anzeige
anzeige
Ulrike Draesner

Ulrike Draesner

Katz und Maus - Ulrike Draesner entwirft in ihrem neuen Roman »Vorliebe« ein Liebes- und Leidensversteckspiel

Ulrike Draesner. 256 S.

Der Stoff ist nicht neu und die Faszination nicht gleich greifbar. Zunächst muss man sich einlesen in den spröden, eigenwilligen Tonfall von »Vorliebe«, dem neuen Roman von Ulrike Draesner. Doch nach und nach entwickelt sich der Sog um Draesners Hauptfigur, die Astrophysikerin Harriet. Seit vierzehn Jahren lebt Harriet zusammen mit Ash und dessen Sohn Ben in Berlin. Die Harmonie ist perfekt, bis Ash eine Radfahrerin anfährt, die sich kurz darauf als die Frau von Harriets großer Jugendliebe Peter herausstellt. Zunächst treffen Harriet und Peter sich nur im Krankenhaus, doch bald entwickelt sich aus dem Wiedersehen eine Affäre, die den Ehepartnern nicht lange verborgen bleibt. Vielleicht war sie auch von Anfang an vorprogrammiert - so richtig scheint sich das keiner der vier eingestehen zu wollen, zumindest spielen sie alle miteinander ein wenig Katz und Maus.Ulrike Draesner entwirft in ihrem vierten Roman ein Kammerspiel, wie es bedrückender kaum sein könnte. Die Figuren versuchen, ihre Motivationen und Handlungen zu verbergen, und machen sie gerade dadurch besonders deutlich. Die Autorin stellt dieses Versteckspiel in einer sehr präzisen, beobachtenden Sprache dar, die auf dem schmalen Grat zwischen herber Lakonik und lyrischer Feinfühligkeit balanciert. Sämtliche Figuren entfernen sich immer weiter voneinander: »Während sie den Stimmen der beiden Männer lauschte, spürte sie mit Freude und Wehmut, wo Ash in ihr verwurzelt war, tief, aber deutlich abgegrenzt.« Doch gerade durch diese Distanz zueinander vermittelt sich die Sehnsucht der Figuren nach einem anderen, einem erfüllteren Leben. Die unausgesprochenen Wahrheiten und die Isolation, die durch die Vertrauensbrüche entstehen, hinterlassen eine seltsame Beklemmung. Draesner beschreibt einen Zustand, der noch nicht oder nicht mehr Liebe ist: eine Art Vor-Liebe. Und von dieser Beschreibung geht eine fesselnde wie verstörende Zugkraft aus. Jonathan Bohm


Weitere Empfehlungen