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Rehzi Malzahn (Hg.): Strafe und Gefängnis

Rehzi Malzahn (Hg.): Strafe und Gefängnis

Rehzi Malzahn (Hg.): Strafe und Gefängnis. 267 S.

»Strafe ist Gewalt«, stellt die Einleitung im ersten Satz nüchtern fest. Diese Aussage steht auch im Zentrum des Sammelbands, der sich kritisch mit dem Komplex und der Logik von »Strafe und Gefängnis« auseinandersetzt. Strafe ist notwendig gewaltförmig, weil sie Hierarchien etabliert: Auf der einen Seite steht die bestrafende Gesellschaft, auf der anderen der Bestrafte. Aber muss Strafe überhaupt sein? In vielen Fällen nicht, das ist die Grundthese der versammelten Texte. Das bedeutet nicht, dass Verfehlungen und Verbrechen keine Konsequenzen nach sich ziehen dürfen. Aber Maßnahmen, die auf soziale Wiedereingliederung zielen, auf Aussprache und Einsicht bei den Tätern, könnten in vielen Fällen die bessere Wahl sein, lautet der Tenor. So wird im Praxisteil zum Beispiel die Methode der Restorative Justice vorgestellt, bei der Konflikte durch kollektive Mediation und Wiedergutmachungsmaßnahmen gelöst werden sollen. Natürlich wird auch erörtert, wie man mit den wirklich gefährlichen Menschen umgehen könnte, die man keinesfalls auf die Gesellschaft loslassen kann; denn naiv sind die Autorinnen nicht. Die Texte enthalten keine abgeschlossenen Urteile, sondern werden als Versuche verstanden, das Strafwesen und damit auch Gesellschaft anders zu denken. Und sie korrigieren auch die medial eingeübte Vorstellung, dass die Welt voller psychopathischer Massenmörder ist. Dieses verstellte Bild bedarf der Aufklärung, wozu diese Texte dienen. Die vorangestellten theoretischen Überlegungen sind noch grundsätzlicher Art. Denn sie zeigen, wie eine auf Strafe als, ja: Herrschaftsinstrument basierende Gesellschaft permanent auf Ausschlussproduktion gestellt ist. Die Konstruktion von Kriminalität schafft eben auch Delinquenten. Muss Schwarzfahren mit Gefängnis geahndet werden oder könnte man nicht besser einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr einrichten? Beides wären Maßnahmen, um dem Delikt zu begegnen. Und dass Knast die Menschen nicht unbedingt bessert, die Gesellschaft außer Sühnegelüst nichts davon hat, wenn sie wieder entlassen werden, ist bekannt. Andere Texte handeln von der Schuld-Schulden-Verbindung, also wie sehr die Strafidee mit einer ökonomischen Vorstellung verquickt ist, oder betrachten das Gefängnisinnenleben und das Thema politische versus andere Gefangene. Am Thema Strafvollzug arbeitet sich Thomas Galli mit der Konzentration auf Geflüchtete ab. In »Knast oder Heimat?« versammelt der Jurist und Kriminologe als Prosa verdichtete Erlebnisberichte von Menschen, deren Hoffnung auf Asyl mit der Haft endet. Es sind verschiedene Situationen, von Fremd- und Selbstverschulden wird erzählt, nicht pauschal geurteilt, sondern erst einmal genau hingesehen. Dabei rückt die Figur des »kriminellen Flüchtlings«, die die meisten Menschen nur als Abziehbild kennen, in einen differenzierten Blick. »Geflüchtete Menschen werden symbolisch überfrachtet«: Sie seien entweder Sündenböcke oder Heilige. Beides werde ihnen als Menschen, die sie sind, nicht gerecht. Der Autor verharmlost nicht, aber stellt sich und den Lesenden Fragen. Zum Beispiel, ob man in vielen Fällen nicht bessere Mittel zur Hand hätte, als Menschen wegzusperren. So ergibt sich aus den Einzelbildern ein analytisches Mosaik auf den Gefängniskomplex. Beide Bücher ergeben zusammen eine umfangreiche Einführung ins Thema. Tobias Prüwer


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