Lange war es ruhig auf den mehr als zwei Hektar zwischen Gießer-, Aurelien und Karl-Heine-Straße, die im Mittelpunkt unserer letzten Pointe des Lebens standen (kreuzer 03/2024) und seit der Expo 2000 von vielen Jahrtausendfeld genannt werden. Die Schaubühne hat dort damals ein solches angelegt und bewirtschaftet, was auf die Landmaschinenfabrik Rudolf Sack Bezug nahm, die Pflüge und andere Bodenbearbeitungsgeräte an dieser Stelle seit dem 19. Jahrhundert herstellte.
Eine Pressemitteilung der Stadt verkündete am 29. Januar die Ansiedlung der Leipzig International School (LIS) und einer Europäischen Schule mit rund 2.000 Kindern und Jugendlichen sowie Planwerkstätten für den Dialog mit der Anwohnerschaft. Die erste Infoveranstaltung dazu gab es am 8. Februar, zwei Dialogwerkstätten am 29. Februar und am 25. März. Am 21. Mai sollen deren Ergebnisse und die Empfehlungen für die architektonische Gestaltung veröffentlicht werden.
Eile ist geboten, weil die LIS mehr Platz benötigt, als ihr Standort in der Könneritzstraße bietet. Daher soll der neue Campus schon zum Schuljahr 2027/28 eröffnen. Als Privatschule warb die LIS bei der ersten Informationsveranstaltung zur Entwicklung des Jahrtausendfeldes damit, dass sie Partner der Stadt Leipzig und der Region bei der Ansiedlung von neuen Investoren und Forschungseinrichtungen sei, wie UFZ, Max-Planck-Institut, Uni Leipzig oder DHL. Außerdem wurde betont, dass es an der LIS keinen Unterrichtsausfall und ein umfangreiches Nachmittagsangebot gebe – hierbei treten dann auch lokale Partner auf. Eine Ressource »für die gesamte Nachbarschaft« könnten zudem die Sportanlagen und Freiflächen werden. Wann das bei »umfangreichem Nachmittagsangebot« sein soll, kann sich die Nachbarschaft fragen.
»Eine schöne Lösung« stellt das Ganze laut Patrik Fahrenkamp dar, Vorstandschef der Stadtbau AG, die das Gelände 2012 gekauft hat. Fahrenkamp erklärt gegenüber dem kreuzer, dass »der Streit mit der Stadt sich erledigt« habe (siehe Infokasten unter dem Text). In dem Dialogverfahren, bei dem auch zwei Stadtbau-Mitarbeiter beteiligt sind, gehe es seiner Meinung nach darum: »Was wollen wir? Wer möchte mitmachen?« Auch die Ängste vor einem geschlossenen Campus mit Privatschulen möchte er nehmen: »Das Gelände wird nicht komplett dicht bebaut, sondern bietet relativ viel Freifläche.«
Relativ viel Freifläche findet beispielsweise der Ökolöwe zu wenig. Die Bebauung sei eine Katastrophe, heißt es gegenüber dem kreuzer dazu. Die Stadt handele mit dem Campus an der eigenen Klimaanalyse vorbei, die die »Grünfläche mit sehr hoher Schutzwürdigkeit« charakterisierte. Niclas-Robin Rosendahl vom Ökolöwe erklärt: »Das Jahrtausendfeld ist ein Wahrzeichen am Karl-Heine-Kanal und bei den Anwohnenden geschätzt als Treffpunkt und Freifläche. Als wichtiges Grün vor der Haustür verbessert es schon jetzt lokal die Luftqualität, verringert die Hitzebelastung im Sommer und mindert Lärm. Angesichts der Klimakrise und der zunehmenden Hitzebelastung in der Stadt sind Freiflächen wie das Jahrtausendfeld von größter Bedeutung und müssen bewahrt werden.« Daher schlägt er eine »qualitative Aufwertung der Grünfläche« vor, meint: »eine parkartige, ökologisch sinnvolle Grünfläche mit Bäumen und Möglichkeiten zum Verweilen« – wie etwa auch Blühstreifen. Dass im Dialogverfahren gar nicht die Frage gestellt wird, »ob überhaupt bebaut werden sollte. Das ist unserer Meinung nach ein großer Fehler.«
Volker Külow, Linken-Stadtrat für Alt-West, erinnert an den Stadtratsbeschluss von 2020 (auf Antrag der Linken), der das Ziel hatte, das Gelände bis 2022 »als wertvolle Brachfläche im Leipziger Westen kooperativ mit der Stadtgesellschaft« zu entwickeln und »eine angemessene städtebauliche Lösung zu finden«. Dafür sollte 2021 ein Dialogverfahren durchgeführt werden, »in welches Bürgerinnen und Bürger und alle relevanten Stadtteilakteurinnen und -akteure einzubeziehen sind«. Solch ein Verfahren für das auf dem Flächennutzungsplan der Stadt als »Fläche für Gemeinbedarf (Schule/Bildung)« bezeichnete Gelände hat es nie gegeben. Auf Külows Nachfrage im Stadtrat dazu im Dezember 2022 hieß es, Baubürgermeister Thomas Dienberg wolle in Dialog mit der Stadtbau treten – wozu es nicht kam, der Beschluss sei also »durch das Nichtstun der Verwaltung faktisch torpediert« worden, sagt Külow heute rückblickend gegenüber dem kreuzer. Stattdessen werde jetzt »im Hauruckverfahren mit dem Neubau einer Privatschule ein klassisches Investorenprojekt durchgezogen. Das sehen wir sehr kritisch, auch wenn das von uns geforderte und jetzt endlich begonnene Dialogverfahren gut organisiert und qualitativ ansprechend ist. Trotzdem halten wir weiterhin einen B-Plan für notwendig, damit Stadtrat und Öffentlichkeit bei der Gestaltung ein Mitspracherecht behalten.«
Auf die Frage, wie seiner Meinung nach das ideale Jahrtausendfeld aussehe, antwortet Külow: »Die spannungsgeladene Debatte verläuft zwischen den beiden Polen einer maximalen baulichen Ausnutzung und einem Erhalt der als ›offen‹ wahrgenommen Freifläche.« Er verweist auf den Ökotopia-Entwurf für den Wilhelm-Leuschner-Platz, der hingegen versuche, das »wertvolle Potenzial dieses ›Möglichkeitsraums‹ umfassend zu erschließen«, und strebe »eine sinnvolle Nutzungsmischung mit viel Grün und Blau (Wasser) und möglichst viel Freiraum für die Öffentlichkeit an. Die Stadtklimaanalyse zeigt darüber hinaus, dass die vorhandene Kaltluftschneise erhalten bleiben sollte.«
Am Dialogverfahren zur Bebauung des Jahrtausendfeldes nimmt Grünen-Stadträtin Kristina Weyh teil. Gegenüber dem kreuzer betont sie: »Eine Entwicklung muss vor allem den Aspekten Klimawandel und Klimawandelanpassung gerecht werden. Wir brauchen viel Grün und eine zukunftsweisende grüne Bebauung, die die Fläche auch in ihrer Grünwirkung verbessert zum Ist-Zustand. Wir brauchen Freiflächen für Sport, Spiel und Aufenthalt für die Nachbarschaft als sozialen Treffpunkt. Wir brauchen ein offenes Gelände, auch im bebauten Bereich, und eine Mitnutzung der Schulräumlichkeiten durch die Öffentlichkeit. Es darf keine verkehrlichen Überlastungen im Umfeld geben. Diese vielfältigen Belange bringen wir nun im Dialogverfahren mit der ebenfalls notwendigen Erhöhung von Schulplätzen nach internationalen Bildungsstandards in Ausgleich, so dass wir im Ergebnis zu einer bestmöglichen Entwicklung des Jahrtausendfelds finden können.«
Das ideale Jahrtausendfeld müsse ihrer Meinung nach sowohl grün als auch offen sein. Eine internationale Schule sieht sie als Stärkung der aktiven Nachbarschaft an. »Dafür braucht es die kleinstmögliche Flächenversiegelung und die größtmögliche Öffnung der Schule. Der vorhandene gute ÖPNV im Umfeld muss als Standortvorteil aktiv genutzt werden. Wir sehen auf dem Jahrtausendfeld eine für die Menschen offene und nutzbare Fläche, auch im Schulbereich selbst. Die Schule muss der Nachbarschaft etwas geben, Angebote machen und baulich in Hinsicht auf den Klimawandel zukunftsweisend sein.«
Die Frage, die sich hierbei stellt: Wenn 2.000 Kinder und Jugendliche auf den neuen Schulcampus zum täglichen Schulbeginn neben den ungefähr 500 Kindern der gegenüberliegenden Grundschule und dem Kindergarten der LIS strömen, reicht dann das vorhandene ÖPNV-Netz mit den Straßenbahnlinien 14 auf der Karl-Heine- und 8 und 15 auf der Lützner Straße sowie der nahen S-Bahnhaltestelle und Bussen? Reicht das Straßennetz für die Elterntaxis? Was bedeutet das für die Anwohnerschaft?
Christian Schulze, SPD-Stadtrat für Alt-West, kann sich »eine perspektivische Nutzung als Schulcampus für die LIS grundsätzlich gut vorstellen. Leider ist es der Stadt nicht gelungen, einen eigenen Schulcampus mit dem Besitzer der Flächen zu entwickeln. Nun hat sich der Flächenbesitzer mit der LIS arrangiert.« Für die Nachbarschaft sieht Schulze vor allem eine öffentliche Nutzung von Schulräumlichkeiten ab dem frühen Nachmittag, mahnt eine bessere Taktung der Linie 14 an und erklärt, dass »nur etwa die Hälfte der Gesamtfläche bebaut werden muss«, da die Gebäude hoch gebaut werden können. So sehe er eine Einzäunung nur für den Grundschulbereich und die Umwidmung der Gießerstraße zur Freifläche als Möglichkeit, um einen Gesamtcampus zu schaffen. Dabei stellt sich dann aber die Frage, wie Menschen an der Stelle von der Aurelienstraße zur Karl-Heine-Straße gelangen sollten. Schulze weiß um die Kritik, versteht die Bedenken und bietet an, »im kritischen Dialog zu bleiben«. »Das ideale Jahrtausendfeld wird es wahrscheinlich nicht geben, aber wenn sich alle Beteiligten am Ende wiederfinden, bin ich zufrieden«, so Schulze zum kreuzer.
Die Leipziger CDU begrüßt die aktuellen Überlegungen und erklärt: »Als moderner Bildungscampus, bestehend aus Oberschule samt Sporthalle und einer neuen LIS, kann das Jahrtausendfeld ein wichtiger Bezugspunkt für junge Familien und ihre Kinder im Leipziger Westen und darüber hinaus werden.« Stadträtin Sabine Heymann betont daher: »Wir hoffen sehr, dass mit dem nun angeschobenen Dialogverfahren zur städtebaulichen Einordnung der Schulbauten nun auch eine Form der Beschleunigung des Planverfahrens gefunden wurde. Viel zu lange mussten Lindenau und Plagwitz mit dieser Brache leben.« – Dass es sich bei der »Brache« um einen existierenden Freiraum mit ganz eigenen Qualitäten handelt, der nicht nur gut für das Stadtklima und als Kaltluftschneise ist und dessen Bebauung die öffentliche Nutzung möglicherweise nur entlang des Kanals vollumfänglich garantiert, bildet die andere Seite der Medaille.
> www.leipzig.de/bauen-und-wohnen/stadtentwicklung/projekte/jahrtausendfeld
Infokasten
Es steht heute nichts mehr auf dem Gelände, das an seine Vergangenheit als Industrieanlage erinnern könnte – nur die Kelleranlage existiert bis heute. Seit dem 19. Jahrhundert befand sich auf dem Areal, das heute zwischen Gießer-, Aurelien- und Karl-Heine-Straße liegt, die Landmaschinenfabrik Rudolf Sack, die Pflüge und andere Bodenbearbeitungsgeräte herstellte. Im Zweiten Weltkrieg wurden hier zur Kriegsproduktion zusätzlich 3.000 Zwangsarbeiter ausgebeutet. Nach der Enteignung der Fabrik 1945 entstand der VEB Bodenbearbeitungsgeräte (BBG), der im Karl-Marx-Jahr 1983 nach ihm benannt wurde und die Arbeitsstätte von fast 3.000 Menschen darstellte. Schon damals wurde ein Teil der Produktion aus der Karl-Heine-Straße an die Stadtgrenze verlegt – wo die BBG Bodenbearbeitungsgeräte Leipzig noch heute als Tochterunternehmen der Amazon-Werke H. Dreyer SE & Co KG sitzt. Die ursprüngliche Betriebsfläche an der Karl-Heine-Straße mit zahlreichen Werkhallen, Verwaltungsgebäuden und Wohnhäusern ging nach der Wende in den Besitz der Treuhandliegenschaftsgesellschaft über, für die sie ein Filetstück im Leipziger Westen darstellte.
Die Stadt hoffte in den neunziger Jahren auf eine innovative Gewerbeansiedlung: Abbildungen zeigen lichte Bürohäuser. Doch so richtig voran ging es nicht. Zur Expo 2000 entwickelte die Schaubühne Lindenfels um René Reinhardt die Idee des Jahrtausendfeldes mit Mutterboden vom Flughafen, der mit Pferd und Eisenpflug bearbeitet wurde. Doch auch dies führt nicht zu einem Verkauf der Fläche – weder an die Stadt noch an einen Investor. Der konzeptionelle Stadtteilplan aus dem Jahr 2009 sieht eine Mischung aus Wohnen und Gewerbe für das Gelände vor. Es folgen Überlegungen der Stadt für die Ansiedlung eines Gymnasiums und einer Grundschule. Im Jahr 2012 kauft schließlich die Stadtbau AG – tätig in der Entwicklung, dem Investment und dem Management hochwertiger Immobilien – das Gelände und möchte Gewerbe ansiedeln. Die Stadt beharrt auf ein Gymnasium und eine Grundschule im Sanierungsgebiet. Darum wird gestritten oder sich ausgeschwiegen.
Später wird das Sanierungsgebiet aufgehoben und die Stadtbau AG ist seit 2022 im Grundbuch eingetragen. In der Zwischenzeit gibt es hier einen Wagenplatz, einen Zirkus, Hüpfburgen, Volleyballfelder oder einfach nur einen Freiraum.