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Tom David Uhlig et al.: Extrem unbrauchbar / Bernard E. Harcourt: Gegenrevolution / Jutta Ditfurth: Haltung und Widerstand

Tom David Uhlig et al.: Extrem unbrauchbar / Bernard E. Harcourt: Gegenrevolution / Jutta Ditfurth: Haltung und Widerstand

2019. 304 S., 19 € / Bernard E. Harcourt: Gegenrevolution –

Tom David Uhlig et al.: Extrem unbrauchbar / Bernard E. Harcourt: Gegenrevolution / Jutta Ditfurth: Haltung und Widerstand. 2019. 304 S. 19 € / Bernard E. Harcourt: Gegenrevolution – 2019. 304 S.

»Wer noch überleben will, verliere keine Zeit, / Mut zur Tat für Jedermann, dann endet dieser Streit.« Selten waren die Zeiten für Skeptiker bestehender Verhältnisse schlechter bestellt als gegenwärtig. Rund 500 flüchtige Nazis werden mit Haftbefehl gesucht, die nazistische Gewalt bis hin zum Mord nimmt zu. Währenddessen scheint es einem CDU-Politiker gar am Holocaust-Gedenktag legitim, auf den Antisemitismus »vor allem unter Muslimen« hinzuweisen und deutsche Schuld zu relativieren. Und ein paar Randalierer werden vom Ministerpräsidenten höchstselbst zum »Terror von links« etikettiert. Was tun? Hinsehen, aufklären, widerstreiten. Exit Hufeisen: Die unselige Extremismustheorie, die Gleichsetzung von rechts und links, hält sich noch immer in der Öffentlichkeit. Dabei sollte sich herumgesprochen haben, dass die Wissenschaft sie als »extrem unbrauchbar« ablehnt. Da kommt gleichnamiges Buch zur rechten Zeit, auch wenn wenig Neues drinsteht: Die Gleichsetzung verharmlost die Gefahr durch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Außerdem ist die Grundannahme einer gesellschaftlichen Mitte, die neutral oder politischer Normalmaßstab ist, nicht überzeugend, auch wenn alle davon reden. Das kann man schon lange wissen, weshalb es unverständlich ist, warum ein Vorgängerwerk wie »Ordnung.Macht.Extremismus« des Leipziger Forums für kritische Rechtsextremismusforschung als Referenz fehlt. Wer sich noch nicht mit der Materie auskennt, wird hier jedenfalls bedient. Anleitung zum Bürgerkrieg: »25 Menschen verloren Augen, fünf Hände, Hunderte wurden schwer verletzt. Die meisten Opfer sind Demonstrierende, aber … auch mehr als hundert Journalisten, 46 Minderjährige und 70 Passantinnen, die von einem Schlagstock, einer Granate oder einem Gummigeschoss getroffen wurden.« Die Statistik über die Polizeigewalt gegenüber den Gelbwestenprotesten in Frankreich schockiert (Stand: 12/2019, Quelle: Die Zeit). Sie ist ein weiterer Hinweis darauf, ­wie die Staaten die Militarisierung der Polizei vorantreiben. Auch in Deutschland ist der freundliche Helfer längst nicht mehr das Idealbild, das die Politik vom Cop hat. Den »Kampf der Regierungen gegen die eigenen Bürger« hat Bernard E. Harcourt am Beispiel der USA analysiert. Die Techniken der Aufstandsbekämpfung, die die Kolonialmächte einst gegenüber den Kolonisierten entwickelten, sind zum ­festen Repertoire des Polizeiapparats im Innern geworden. Schwer gepanzerte Kräfte mit ­Maschinengewehren und Panzern etwa ­begleiteten Demonstrationen von »Black Lives Matters«. Harcourt zeichnet die historische Genese verständlich nach, wie diese Logik Teil der Innenpolitik wurde. Es ist das Hauptziel der Aufstandsbekämpfung, eine passive Mehrheit bei der Stange zu halten, indem die kleine Gruppe der Protestierenden in Schach gehalten wird. Harcourt nennt als Grundsätze: »Erlange totale Informiertheit«, »Vernichte die aktive Minderheit« und »Erlange die Gefolgschaft der Gesamtbevölkerung«. Er rät dazu, die Zahl der Unbequemen zu ­vergrößern. »Haltung und Widerstand« empfiehlt ebenfalls Jutta Ditfurth. In ihren hellsichtigen Kapiteln ist zu erfahren, wie die fortschrittliche Seite der Gesellschaft in Deutschland geschwächt wurde, die alte und die vermeintlich neue Rechte wieder erstarkten. Ditfurth bleibt aber hier nicht stehen, sondern zeigt, wie tief völkisches Bewusstsein in der Gesamtbevölkerung wurzelt. Sie nimmt Kritisches bei den Umwelt- und Friedensbewegungen in den Blick, etwa die inhumane Botschaft, die sie in der Agenda bei Gruppen wie Extinction Rebellion sieht: Das grüne Bewusstsein befürwortet Menschenfeindlichkeit und weil es zu viele von uns gäbe, wäre es Zeit für die Selektion. Dem Antizionismus, oft genug Tarnung für Antisemitismus, ist ein Kapitel gewidmet, genauso wie den Motoren, die den deutschen Nationalchauvinismus angetrieben haben und antreiben, etwa die falsche Rede vom »Partypatriotismus«. Man erfährt von der erfahrenen Aktivistin aber auch von historischen Kämpfen – es waren auch Siege darunter –, die ­ermutigen sollen. Letztlich, so Ditfurth, bleibt es bei einem trotzigen Trotzalledem: »Haltung ist kritisches Bewusstsein, Verweigerung des Mitmachens und politische Haltung. Widerstand ist aus politischem Bewusstsein gespeiste Handlung, die Risiken eingeht und der das Kämpfen folgt.«  Tobias Prüwer


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