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Pavel Polian (Hg.): Briefe aus der Hölle / Daan Heerma van Voss: Eine verspätete Reise

Pavel Polian (Hg.): Briefe aus der Hölle / Daan Heerma van Voss: Eine verspätete Reise

Pavel Polian (Hg.): Briefe aus der Hölle / Daan Heerma van Voss: Eine verspätete Reise. 632 S.

Der Autor Daan Heerma van Voss schlägt seinem Namensvetter und Freund Daan de Jong 2001 vor, mit ihm nach Auschwitz zu reisen, um dessen Familie zu gedenken. Die Reise wird nie so stattfinden, denn de Jong verstirbt und van Voss macht sich ein Jahr später ohne ihn auf den Weg. In seiner Reportage beschreibt der junge Schriftsteller nicht nur diese Fahrt und das Leben des Freundes, er denkt auch nach über Auschwitz als Touristenattraktion und fragt sich, wie Gedenken heute funktionieren kann. »Das Bedürfnis, originell zu sein, ist in Auschwitz eine Form von Größenwahnsinn.« Ergänzt wird der darum schmale und stille Band durch van Voss’ Rede vom 4. Mai 2018 in Amsterdam anlässlich der Gedenkfeier für die Toten des Zweiten Weltkriegs. Damit liefert er einen wichtigen Beitrag zur Frage der Erinnerung angesichts des Fortschreitens der Zeit und des Vergessens, denn »Geschichte braucht ein Gesicht, (…) eine Stimme, sonst bleibt sie unbegreiflich und abstrakt. Und etwas Abstraktem kann man nicht gedenken.« Die Gesichter der Geschichte verschwinden mit den letzten Zeitzeugen. Aber ihre Stimmen bleiben. So zum Beispiel in dem 2019 erschienenen Band des Historikers Pavel Polian, der die neun erhaltenen Aufzeichnungen des jüdischen Sonderkommandos in deutscher Übersetzung versammelt und kommentiert herausgegeben hat. Ergänzt werden die Berichte durch russische Militärdokumente über die Befreiung von Auschwitz und die Aussagen überlebender Angehöriger der Häftlinge, die gezwungen wurden, bei den Massenmorden mitzuhelfen. Jeder der Texte ist anders verstörend, anders ergreifend. Die detaillierten Recherchen zum Leben der Männer »davor« helfen, sie wieder Mensch werden zu lassen, unterstreichen das Bestreben der Verschriftlichung: »Damit mein verdammtes Leben einen Sinn und meine Tage in der Hölle, mein hoffnungsloses Morgen ein Ziel in der Zukunft erhält. (…) Dich aber, du unbekannter freier Weltbürger, bitte ich: Weine um meine Angehörigen«. Mit dieser Bitte sind wir alle angesprochen. Linn Penelope Micklitz


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