Violette Leduc
Thérèse und Isabelle. Aus dem Französischen von Sina de Malafosse. Berlin: Aufbau 2021. 169 S., 20 €
Thérèse und Isabelle
Jeder Tag könnte der letzte sein im Internat irgendwo in Frankreich, wo Thérèse von ihrer Mutter »geparkt« wurde. Gemeinsam mit den anderen Mädchen putzt die Jugendliche Schuhe, isst in der Aula zu Abend und besucht den Unterricht, bis eines Nachts Isabelle an ihr Bett tritt. Innerhalb kürzester Zeit wird aus den beiden ein geheimes Liebespaar.
»Thérèse und Isabelle« war eigentlich Teil eines größeren Romanprojektes, an dem Violette Leduc ab 1948 schrieb. Weil ihr Verleger bei Gallimard jedoch die Zensur fürchtete, ob der expliziten Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen, musste Leduc das Manuskript mehrfach überarbeiten; in seiner ursprünglichen Fassung konnte ihr Buch erst Jahrzehnte nach seiner Erstveröffentlichung erscheinen. Dabei war Leduc bereits zu Lebzeiten eine von ihren Kolleginnen bewunderte Autorin. Existenzialisten wie Camus schätzten sie für ihre Sprachgewalt, mit Simone de Beauvoir hatte sie nicht nur eine Affäre, sondern in ihr auch eine wichtige Fürsprecherin. Heute, viele Jahre nach den Skandalen, besticht »Thérèse und Isabelle« vor allem durch die seitenlangen Beschreibungen einer jungen Liebe. Als Autorin scheute sich Leduc nicht vor konkreten Beschreibungen von Sexualität, vom gegenseitigen, unerfahrenen Erkunden der Körper. Gleichzeitig liegt die Stärke ihres Textes in den Metaphern, die in langen Aneinanderreihungen für Liebe und Lust gefunden werden. Sie bilden die Bandbreite des Begehrens ab, die Freude genauso wie die Angst, die geliebte Person wieder zu verlieren, die Zärtlichkeit ebenso wie die Gewalt, die in der Leidenschaft steckt. Hin und wieder sitzt ein Bild nicht ganz richtig, spürt man den Überschwang einer noch jungen Schriftstellerin. Insgesamt überzeugt Leducs Geschichte jedoch als ein Text, in den die Lesenden eintauchen können und dessen dichte Sprache dazu einlädt, sich zu verlieren. Josef Braun