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Thomas Frenzel (Hg.): Breitkopf & Härtel

Thomas Frenzel (Hg.): Breitkopf & Härtel

Thomas Frenzel (Hg.): Breitkopf & Härtel. 504 S.

Zum großen Jubiläum hat sich der älteste Musikverlag der Welt, der heute an seinem Gründungsort Leipzig noch einen Nebensitz hat, einen prachtvollen Bildband selbst zum Geschenk gemacht: »Breitkopf & Härtel – 300 Jahre europäische Musik- und Kulturgeschichte«. Auch wenn der Titel reichlich unbescheiden klingt: Unter anderem mit den Gesamtausgaben der Werke Johann Sebastian Bachs, Händels, Mozarts, Schuberts, die der Verlag seit Mitte des 19. Jahrhunderts herausgibt, hat er sich unauslöschlich in die Musik- und damit auch Kulturgeschichte eingeschrieben. Gerade darum aber hätte es dem Haus gut gestanden, seine Geschichte von unabhängigen Historikern aufarbeiten zu lassen, anstatt sich hemmungslos in Eigenlob zu ergehen. Gewiss, das Verlagsarchiv in Leipzig böte mit mehr als dreihundert Regalmetern ganzen Heerscharen von Buchhistorikern für Jahre Beschäftigung. »Wer soll die Fülle an Material ordnen und wie dabei vorgehen?«, fragen die beiden Verlagschefs zu Anfang ihrer »Begrüßung« – und beantworten die Frage gleich selbst: »Warum in der Ferne (nach einem Autor) suchen, wo das Gute so nah liegt?« So wurde Thomas Frenzel, langjähriger Lektor des Verlags, mit der Chronik betraut. Bei allem Fleiß und aller Sachkenntnis (beides sei Frenzel fraglos zugestanden) konnte dabei natürlich kein seriöses Geschichtswerk herauskommen, sondern (das geben die Herausgeber auch unumwunden zu) bloß ein »Lese- und Bilderbuch«. Und das bringt so manche Fragwürdigkeit mit sich. »Unbedingt«, heißt es weiter in der Einführung, »musste dem Impuls widerstanden werden, sich dem letzten Jahrhundert der Verlagsgeschichte zuungunsten anderer Abschnitte der Historie besonders ausführlich zu widmen: Hier galt es abzuwägen zwischen dem Umstand, dass bisherige Jubiläumsveröffentlichungen die Behandlung jüngstvergangener Firmenereignisse naturgemäß noch nicht leisten konnten, und der Gefahr, die Geschehnisse im ›Dritten Reich‹, in der Nachkriegszeit (…) ungebührlich in den Vordergrund zu rücken«. Nun, jenem gefährlichen Impuls haben die Macher des Bandes wirklich bravourös widerstanden. Auch der »Gefahr«, die Geschehnisse im Dritten Reich »ungebührlich in den Vordergrund zu rücken«, sind sie glücklich entronnen. Es ist nämlich nur sehr knapp und an unauffälliger Stelle davon die Rede. Die Schwierigkeiten, unter Kriegsbedingungen weiterzuarbeiten, die Zerstörung der Verlagsgebäude in der schrecklichen Bombennacht 1943, als das Grafische Viertel und damit die Buchstadt Leipzig in Trümmer sank, finden breite Erwähnung. Dass Verlagsleiter Hellmuth von Hase 1936 dem »Reichskulturwalter« Hans Hinkel nahelegte, die Rechte des traditionsreichen Musikverlags Edition Peters an Breitkopf & Härtel zu übertragen, wird zwar nicht übergangen, zugleich aber dieser infame Versuch einer Übernahme des Konkurrenten nicht gerade an die große Glocke gehängt. Ein weiteres Problem eines solchen »Lese- und Bilderbuchs« besteht darin, dass der Leser in dem ganzen Sammelsurium ziemlich allein gelassen wird. So stößt er beispielsweise auf Seite 368 auf die Einleitung zu einer Neuausgabe von Richard Wagners antisemitischem Aufsatz »Das Judenthum in der Musik« von 1939, in dem das fatale Machwerk als »völkische Bekenntnisschrift und seherische Mahnung und Warnung« bejubelt wird. Es gibt keinerlei Zuordnung oder Kommentierung. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Breitkopf & Härtels Verdienste und Bedeutung bleiben unbestritten; auch verschweigt der Verlag seine Verstrickung im Dritten Reich nicht geradezu. Aber man scheut doch letzten Endes davor zurück, sich der eigenen jüngeren Vergangenheit zu stellen. Das ist bedauerlich. Olaf Schmidt


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