Rot leuchtet meine Gumminase, während ich selbstversunken auf dem Boden schaukle. Hin und her, längs und quer. Weich wird der runde Rücken. Bin ich ein Käfer, der auf die Beine kommen will? Ein Körperklaus oder Wackeldackel? Mein Körpergefühl mag sich nicht entscheiden, der Kopf bleibt ausgeschaltet, so gut es geht. Ich soll in mich hineinhören, wie auch immer das geht. Plötzlich schießt das rechte Bein nach vorn, damit verlagert sich mein Gewicht. Ich bekomme Schwung und ich lande in der Hocke. Besser: in einer Art Hocke, denn so stand ich noch nie da. Ich wusste bis eben gar nicht, dass ich so stehen kann. Aber es fühlt sich angenehm an. Seltsam, das zu sagen, wenn man in Socken über den Boden eines Tanzstudios wischt. Und dabei nicht mal allein ist, sondern sich mit einem Dutzend noch fremden Menschen im Raum befindet. Die alle ebenso mit roten Gumminasen selbstversunken auf dem Boden hocken – in Socken.
Wir befinden uns im Schnupperkurs der Leipziger Clownsschule »Spielend leicht«. Diese vier Stunden Kennenlernen sind die Voraussetzung für die Ausbildung, die die Schule anbietet. Dabei geht es nicht um das Vorbereiten auf Manege oder Bühne, sondern ums Training als sogenannter Kontaktclown. Das sind flexible Figuren, die leicht in Kontakt mit anderen treten können. Man kennt sie als Klinikclowns oder auch als clowneske Sterbebegleitung, in der Trauerarbeit oder Pädagogik. Der Figur öffnen sich Menschen rascher, das ist ein bisschen wie bei jenem Handpuppen-Kasper, mit dem das Theater der Jungen Welt vor einigen Jahren die Menschen zum Sprechen brachte in seinem Meckertheater (s. kreuzer 08/2018).
Diese Figur rührt am Archaischen, weckt vielleicht so leicht Gefühle, weil sie so archaisch ist. Der Clown hat sich aus dem klassischen Trickster-Motiv entwickelt – als die kosmische Ordnung durch Witz und Unsinn störendes Individuum ist dieser in vielen Mythen zu Hause. Jenseits von Gut und Böse stehend, treibt er seinen Schabernack besonders mit den Mächtigen. Loki zum Beispiel, ein Gott der nordischen Welterklärungsgeschichte, bringt den Menschenbeschützer Thor regelmäßig zur Weißglut, wenn er ihn in Gestalt des Feuers beim Wettfressen besiegt oder ein von diesem zu leerendes Trinkhorn magisch mit den gesamten Weltmeeren füllt. Im Mythos verkörpern die Trickster den Schauspieler par excellence: Diese clownesken Typen unterhalten die einfachen Menschen aufs Vortrefflichste.
Irgendwas lösen Clowns bis heute aus, und das kann man nutzen für Positives. »Wir wollen keine übergriffigen Clowns«, sagt Tanja-Marie Streller, die die Leipziger Clonsschule leitet. Deshalb ärgerte sie sich vor einigen Jahren auch so über das Phänomen der Horror-Clowns: Menschen in Clownskostümen erschrecken Passanten – teilweise unter Bedrohung mit (Schein-) Waffen. Bedrohliches oder gar Horror kommt in Strellers Schnupperstunde nicht auf. Ihrer Clownwerdung wohnen an diesem Tag 13 Leute bei, zwischen Mitte zwanzig und vierzig, die Mehrzahl weiblich. Und der Theaterredakteur mittendrin, für die ersten zwei Stunden. Doch Streller, die die Gruppe anleitet, gelingt es im Nu, Vertrauen untereinander zu wecken und die Erwachsenen zum respektvollen Miteinander-Spielen zu bringen. Nach kleiner Vorstellungsrunde beginnen wir mit dynamischen Spielen und Ballwerfen, die Körper warm und beweglich zu machen. Dann geht jeder in sich, sucht nach dem Clown oder clownesken Zügen seiner selbst, auch wenn das esoterisch klingt. Denn der Schnupperkurs ist bereits gezieltes Training. »Die Clownerie, die in euch steckt, wollen wir hervorholen«, sagt Streller. »Wir stülpen nichts über. Wir lehren euch Techniken.«
Streller ist selbst Bühnen- und Klinikclownin sowie Theatertherapeutin, hat mehrere Ausbildungen in diesen Bereichen absolviert. Sie hat schon früh semiprofessionelles Theater gespielt und dabei gemerkt, dass sie nicht so sehr die Bühne interessiert, sondern vor allem Körpersprache und deren Kraft: »Ich wusste, ich will etwas zum Ausdruck bringen im Spiel, aber nicht im Sprechtheater.« Also wurde sie Clownin und Dozentin.
Im Kurs betont sie, dass sie uns anleitet, nicht führt: »Ich bin hier nicht die Regisseurin.« Sie hilft den Teilnehmenden, aus sich zu schöpfen. Die Nase ist vielleicht die kleinste Maske der Welt, sie verleiht ein gewisses Schutzgefühl, aber eine Rolle spielen wir nicht. Es geht viel um Körperwahrnehmung und Gewähren-Lassen, der Intuition und dem ersten sprudelnden Gedanken zu folgen. »Im Moment sein, Mut haben, ja zu sagen«, nennt das die Dozentin. Von Natur aus ein lustiger Mensch zu sein, reiche nicht für die Ausbildung. »Es geht nicht ums beabsichtigte Verkleiden. Kreativ sein, sich verwandeln, spielen, Emotionen zeigen und viele Farben der Persönlichkeit zeigen, das wollen wir. Zur Rampensau bilden wir nicht aus.«
Nach dem Schnupperkurs kann man die einjährige Modulausbildung zum Kontaktclown beginnen. Im März 2025 startet der nächste Kurs, bewerben sollte man sich besser schon jetzt, so Streller. Gefördert wird die Ausbildung durch das Kompass-Programm für Soloselbstständige, die Sächsische Aufbaubank und Bildungsgutscheine. Auch jenseits einer Ausbildung kann man etwas aus der Anleitung zum Clown mitnehmen und verinnerlichen – ob als Trainerin, Lehrer oder als Haltung fürs Leben. Denn über Stunden mit Muße mit sich beschäftigt zu sein, auch am Boden herumwippend, hat ein befreiendes Gefühl.
Auf Clowns setzt übrigens sogar die NASA. So hat der Anthropologe Jeffrey Johnson von der University of Florida die Dynamik kleiner Gruppen in Arktis- und Südpolstationen untersucht. Ihn interessierte, welche inoffiziellen Ämter in der Gruppe besetzt werden und was das für den Gruppenerfolg bedeutet. Hier kommt den Clowns eine wichtige Rolle zu, also den Komikern und Geschichtenerzählern. So hatte Antarktispionier Roald Amundsen einen lustigen Koch dabei, ohne den die Gruppe vielleicht zerbrochen wäre. Denn wenn Teams unter Druck geraten, helfen Lacher oder Stimmungsaufheller. Darum achtet nun die NASA beim Zusammenstellen von Weltraumteams darauf, solche Typen zu integrieren.