung begriffen ist, sondern sich im Laufe des Romans auch ganze Werte- und Gesellschaftssysteme auflösen, ja, sich schlussendlich sogar die Frage stellt, ob nicht die ganze Welt auf bröckeligem Braunkohleflöz ruht und der Zerfall der unvermeidliche Lauf der Dinge ist. Aber was soll‹s. Hauptsache, das Schwein schmeckt.