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Sascha Kokot: Ferner

Sascha Kokot: Ferner

Sascha Kokot: Ferner. 88 S.

War da was? – »hier muss der Winter hindurchgegangen sein / so ausgedünnt die Astnester / hält sich kein Wind mehr darin«. Auch in Sascha Kokots neuem Gedichtband »Ferner« gibt die große Unbehaustheit des längst schon Verlassenen, sich selbst halb schon Vergessenden den Ton an: Der Leipziger Lyriker entzieht den Dingen ihre letzte Wärme – und gibt sie ihnen dadurch zurück. Wie schon im Vorgängerband »Rodung« (Edition Azur 2013) verschafft Kokot in seinen neuen, zumeist titellosen Gedichten einem existenziellen Ausgesetztsein Raum, einem Hineingehaltensein in die Geschichte, das sich nun allerdings gar nicht mehr so klar verorten lässt, keinem bestimmten Landstrich zuzuordnen ist wie etwa dem altmärkisch-anhaltischen, aus dem er stammt, sondern wuchernd, postapokalyptisch um sich greift. Schon die Kapitelüberschriften zeigen an, in welche Grenzregionen sich Kokot dabei vorwagt: »Drift«, »Transit«, »Graphen«, »Schären« und »Filament«. Da gerät man Hals über Kopf in den Sog einer weltumspannenden, kosmologischen Bewegung, die sich im unaufhaltsamen Vordringen großer, eisblauer, sich lautlos vorbeischiebender Gletscher genauso konkretisiert wie in den entlebten, von permanenter nächtlicher Unruhe zermürbten städtischen Rand- und Durchgangszonen: Orte anwesender Abwesenheit. Es sind immer wieder die Orte in »Ferner«, die vom Sichentziehenden erzählen, die aber nichtsdestoweniger bleiben, obwohl es zunehmend trüber wird; da wird viel geschwiegen, umhergeblickt. Und in stummer Zwiesprache mit sich selbst – Fenster angekippt, spaltbreit zur Straße, schmales Zimmer, falsches Furnier – formiert sich die Frage: »wann fing es an dass ich / mich nicht mehr nähern konnte«. Ein schneller, gerader Stich und man ist getroffen, sieht sich noch einmal um, taumelt weiter, im Wissen, dass Nähe noch nie etwas anderes war als ihr eigener Entzug: »wir können nur verharren und die Aussicht genießen / auf die Unruhe in den Steinen«. Sascha Kokots Gedichte sind elementare Gewalten, die sich beim Lesen gletscherzungenartig tief eingraben und eine gespenstische Leere hinterlassen. Peter Neumann


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