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Kultur

Der Dichter hat das Wort

Ingo Schulze hält die erste Leipziger Poetikvorlesung

  Der Dichter hat das Wort | Ingo Schulze hält die erste Leipziger Poetikvorlesung

Nachdem alle wichtigen Schriftstellerin-nen nach Brandenburg ausgewandert sind, strengt Leipzig sich ungeheuer an, literarisch nicht tot zu sein. Ein bedeutender Schritt in Richtung Wiederauferstehung wird am 31. Oktober getan:

Nachdem alle wichtigen Schriftstellerin-nen nach Brandenburg ausgewandert sind, strengt Leipzig sich ungeheuer an, literarisch nicht tot zu sein. Ein bedeutender Schritt in Richtung Wiederauferstehung wird am 31. Oktober getan: Das Literaturinstitut, die Freie Akademie der Künste und die Kulturstiftung des Freistaates veranstalten die erste Leipziger Poetikvorlesung. »Die Kulturstiftung«, heißt es in der Pressemitteilung, »will mit den Leipziger Poetikvorlesungen [...] für die zeitgenössische Literatur in Sachsen werben.« Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Selbstverständlich soll, umgekehrt, die Literatur auch für die Kulturstiftung und für Sachsen werben. Das ist in Ordnung, und beide können ein bisschen Imagepflege gut gebrauchen. Als Vorträger haben die Veranstalter Ingo Schulze gewonnen. Eine geschickte Wahl: Schulze ist einer unserer erfolgreichsten und angesehensten Gegenwartsautoren, gehört aber nicht zu der alten Gang, deren letzte Vertreter (Grass, Walser) uns mit greisentypischer Verbohrtheit nerven. Außerdem schreibt er prima Bücher. Neu ist die Idee mit der Poetikvorlesung nicht. Aber während sich beispielsweise die Universität Frankfurt am Main gleich eine ganze Poetikdozentur leistet und bei der Zürcher Poetikvorlesung immerhin drei Lesungen geboten werden, wird Ingo Schulze bei uns lediglich eine einzige Vorlesung halten; tags darauf finden ein Workshop mit Studenten des Literaturinstituts und eine Lesung in der Albertina statt. »Die Vorlesung«, erklärt Michael Lentz, Professor am Literaturinstitut, »ist nicht so sehr nach poetologischen und ästhetischen Fragestellungen ausgerichtet, sondern zielt auf alltagspragmatische Zusammenhänge an der Schnittstelle Leben/Schreiben.« Die Poetikvorlesung soll einmal im Jahr stattfinden; die Vorträge werden als Sonderdruck der edition suhrkamp erscheinen. Klingt alles edel, aber zugleich ein bisschen unterambitioniert. Ob sich indes die Poetikvorlesung als ein Höhepunkt des literarischen Lebens oder reine kulturpolitische PR-Veranstaltung erweist, hängt maßgeblich von Ingo Schulze ab. Nach den unvermeidlichen Grußansprachen hat er das Wort. Und eigentlich müsste er sich allein durch das Datum zur Aufmüpfigkeit verpflichtet fühlen. Immerhin liest er am Reformationstag, an dem Luthers Thesenanschlags von 1517 gedacht wird und das Volk das Horrorfest Halloween feiert. Es besteht also durchaus Hoffnung, dass in dieser Nacht Leipzig literarisch lebendig wird und nicht, sagen wir einmal, untot.


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