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Rezensionen

Oslo Stories: Sehnsucht

Oslo Stories: Sehnsucht

NOR 2024, R: Dag Johan Haugerud, D: Jan Gunnar Røise, Thorbjørn Harr, Siri Forberg, 118 min

Drei Filme, drei Geschichten, eine Stadt: Der norwegische Autor und Regisseur Dag Johan Haugerud inszenierte im vergangenen Jahr gleich drei Filme in seiner Heimatstadt Oslo. Überschrieben mit »Liebe«, »Träume« und »Sehnsucht« haben die Filme augenscheinlich zunächst nur den Ort der Handlung gemeinsam. Beim näheren Betrachten offenbaren aber all ihre Figuren Träume und Sehnsüchte unterschiedlicher Formen der Liebe. »Liebe« (kreuzer 4/2025) schildert die Suche nach Nähe und das Ausleben sexueller Bedürfnisse auf einem Fährschiff. »Sehnsucht«, der im Original eigentlich den Titel »Sex« trägt, begleitet zwei Schornsteinfeger auf ihrer Selbstfindung zwischen den Geschlechtern. Die Freunde sind glücklich verheiratete Familienväter. Den einen wirft ein immer wiederkehrender Traum aus der alltäglichen Bahn. Darin trifft er David Bowie, der ihn auf eine Weise betrachtet, als würde er in ihm eine Frau sehen. Sein Kollege wiederum hat eine Begegnung mit einem attraktiven schwulen Mann, der ihm offen Sex anbietet. Zunächst lehnt er ab, kehrt dann aber doch in die Wohnung des Mannes zurück und lässt sich verführen. Für beide Männer gerät nach diesen Ereignissen das Leben, wie sie es bisher kannten und gerne geführt haben, aus den Fugen. In »Träume« wird das Leben der Teenagerin Johanne durch die Begegnung mit ihrer neuen Lehrerin Johanna auf den Kopf gestellt. Zum ersten Mal ist Johanne verliebt und malt sich in ihren Träumen aus, wie es ist, mit Johanna zusammen zu leben. Ihre Wünsche und Sehnsüchte schreibt sie nieder, um sie begreifen zu können. Ein Jahr später ringt Johanne immer noch mit der unerwiderten Liebe und gibt die Erinnerungen ihrer Großmutter preis. Obwohl sie verspricht, sie für sich zu behalten, reicht sie den Text an Johannes Mutter weiter. Die unverblümten Worte und Gefühle lassen diese verwirrt zurück. Zunächst ist da die Angst, Johanne könnte missbraucht worden sein. Die ehrliche Schilderung bewegt aber auch etwas in ihr und stellt ihre Tochter zur Rede LARS TUNÇAY

Oslo Stories: Träume

Oslo Stories: Träume

NOR 2024, R: Dag Johan Haugerud, D: Ella Øverbye, Ane Dahl Torp, Selome Emnetu, 110 min

Drei Filme, drei Geschichten, eine Stadt: Der norwegische Autor und Regisseur Dag Johan Haugerud inszenierte im vergangenen Jahr gleich drei Filme in seiner Heimatstadt Oslo. Überschrieben mit »Liebe«, »Träume« und »Sehnsucht« haben die Filme augenscheinlich zunächst nur den Ort der Handlung gemeinsam. Beim näheren Betrachten offenbaren aber all ihre Figuren Träume und Sehnsüchte unterschiedlicher Formen der Liebe. »Liebe« (kreuzer 4/2025) schildert die Suche nach Nähe und das Ausleben sexueller Bedürfnisse auf einem Fährschiff. »Sehnsucht«, der im Original eigentlich den Titel »Sex« trägt, begleitet zwei Schornsteinfeger auf ihrer Selbstfindung zwischen den Geschlechtern. Die Freunde sind glücklich verheiratete Familienväter. Den einen wirft ein immer wiederkehrender Traum aus der alltäglichen Bahn. Darin trifft er David Bowie, der ihn auf eine Weise betrachtet, als würde er in ihm eine Frau sehen. Sein Kollege wiederum hat eine Begegnung mit einem attraktiven schwulen Mann, der ihm offen Sex anbietet. Zunächst lehnt er ab, kehrt dann aber doch in die Wohnung des Mannes zurück und lässt sich verführen. Für beide Männer gerät nach diesen Ereignissen das Leben, wie sie es bisher kannten und gerne geführt haben, aus den Fugen. In »Träume« wird das Leben der Teenagerin Johanne durch die Begegnung mit ihrer neuen Lehrerin Johanna auf den Kopf gestellt. Zum ersten Mal ist Johanne verliebt und malt sich in ihren Träumen aus, wie es ist, mit Johanna zusammen zu leben. Ihre Wünsche und Sehnsüchte schreibt sie nieder, um sie begreifen zu können. Ein Jahr später ringt Johanne immer noch mit der unerwiderten Liebe und gibt die Erinnerungen ihrer Großmutter preis. Obwohl sie verspricht, sie für sich zu behalten, reicht sie den Text an Johannes Mutter weiter. Die unverblümten Worte und Gefühle lassen diese verwirrt zurück. Zunächst ist da die Angst, Johanne könnte missbraucht worden sein. Die ehrliche Schilderung bewegt aber auch etwas in ihr – sie stellt ihre Tochter zur Re LARS TUNÇAY

Monsieur Aznavour

Monsieur Aznavour

F 2024, R: Grand Corps Malade, Mehdi Idir, D: Tahar Rahim, Bastien Bouillon, Marie-Julie Baup, 133 min

Charles Aznavour gilt bis heute als Musterbeispiel eines französischen Chansonniers. Darüber hinaus hat er als Schauspieler in zahlreichen Filmen mitgewirkt. Doch der Beginn seiner Karriere war mühsam, wie das Biopic »Monsieur Aznavour« nun eindrucksvoll zeigt. Als Kind armenischer Einwanderer wächst er in Frankreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf, wo er immer wieder mit Rassismus und Ausgrenzung zu kämpfen hat. Erst als Edith Piaf auf den Mann mit der Reibeisenstimme aufmerksam wird, ändert sich sein Schicksal. Während der Film bis zu diesem Punkt stringent die Lebensgeschichte des Sängers erzählt, lässt die zweite Stunde sein Leben fast im Schnelldurchlauf vorbeiziehen. Seine Ehefrauen, Kinder und Weggefährten finden in der gesamten Erzählung nur am Rande statt. Auch das Bild, das vom Sänger im Film gezeichnet wird, bleibt oberflächlich und geht über seinen eisernen Willen, berühmt zu werden, kaum hinaus. Die Chansons sollen einen emotionalen Gegenpart dazu bilden, was aber leider nicht immer funktioniert. Deutlich wird trotzdem, welchen Einfluss Aznavour mit seiner Musik auf eine ganze Generation hatte. Auch in der neueren Popmusik lässt er sich noch wiederfinden. Als kleine Verneigung vor diesem Einfluss bekommt der Song »What’s the Difference« von Dr. Dre und Eminem einen überraschend gelungenen Gastauftritt. Hanne Biermann

Kein Tier. So Wild.

Kein Tier. So Wild.

D/F/P 2025, R: Burhan Qurbani, D: Kenda Hmeidan, Verena Altenberger, Hiam Abbass, 150 min

In William Shakespeares Drama »Richard III.« liefern sich die Häuser York und Lancaster einen blutigen Kampf um die englische Krone. Richard, jüngster Sohn der Yorks, wird aufgrund seiner fehlerhaften Statur stets unterschätzt. Die Autorin Enis Maci hat das Drama ins Deutsche und ins Heute übersetzt: Aus den englischen Adelshäusern werden arabische Clans, aus Richard wird Rashida, England wird zu Berlin. Der Duktus bleibt theatral, verwoben mit seiner Vorlage. Rashida kämpft als Anwältin für den Frieden zwischen York und Lancaster. Ihre Fehlerhaftigkeit ist ihr Geschlecht: »Betrogen durch Geburt um jeden Vorteil.« Während ihre Familie sich in ihrem Ruhm suhlt, kämpft Rashida mit Hilfe ihrer Amme Mishal um ihren Platz auf dem Thron der Festung. In fünf Akten erzählt Regisseur Burhan Qurbani den machthungrigen »Pfad zum Gipfel« Rashida Yorks, über »Fleisch und Blut« hin zum gewaltsamen Fall in »Sand und Dreck«. Wie schon in seiner Adaption von »Berlin Alexanderplatz« (2020) entwirft Qurbani einen zeitgemäßen Blick auf einen klassischen Stoff. »Kein Tier. So Wild.« überzeugt künstlerisch durch herausragende Filmmusik, ein Szenenbild, das zunehmend zum Bühnenbild für Rashidas Innenleben wird und der kompromisslosen Verkörperung Rashidas durch Kenda Hmeidan. Inhaltlich bietet der Stoff jedoch einige Herausforderungen. Wer sich mit der Vorlage Shakespeares nicht allzu sicher fühlt, sollte vorab eine kleine Recherche vornehmen. Die Länge von 142 Minuten ist zudem ambitioniert. Greta Jebens

Islands

Islands

D 2025, R: Jan-Ole Gerster, D: Sam Riley, Stacy Martin, Jack Farthing, 123 min

Tom ist Tenniscoach in einer Urlaubsanlage auf Fuerteventura. Der ungebundene, gutaussehende junge Mann genießt seine spielerische Arbeit, das ständig gute Wetter und seine Abende in der Diskothek mit wechselnden Urlauberinnen, denen sich der Schwerenöter nicht entziehen kann. Auch zwischen ihm und Anne funkt es schnell, nachdem diese ihren Sohn bei Tom zu Tennisstunden angemeldet hat. Für die ganze Familie fungiert Tom an einem Tag sogar als Fremdenführer auf der Insel. Doch nach durchzechter Nacht ist Familienvater Dave spurlos verschwunden. Da Anne nicht glücklich in ihrer Ehe war, ist auch ein Verbrechen nicht auszuschließen. In 13 Jahren hat Jan-Ole Gerster lediglich drei Filme inszeniert, dank »Oh Boy« und »Lara« gehört er trotzdem zu den renommiertesten und meistprämierten Filmemachern hierzulande. »Islands« ist sein erster englischsprachiger Film, der mit Sam Riley, Stacy Martin und Jack Farthing auch eine illustre internationale Besetzung aufweisen kann. Der Anfang des Films ist ähnlich konzipiert wie die bisherigen Gerster-Filme, hier kann man sich als aufmerksamer Beobachter selbst seinen Reim aus den vielen authentischen Details machen. Nach dem Verschwinden Daves wird »Islands« zu einem astreinen Hitchcock-Thriller mit weiteren Referenzen an Patricia Highsmith, der unterm Strich eine knisternde Spannung in sonnendurchfluteter Kulisse zu bieten hat und zwei Stunden gut unterhält. Frank Brenner

Einfach machen

Einfach machen

D/CH 2024, Dok, R: Reto Caduff, 89 min

»Mir doch egal, was ihr denkt, was ihr hören wollt« – so bringt Bettina Köster die Einstellung ihrer Westberliner Bands Mania D. und Malaria auf den Punkt. Ja, das war neu und dagegen, was diese Bands machten. »Es war damals einzigartig und ist es heute noch«, sagt ein Fan im Film »Einfach machen«, der »She-Punks von 1977 bis heute« porträtiert. Östro 430 aus Düsseldorf sind noch dabei und Kleenex (später Liliput) aus Zürich. Regisseur Reto Caduff lässt die Musikerinnen alle zu Wort kommen, es gibt keine Erklär-Stimme aus dem Off, nur ab und an ein paar einordnende Zeilen zu eindrucksvollen und ausgesuchten Archivaufnahmen. Und Gudrun Gut, Martina Weith und Co. haben natürlich viel zu erzählen: Von hell erleuchteten Konzerten im Ratinger Hof, von Jugendunruhen in Zürich, von einer kurzen Tour in New York, wo sie nichts zu essen hatten, weil ihnen alle immer nur Drinks ausgaben. Zudem sieht man die Musikerinnen heute wieder auf der Bühne stehen, mit neuen oder alten Projekten, teilweise nach über 30 Jahren Pause – was noch mehr Punk ist als früher schon, weil eine älter gewordene Frau immer noch mit den gängigen Erwartungen des Musikbusiness bricht. Leider dringt der ästhetisch wunderbar gemachte Film aber nicht tiefer in die Gefühlswelten seiner spannenden Protagonistinnen vor, sondern schafft es kurioserweise, dass er sich zieht, obwohl man gern noch so viel mehr erfahren hätte von der Rebellion und Selbstermächtigung der Frauen. Aber die Musik ist gut. Juliane Streich

Der Meister und Margarita

Der Meister und Margarita

RUS 2023, R: Mikhail Lokshin, D: August Diehl, Yuliya Snigir, Evgeniy Tsyganov, 157 min

»Der Meister und Margarita« ist einer der wichtigsten russischen Romane des 20. Jahrhunderts. Geschrieben wurde er von Michail Bulgakow von 1928 bis zu seinem Tod im Jahr 1940, ein Vierteljahrhundert harrte er wegen eines Verbots der Veröffentlichung, die dann ab 1966 in verschiedenen Fassungen erfolgte. Verfilmt wurde der Stoff bereits mehrfach, allerdings noch nie so aufwendig wie in Michael Lockschins überraschend offen regimekritischer Version, die in Russland trotz großer Kontroversen zum Kinohit wurde. Umso erfreulicher, dass der Film nun auch bei uns zu sehen sein wird, nachdem sich westliche Adaptionen von Roman Polanski und Baz Luhrmann zerschlugen und Regiemeister wie Federico Fellini, Terry Gilliam und David Lynch fraglos vom »Faust« inspirierten Plot beeinflusst wurden. Die Handlung spielt im Moskau der dreißiger Jahre: Das Stück eines namenlosen Autors über Jesus Christus und Pontius Pilatus wird von Stalins Schergen verboten. Mit Hilfe seiner Muse und Geliebten Margarita und des Teufels höchstpersönlich schreibt der Schriftsteller danach einen satirischen, autobiografischen Roman – und bald vermischen sich Realität und Fiktion. Die Handlung ist verschachtelt, fragmentarisch und kryptisch – und trotzdem ergibt sich am Ende ein großes Ganzes, dessen rauschhaftem Sog man sich auch dank der guten Darstellerinnen und Darsteller, beeindruckender Technik und der dräuenden Filmmusik nur schwer entziehen kann. Peter Hoch

Balconettes

Balconettes

F 2025, R: Noémie Merlant, D: Souheila Yacoub, Sanda Codreanu, Noémie Merlant, 103 min

Es ist heiß in Marseille. Der Hochsommer treibt alle im Wohnblock auf den Balkon, auf der Suche nach ein wenig Abkühlung. Cam-Girl Ruby und Starlet Elise finden sich auf dem Balkon ihrer Freundin, der angehenden Schriftstellerin Nicole ein – schließlich ist die Aussicht auf ihren Nachbarn, den gut gebauten Fotografen Magnani, von hier aus hervorragend. Als die drei dessen Einladung annehmen, wird daraus allerdings ein unerwartet blutiges Date. Nach einem munteren Auftakt, bei dem allerdings auch schon der gewalttätige Ehemann der Nachbarin das Zeitliche segnet, kippt die Stimmung rapide. Die zweite Regiearbeit der Schauspielerin Noémie Merlant ist ein wahres Wechselbad der Gefühle und erinnert in den besten Momenten an die überdrehten frühen Filme von Pedro Almodóvar. Das Drehbuch, das Merlant gemeinsam mit Céline Sciamma (»Porträt einer jungen Frau in Flammen«) verfasst hat, ist ein wilder Mix aus feministischem Sozialdrama und rabenschwarzer Horrorkomödie, der nicht immer vollends aufgeht. In einem Moment feiern die Figuren ihre Weiblichkeit, im nächsten reiten sie sich immer tiefer in ein blutiges Schlamassel hinein. Merlant geizt dabei nicht mit Splatter und Kunstblut. Einige Szenen sind herrlich überdreht, kehren sich aber auch gern mal ins Geschmacklose. Die Figuren bedienen dabei mitunter die Klischees, die sie eigentlich vorführen sollen. Zusammengehalten wird der wilde Mix vor allem von den gut aufgelegten Darstellerinnen. LARS TUNÇAY

Schatten der Nacht

Schatten der Nacht

D/TRK 2024, R: Türker Süer, D: Ahmet Rıfat Sungar, Berk Hakman, Eda Akalın, 85 min

Sinan ist Offizier in der türkischen Armee und bekommt einen Routineauftrag: Er soll einen anderen Offizier, der wegen eines körperlichen Angriffs auf einen Vorgesetzten angeklagt wird, in ein Militärgefängnis überführen. Der andere Offizier ist allerdings sein Bruder Kenan, mit dem er seit dem Tod ihres Vaters nicht mehr gesprochen hat. Zu allem Überfluss kommt es in der Nacht noch zu einem Militärputsch gegen die türkische Regierung. Der politische Hintergrund spielt aber nur eine Nebenrolle, vielmehr werden in dem Film moralische Fragen verhandelt: Wem gilt die Loyalität eines Soldaten mehr: seiner Familie, seiner Truppe oder seinem Heimatland? Die erste Hälfte des Films ist dabei fast ein Roadmovie und erinnert mit dem dunklen Setting und den oft rot ausgeleuchteten Gesichtern optisch an »Only God Forgives« von Niclas Winding Refn und sogar Hauptdarsteller Ahmet Rıfat Şungar strahlt eine Ryan-Gosling-mäßige Coolness aus. Leider fällt die zweite Hälfte deutlich ab, etwas mehr Laufzeit als die nur 85 Minuten hätten nicht geschadet, um die Figurenkonstellation weiter zu erkunden. So erzählt die Story kaum Neues, ist bis zu ihrer Auflösung aber einigermaßen spannend und unterhaltsam inszeniert. Die Moralfrage, die anfangs im Zentrum steht, wird dann leider ohne Überraschungen beantwortet und so verpasst der Film die Chance, nachhaltig im Gedächtnis zu bleiben. Alexander Böhle

Misericordia

Misericordia

F/E/P 2024, R: Alain Guiraudie, D: Félix Kysyl, Catherine Frot, Jean-Baptiste Durand, 103 min

Die ersten fünf Minuten sieht man durch die Windschutzscheibe. Das Auto folgt einer kurvigen Bergstraße im Südosten Frankreichs. Vor einer Bäckerei kommt es abrupt zum Stehen. Die Tür öffnet sich und heraus steigt Jérémie. Zehn Jahre war er nicht mehr im Dorf. Nun ist er nach Saint Martial zurückgekehrt, um der Beerdigung des Bäckers beizuwohnen, für den er als Jugendlicher gearbeitet hat. Im Haus von dessen Frau macht er es sich schnell bequem. Blättert nachts durch die Familienalben. Tagsüber streift er durch den umliegenden Wald. Das Rauschen der Bäume im Wind bildet den Soundtrack, für das, was folgt. Zunächst einladend, wird er bald zu einem Ort des Zwielichts. Als eine Kriminalkomödie wird »Misericordia« vermarktet. Das ergibt aber höchstens Sinn, wenn man damit das Lachen angesichts des Abgründigen meint. Ein Lachen irgendwo zwischen Fassungslosigkeit und Selbstschutz. Eher gleicht der Film von Regisseur Alain Guiraudie einem Trip in die menschliche Psyche. Nah am Traum inszeniert er Gewalt und menschliches Begehren. In schlichten Dialogen werfen sich die Figuren Extremes an den Kopf. Passend dazu spielt Hauptdarsteller Félix Kysyl seine Figur als moderne Tom-Ripley-Version. Im einen Moment freundlich, lässt er einem im nächsten das Blut in den Adern gefrieren. Das alles ist wunderbar stilsicher umgesetzt und bei aller Ruhe voller überraschender Wendungen. Deren größte allerdings hebt sich Guiraudie bis ganz zum Schluss auf. Josef Braun

Oslo Stories: Liebe

Oslo Stories: Liebe

N/S 2024, R: Dag Johan Haugerud, D: Andrea Braein Hovig, Tayo Cittadella Jacobsen, Marte Engebrigtsen, 119 min

Marianne ist schon lange Single und soll nun von ihrer besten Freundin mit Ole Harald verkuppelt werden. Der ist allerdings zweifacher Familienvater, und seine geschiedene Frau wohnt nur einen Katzensprung entfernt, damit es für die Kinder einfacher ist. Mariannes Kollege Tor ist schwul und bändelt gerne auf einer Fähre mit Hilfe einer Dating-App mit Gleichgesinnten an – für schnellen, unverbindlichen Sex. Aber als er auf diese Weise die Bekanntschaft mit Bjørn macht, ist alles anders als sonst, denn die beiden reden nur miteinander. Und Tor kann den deutlich älteren Bjørn danach einfach nicht vergessen. Mit »Liebe«, »Sehnsucht« (OT: »Sex«) und »Träume« hat Dag Johan Haugerud eine Trilogie realisiert, die in Berlin und Venedig ihre Weltpremieren feierte und jetzt vom Verleih als »Oslo-Stories« in die deutschen Kinos gebracht wird. Inhaltlich sind die Filme unabhängig voneinander, lediglich der Handlungsort Oslo und die thematische Klammer um zwischenmenschliche Beziehungen hält sie zusammen. In »Liebe« geht es nicht etwa um langjährige Zweisamkeit, sondern um den Neuanfang einer hetero- und einer homosexuellen Bindung. Haugerud wollte dabei keine umfassende oder allgemeingültige Gefühls- oder Beziehungsanalyse abliefern, sondern erzählt zwei ganz individuelle Geschichten über die Wege der Liebe, was ihm kurzweilig und unterhaltsam gelungen ist. Frank Brenner

Julie bleibt still

Julie bleibt still

B/SWE 2024, R: Leonardo Van Dijl, D: Tessa Van den Broeck, Ruth Becquart, Koen De Bouw, 97 min

Sich als Mädchen durch die Pubertät zu navigieren, ist nicht leicht. All die neuen Eindrücke und Erlebnisse, die zum Erwachsenwerden dazugehören, können einen ganz schön verwirren. Vor allem, weil es noch keine Erfahrungswerte gibt, um Erlebtes einzuordnen. Für Julie gibt es in diesem Chaos zwei feste Anker: Die Schule und das Tennisspielen. Hier wie da ist sie überdurchschnittlich gut. Doch als sich eine junge Spielerin aus dem Tennisverein das Leben nimmt, gerät Julies Konzentration ins Wanken. Denn plötzlich steht der Trainer des Mädchens im Mittelpunkt einer internen Ermittlung. Der Trainer, der auch Julie unterrichtet hat, und von dem alle wissen, dass er sie immer bevorzugt behandelte. In dieser Situation nimmt die Kamera die Perspektive von Julies Umfeld ein: beobachtend, aufmerksam für die Stimmungen der jungen Frau. Aber auch abwartend, ohne die Frage jemals direkt zu stellen, die im Raum steht. Und Julie hat beschlossen, sich nicht weiter zu äußern. »Julie bleibt still« ist ein langsam erzählter Film, der sich behutsam mit den möglichen Auswirkungen von psychischer und physischer Gewalt auseinandersetzt, ohne sie unmittelbar in den Fokus zu nehmen. Das gelingt eindrücklich, aber genauso wie auf ein Zeichen von Julie zu warten, ist es auch zermürbend. Denn manchmal muss man erst die Gedanken sortieren, bis man die richtigen Worte für Unaussprechliches findet. Hanne Biermann

Eden

Eden

USA/CDN 2025, R: Ron Howard, D: Jude Law, Ana de Armas, Daniel Brühl, 129 min

In den Filmen von Ron Howard (»Apollo 13«, »Rush«) verfolgen die Figuren stets einen Traum. In »Eden« entwickelt der sich nun allerdings schnell zum Albtraum. Es ist das Jahr 1932. Während in der Heimat der Faschismus auf dem Vormarsch ist, hat sich der deutsche Arzt und Philosoph Dr. Friedrich Ritter von der Gesellschaft abgewandt. Er lebt mit seiner Partnerin Dore Strauch auf der menschenleeren Galapagos-Insel Floreana, wo das Überleben äußerst mühsam ist. Hier will er ungestört an seinem philosophischen Manifest arbeiten, das die Menschheit evolutionieren soll. Mit der Ruhe ist es allerdings bald vorbei, denn Kunde von Ritters vermeintlichem Paradies hat den Westen erreicht und so ziehen zunächst das Ehepaar Wittmer und dann auch noch eine Baronin mit ihrer Gefolgschaft auf die Insel. Es beginnt ein intrigenreicher Kampf ums Überleben, den Ron Howard recht spannend und visuell reizvoll, aber ziemlich vordergründig inszeniert. »Eden« basiert auf historisch überlieferten Figuren, der Sehnsucht nach dem »Exotischen«, geprägt durch die deutsche Kolonialzeit. Howard und sein Co-Autor Noah Pink (»Tetris«) bastelten daraus den Stoff für einen Groschenroman. Das illustre Ensemble, zu dem neben Jude Law als Dr. Ritter auch Vanessa Kirby, Daniel Brühl, Sydney Sweeney und Ana de Armas zählen, müht sich redlich, den Stoff mit Überzeugung darzubieten. »Eden« unterhält für seine Lauflänge, ist danach aber genauso schnell wieder vergessen. Lars Tunçay

Parthenope

Parthenope

F/I 2025, R: Paolo Sorrentino, D: Celeste Dalla Porta, Stefania Sandrelli, Gary Oldman, 137 min

Parthenope – diesen Namen gaben die Schriftsteller in der Antike einst einer der schönen Sirenen aus Homers »Odyssee«, deren verführerischer Gesang Seeleute regelmäßig ins Verderben lockte. Später wurde Neapel dichterisch so bezeichnet, wo die Sagengestalt irgendwann tot angespült wurde. Ob dieser Name für ein Mädchen, das 1950 bei einer Wassergeburt vor der Stadt zur Welt kommt, allzu glücklich ist, sei dahingestellt. Der Titelheldin des neuen Films von Paolo Sorrentino schadet er zumindest nicht: Diese Parthenope ist mit guten Genen gesegnet, die aus ihr eine ebenso intelligente wie attraktive junge Frau machen, der die Herzen nur so zufliegen – darunter die ihres älteren Bruders Raimondo und ihres Kindheitsfreunds Sandrino. Deren Zuneigung genießt Parthenope zwar, ihre Begierden erfüllt sie jedoch nie wirklich – bis zu jenem zunächst wundervollen gemeinsamen Sommer auf Capri, der jäh endet. Dieses erste Filmdrittel zieht optisch stilvollendet noch in den Bann. Doch das meiste, was danach kommt, zerfasert inhaltlich, vermag nur gelegentlich zu berühren, irgendwann können auch die prachtvollen Bilder und Celeste Dalla Porta nicht mehr darüber hinwegtäuschen, dass Sorrentino, 2014 für »La Grande Bellezza – Die große Schönheit« mit dem Oscar gekrönt, zu seinen Lieblingsthemen Schönheit, Vergänglichkeit und Liebe nur noch bedingt Spannendes zu sagen hat. Peter Hoch

Mit der Faust in die Welt schlagen

Mit der Faust in die Welt schlagen

D 2025, R: Constanze Klaue, D: Anton Franke, Camille Loup Moltzen, Anja Schneider, 110 min

»Frei nach dem Roman von Lukas Rietzschel«, steht im Abspann, aber die Verfilmung ändert nur ein paar Details. Das Wichtigste behält sie bei: Die intensive Stimmung, die das Buch von 2018 ausmacht. Tobias und sein großer Bruder Philipp sind zwei durchschnittliche Jungs in einem durchschnittlichen Ort in der sächsischen Provinz Anfang der 2000er Jahre. Vor allem Tobias leidet unter den Eheproblemen der Eltern, dem Alkoholproblem des Vaters und der Abwesenheit der Mutter, die als Krankenschwester viele Nachtschichten schiebt. Nachdem ihre Schule mit einem Hakenkreuz beschmiert wird, gerät Philipp auch noch in Kontakt mit den örtlichen Neonazis – Tobias ist von da an ganz allein mit seinen Sorgen. »Mit der Faust in die Welt schlagen« handelt nicht von Springerstiefeln und Baseballschlägern, sondern macht deutlich, dass tief verwurzelter Rassismus viele Bevölkerungsschichten durchzieht. Das Schauspiel ist großartig, vor allem das Leid der Kinder nimmt einen mit. Der Film zeigt keine Boshaftigkeit, sondern Verzweiflung und Perspektivlosigkeit. Gleichzeitig wird nichts verharmlost. Ganz ohne plumpe Gewalt entsteht trotzdem immer wieder Brutalität, die Figuren und das Publikum gleichermaßen belastet. Das Ende wirkt etwas abrupt, an diesem Punkt wurden die 300 Seiten des Romans der Zeitspanne von 15 Jahren besser gerecht. Schockierend und sehenswert bleibt der Film aber trotzdem. Alexander Böhle

Die Akademie

Die Akademie

D 2024, R: Camilla Guttner, D: Maja Bons, Luise Aschenbrenner, Jean-Marc Barr

Wer die HGB- und Spinnerei-Rundgänge kennt, weiß: Dort tummeln sich – zumindest äußerlich – einige freaky Typen, und: Kunst und deren Verständnis ist immer subjektiv. Verhaltens- und phänotypisch auffällig sind auch viele Akteurinnen und Akteure in Camilla Guttners neuem Film, der ihre eigene Zeit an der Akademie der Bildenden Künste in München spiegelt. Dabei ist die Hauptfigur Jojo in der Hinsicht noch eher harmlos, sie folgt nur leidenschaftlich ihrem Traum, zuerst die Klasse von Professor Copley und dann die Kunsthochschule zu bestehen. Dafür pinselt und jobbt sie auch nachts, liefert sich verbale Scharmützel mit Dozenten und muss sich gegen skurrile Stalker und falsche Freundinnen behaupten. Das alles in einer Atmosphäre zwischen Selbst-Darstellung und -Findung sowie Karriere- und Macht-Kämpfen. Widerlich-übergriffige Profs, suizidale Einsiedler, Galeriekapitalisten und bei allen stete Selbstzweifel – die Regisseurin wirft einen unverhohlen kritischen Blick in die Kunstwelt, die sich viel um sich selbst und dann doch um die Anerkennung der Anderen dreht. Ob die hoch- oder tieftrabenden kunstphilosophischen Einlassungen authentisch oder ironisch gemeint sind, kann jede und jeder selbst entscheiden. Trotz der vielen Ansätze, der Masse an Eindrücken und Ideen lässt einen die Geschichte seltsam kalt, kommen weder Spannung noch tiefere Erkenntnisse auf. Es ist wie manche Kunst-Rundgänge: Interessant sind eher die Menschen als die Werke. Markus Gärtner

Die Unerwünschten

Die Unerwünschten

F 2023, R: Ladj Ly, D: Anta Diaw, Alexis Manenti, Aristote Luyindula, 105 min

Für sein Spielfilmdebüt »Les Misérables« erhielt der in Mali geborene Ladj Ly zunächst den Jurypreis in Cannes und schließlich eine Oscarnominierung. Mit dem Nachfolger »Les Indésirables« (»Die Unerwünschten«) bleibt er seiner Linie treu. Auch hier wirft er das Licht auf marginalisierte Gruppen, die Bewohnerinnen und Bewohner eines sozialen Wohnungsbaus in den Banlieues von Paris. Ein Umfeld, das dem Regisseur nur allzu vertraut ist. Wenn am Anfang der Sarg mit Habys Großmutter minutenlang durch das enge Treppenhaus des baufälligen Hochhauses manövriert wird, erlebt man gleich, wie mühsam selbst das Sterben für die Bewohnerinnen und Bewohner ist. Viele von ihnen wohnen mit viel zu vielen in den winzigen Appartements. Überall zeigen sich Risse im Bau, weshalb der designierte Bürgermeister Pierre beschließt, das Haus zu räumen. Aber wohin mit den Menschen? Eine Lösung gibt es nicht. Deshalb beschließt die junge Haby, für das Schicksal der Menschen zu kämpfen und tritt als Gegenkandidatin an. Autor und Regisseur Ly legt seinen Film zunächst aus beiden Perspektiven an, zeigt auch, wie schwer der Amtsantritt für Pierre ist. Im weiteren Verlauf verkauft der allerdings zunehmend seine Ideale und die Sympathie des Films liegt klar beim Kampf der Unterprivilegierten. Ein kraftvoller, wütender Film, der vielleicht nicht die erzählerische Stärke des Vorgängers erreicht, aber dennoch schmerzhaft nachhallt. LARS TUNÇAY

Niki de Saint Phalle

Niki de Saint Phalle

F 2025, R: Céline Sallette, D: Charlotte Le Bon, John Robinson, Damien Bonnard, 98 min

Niki de Saint Phalle (1930–2002) ist vielen vor allem durch ihre überdimensionierten, bunten und lebensfrohen Skulpturen ein Begriff, den »Nanas«. Doch ihre lebensbejahenden Werke haben einen ernsten Hintergrund, wie Céline Sallette eindrucksvoll in ihrem Biopic über die frühen Jahre der französisch-amerikanischen Künstlerin zeigt. Niki verdient ihr Geld zunächst als Model, heiratet jung und zieht mit ihrem ersten Mann, dem Schriftsteller Harry Mathews, in den fünfziger Jahren aus den USA nach Europa. Gemeinsam bekommt das Paar zwei Kinder und lebt ein fast bürgerliches Leben. Doch als ihr Mann eine Sammlung an Messern, Heckenscheren und anderen spitzen Gegenständen unter der Matratze entdeckt, ist Niki gezwungen, sich ihren Traumata aus einer von Missbrauch gezeichneten Kindheit zu stellen. Erst die Kunst bietet ihr einen Ausweg – aus der Vergangenheit, aus der Enge ihrer Ehe, aus toxischen Affären mit anderen Künstlern. Diese Kunstwerke bleiben dem Kinopublikum allerdings verwehrt. Kein einziges Bild von Niki de Saint Phalle ist im Film zu sehen. Die Leinwände, auf die Niki mit Dartpfeilen und Gewehren zielt, sieht man nicht; auch keine Nana. Da die Rechteinhaber ihre Kunst bisher nicht für Spielfilme freigegeben haben, musste Regisseurin Sallette kreativ werden. Das irritiert zunächst, zeugt aber auch von großem Mut, der mit einer Premiere bei den Filmfestspielen in Cannes belohnt wurde. Hanne Biermann

Mickey 17

Mickey 17

USA 2024, R: Bong Joon Ho, D: Robert Pattinson, Steven Yeun, Michael Monroe, 139 min

Nach einem geplatzten Geschäft muss Mickey die Stadt verlassen. Er sucht sich den am weitesten entfernten Ort aus, den er finden konnte: Niflheim. Der mediengeile Senator Kenneth Marshall sucht Kandidaten für eine Kolonie auf dem fernen Planeten. Der Andrang ist groß und Mickeys einzige Chance, an Bord zu kommen, ist, sich als »Expendable« zu melden. Sein Gehirn wird in eine Datenbank übertragen und sein Körper zum entbehrlichen Werkzeug. So wird Mickey schon bald als Versuchskaninchen für allerlei wissenschaftliche Experimente genutzt und nach seinem Ableben einfach neu gedruckt. Als Mickey Nummer 17 von einer Erkundungsmission nicht zurückkehrt, wird er für tot erklärt und neu gedruckt. Allerdings schafft er es zurück zur Basis und steht unvermittelt seinem Klon gegenüber. Oscarpreisträger Bong Joon Ho (»Parasite«) ist ein Meister darin, Gesellschaftskritik in Genrefilme zu verpacken. Wie die Comic-Adaption »Snowpiercer« ist auch »Mickey 17«, der auf einem Roman von Edward Ashton basiert, ein herrlich ätzender Kommentar auf politische Machtstrukturen im Gewand eines Science-Fiction-Films mit viel schwarzem Humor und absurden Ideen. Robert Pattinson gibt als 18-facher Hauptdarsteller absolut alles und ein glänzend aufgelegter Mark Ruffalo bietet eine herrliche Politikerparodie, irgendwo zwischen seinem Jammerlappen Duncan Wedderburn in »Poor Things« und Donald Trump. LARS TUNÇAY

Das Licht

Das Licht

D/GB/F 2025, R: Tom Tykwer, D: Tala Al Deen, Lars Eidinger, Nicolette Krebitz, 162 min

Seinen jungen Mitarbeitenden gegenüber gibt Tim Engels sich gern als liberaler Freigeist. Der Berliner Werbetexter inszeniert sich als Teamleader, der selbstbewusster wirkt, als er es eigentlich ist. Seine Frau Milena kümmert sich derweil in Kenia um ein Entwicklungsprojekt in den Townships, dem allerdings die Fördermittel des Ministeriums wegbrechen, weshalb sie im Dauerstress ist. Die Paartherapie treibt Tim und Milena eher auseinander, als sie einander näherzubringen. Unterdessen haben ihre beiden 17-jährigen Zwillinge Frieda und Jon daheim ihre ganz eigenen Probleme. In diese Familie kommt nun Farrah als Haushälterin. Die gelernte Psychologin floh aus Syrien und sucht sich explizit die Familie Engels aus, um bei ihnen zu putzen. Farrah wird zur Schulter, an die sich die Kinder anlehnen können, zum offenen Ohr für die Probleme der Eltern. Und verfolgt ihre ganz eigene Agenda. Welche das ist, offenbart Tom Tykwer erst im finalen Akt seines fast dreistündigen neuen Werks. Bis dahin sind wir mit den Figuren bereits durch alle Höhen und Tiefen einer familiären Beziehung gegangen. Tykwer, der hier auch wieder das Drehbuch verfasste, projiziert gesellschaftliche Verwerfungen auf den familiären Mikrokosmos und spiegelt sie zurück. Das gelingt dank eines hervorragenden Ensembles und dem Mut zum Stilbruch. »Das Licht« verlangt viel vom Publikum, ist aber eine Bereicherung, gibt man sich ihm vollends hin. LARS TUNÇAY