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Ulrich Schacht: Notre Dame

Ulrich Schacht: Notre Dame

Ulrich Schacht: Notre Dame. 431 S.

»Nichts weniger als eine weitgefasste Sprach-Kathedrale« nennt Egon Ammann Ulrich Schachts neuen Roman »Notre Dame« auf dem Schutzumschlag. – Na ja, denkt man, passt ja irgendwie zum Titel. Schacht erzählt rückblickend von einer großen Liebe, die an ihren zu hohen Ansprüchen scheitert. Mit Paris als einem der Schauplätze kann man dabei eigentlich nix mehr falsch machen – erinnert sei an Georges Simenon oder Woody Allen. Dagegen wirkt Schachts opulenter Roman seltsam aufgebläht. »Notre Dame« ist nämlich auch eine Ost-West-Geschichte: Journalist aus Hamburg mit DDR-Vergangenheit, inklusive Stasi-Knast, verliebt sich just im heißen Herbst 1989 in Leipziger Studentin. Torben Berg hat Frau und Tochter, Rike einen Freund. Das macht die Sache kompliziert, gehört aber zum Inventar solcher Geschichten. Mauerfall und deutsche Wiedervereinigung bilden den Zeithorizont. Stellenweise liest sich das allerdings wie aus den Materialien der Bundeszentrale für politische Bildung zitiert. Ob Berg als Journalist unterwegs ist oder mit Rike im Bett liegt, immer muss er dozieren, kommentieren, bewerten. Und wenn sie einander Briefe schreiben – sie machen den Löwenanteil der Liaison aus –, wirds auch mal lyrisch, denn Berg versteht sich in erster Linie als Dichter. Doch auch als Kunstexperte (Mona Lisa!) und Tourist (Eiffelturm!) ist er von unerschütterlichem Sendungsbewusstsein beseelt. Im Nobelrestaurant zeigt der Mann von Welt dem Zonenmädel, wie man Austern schlürft. In der Zwischenzeit bricht die Sowjetunion auseinander, wenig später auch die Liebschaft. Bergs anschließende Alleinreise nach Paris bildet sowohl den erzählerischen Rahmen als auch die Überleitung zwischen den erinnerten Passagen. Summa summarum ein arg verschachteltes Konstrukt, das sich sprachlich oft an der Grenze zum Trivialen bewegt: »Ob das Rauschen des Meeres nicht vielleicht doch die wahre Stimme Gottes war?!« Zum Glück weiß Torben Berg wenigstens darauf keine Antwort. Thomas Böhme


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