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Sjón: CoDex 1962

Sjón: CoDex 1962

Sjón: CoDex 1962. 640 S.

Während des Zweiten Weltkriegs erschafft ein aus dem KZ entflohener Prager Jude in einer norddeutschen Kleinstadt ein Kind aus Lehm, das später auf Island aufwächst, wo kriminelle Briefmarkenhändler, die sich bei Vollmond in Werwölfe verwandeln, ihr Wesen treiben, während sinistre Gentechniker Mutanten in die Welt setzen. Dazwischen sind immer wieder Märchen und Theaterszenen eingeschaltet, werden Ereignisse aus der isländischen Geschichte, Episoden und Figuren der Saga-Literatur heraufbeschworen; auch Tarantino-Fans kommen auf ihre Kosten. Auf Schritt und Tritt stoßen wir auf weltliterarische oder popkulturelle Anspielungen und Zitate. Aber damit wäre »CoDex 1962«, der überaus vielschichtige, abschweifende, verschlungene Roman des isländischen Star-Schriftstellers Sjón, nur sehr unzulänglich nacherzählt. Übrigens haben wir es mit drei Romanen zu tun, die Sjón 1994, 2001 und 2016 geschrieben und nun zu einem unendlich komplexen, genialischen Opus magnum zusammengeführt hat. Sjón kennt alles, kann alles – und versäumt keine Gelegenheit, das auch zu zeigen. Was ist dagegen zu sagen? Dieser Eklektizismus, das Spiel mit der Tradition – der ganze Zinnober gehört doch nun einmal zu einem postmodernen Roman! Ja, ganz recht. Nur eines hat »CoDex 1962« nicht zu bieten: Humor und Ironie. Sie hätten den Roman vielleicht vor dem Odium seelenloser Artistik bewahrt, das ihm leider anhaftet. So aber drängt sich im Laufe der Lektüre immer mehr der Verdacht auf, nicht so sehr unbändige Erzähllust habe Sjón beim Schreiben angetrieben als ein gnadenloser Wille zur Genialität. Olaf Schmidt


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