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Realitäten

Realitäten

30 queere Stimmen. Berlin: Etece-Buch 2022. 187 S., 20 €

Realitäten.

Das Wort »queer« hat eine schnelle Entwicklung erfahren. Ursprünglich war es im englischsprachigen Raum eine Beleidigung für homosexuelle Menschen, aber ab den neunziger Jahren wurde es als Kampfbegriff und Konzept der Gender-Studies verwendet. Heutzutage ist es ein Sammelbegriff für Menschen, die nicht der Heteronormativität entsprechend leben, und es taucht mittlerweile sogar in Werbung und Social Media auf. Ist es also noch nötig, über queere Themen zu reden? Die Antwort auf diese Frage findet sich in »Realitäten«, dem neuen Sammelband des Verlagskollektivs Etece-Buch. Dreißig größtenteils nicht binäre Autor*innen schildern darin verschiedene Aspekte der queeren Community und sprechen über ihre Lebensrealität. Neben der deutschen bilden viele andere Sprachen den Gegenstand der Texte, darunter Lyrik und Prosa, aber überwiegend Essays. Es zeigt sich im Laufe des Bands, wie sich durch Wörter Gewalt präsentiert und repräsentiert: Viele der Autor*innen verbinden linguistische Überlegungen mit Bezügen zu ihrer eigenen Lebensrealität und erzählen, wie es von verbalen Übergriffen zu physischen kommt. Es entsteht eine neue queere Grammatik, die für die Lesenden wie eine Reizüberflutung wirken kann. Es handelt sich aber um eine positive Irritation, denn am Ende des Buches hat man das Gefühl, näher an der Realität zu sein, in der wir alle leben. »Realitäten« zeigt, dass selbst im Jahr 2022 queere Menschen in Europa nicht sicher und nicht sichtbar sind, dass man über queere Belange noch reden muss und dass der Weg in Richtung einer diskriminierungsfreien Welt noch sehr lang ist. Aber dieser Meilenstein der deutschsprachigen Literatur ist auf jeden Fall ein guter Wegweiser. Giorgio Ferretti


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