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Kultur

Vorstufe zum richtigen Leben

Coming-of-Age im Dreierpack: »BEN X«, »Paranoid Park« und »Glue« sind neue filmische Ansichten über jugendliche Subkultur, Parallelwelten und Selbstfindung – ab 30. Mai läuft der neue Gus Van Sant im Cineding

  Vorstufe zum richtigen Leben | Coming-of-Age im Dreierpack: »BEN X«, »Paranoid Park« und »Glue« sind neue filmische Ansichten über jugendliche Subkultur, Parallelwelten und Selbstfindung – ab 30. Mai läuft der neue Gus Van Sant im Cineding

Jugendlich sein ist anstrengend. Die unbeschwerten Kinderjahre sind vorbei, aber die große Freiheit liegt noch in weiter Ferne. Eingeklemmt zwischen Familie und Schule wartet eine Welt darauf, am Ende des 18-jährigen Tunnels entdeckt zu werden. Doch wohin in der Zwischenzeit mit dem eigenen Unverständnis und den endlosen Träumen?

Jugendlich sein ist anstrengend. Die unbeschwerten Kinderjahre sind vorbei, aber die große Freiheit liegt noch in weiter Ferne. Eingeklemmt zwischen Familie und Schule wartet eine Welt darauf, am Ende des 18-jährigen Tunnels entdeckt zu werden. Doch wohin in der Zwischenzeit mit dem eigenen Unverständnis und den endlosen Träumen?

Weil sich das nicht nur die Generation der 12- bis 25-Jährigen selbst fragt, sondern auch alle, die die pink begürtelten Hüfthosenträger oder die schwarz-weiß bemalten Lackledertypen nicht verstehen oder gerne so wären wie sie, ist die Jugend in aller Munde. Seit jeher. Im Mai gibt es gleich drei Coming-of-Age-Filme, in denen junge Suchende im Mittelpunkt stehen, betrachtet aus ganz unterschiedlichen Perspektiven.

»BEN X«, das Regiedebüt des belgischen Schriftstellers Nic Balthazar, kreist um das ganze kleine Universum des Jungen Ben. Die Kommunikation zwischen ihm und seiner Außenwelt beschränkt sich auf scheue Blicke. Stark wird er dort, wo er sich sein Ich selbst zusammensetzen kann, fern von dem Bild, das er jeden Morgen im Spiegel ansehen muss: im Onlinespiel »Archlord«. Als mutiger Held besiegt er seine Gegner und verliebt sich sogar in eine Frau. Im echten Leben undenkbar. »Asperger Syndrom«, eine leichte Art von Autismus, diagnostizieren die Ärzte. Doch geholfen hat ihm das Wissen nicht. Von seinen Mitschülern gehänselt bis an die Grenzen der Demütigung, will er endlich Schluss machen. Das ist der Plan.

Weil die Diskussion um die Egoshooter spielenden Jugendlichen und die Gewalt an den Schulen immer wieder aufflackert und auch Balthazars Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruht, kratzt »BEN X« am Nerv der Zeit. Durch geschicktes Verweben von echten und animierten Bildern und zeitweise wackeligen Handkameraeinstellungen versucht der Film, Bens Ängste und seine verzerrte Sicht auf die Realität nachzuempfinden. Immer wieder sieht er anstelle seiner drangsalierenden Mitschüler computeranimierte Bösewichte.

Doch das Leben ist eben kein Spiel. Auch wenn das schön wäre. So wie die amouröse Verbindung zu Scarlite, seiner Heilerin. Was letztlich wirklich passiert und was nicht, bleibt der eigenen Imagination überlassen.

Gerade weil »BEN X« wichtige Themen wie die Flucht in die Cyberwelt, die Auseinandersetzung mit dem Anderssein und der dabei fehlenden Toleranz -anspricht, ist es schade, dass Greg Timmermans als Ben zu alt scheint für seine Rolle. Manchmal unförmig kommen seine Bewegungen daher, gestelzt wirkt seine Angst. Dennoch wirft der Film einen Blick in die fremde Welt, ist bereit, verstehen zu wollen.

»Paranoid Park« (Regie: Gus Van Sant)
Anders ist das in »Paranoid Park«, dem neuen Film von Gus Van Sant. Denn ähnlich wie in seinen früheren Filmen, »Good Will Hunting« (1997), »Gerry« (2002) und »Last Days« (2005), in denen er sein Interesse für unangepasste Jugendliche bezeugte, psychologisiert er seine Figuren nicht offensichtlich. Es liegt ihm fern, die moralischen Beweggründe seiner Protagonisten zu eruieren. Und so ist »Paranoid Park« in dem Sinne paranoid, als ein extrovertierter Blick mit einem introvertierten Jungen kollidiert: Alex ist der coole Typ mit dem Basecap, der eines Tages mit seinem Freund Jared den Skatepark unter einer der Brücken in Portland aufsucht. Eigentlich kein Ort, an den Jugendliche aus den besseren Gegenden der Stadt allein hingehen sollten. »Wie es dir auch gerade geht, diese Typen trifft es viel schlimmer«, kommentiert Alex den subkulturellen Szenetreff. Doch der Reiz siegt und eines Nachts kommt es zu einem schicksalhaften Ereignis mit tödlichen Ausgang, das sich zum traumatischen Kern des Film entwickelt.

Mit eingewebten poetischen Super-8-Skaterfilmen, verschachtelten Szenenkonstruktionen und der subtilen Unterwanderung einer schwer wiegenden Geschichte durch leichte Popsongs, findet der Regisseur nach seinen missglückten »Last days« zu alter Höchstform zurück. Eine moderne Version von »Schuld und Sühne in der Skaterwelt«, wie der Regisseur selbst sagt, liegt unter der oberen Wahrnehmungsebene.

Denn auf den ersten Blick verdrängt Alex das Geschehene. Im zweiten Bewusstseinsstrom aber stellt sich die Frage nach der Selbstgewissheit, der Auseinandersetzung mit der eigenen Verantwortung und der moralischen Beziehung zu Gut und Böse. Im Gegensatz zu »BEN X« wird Alex aber nicht zum Helden oder zum Opfer stilisiert. »Paranoid Park« ist ein Film wie das Skaten selbst: eine sichere Bewegung auf unebenem Terrain. Was bleibt, ist ein flüchtiger Eindruck.

»Glue« (Regie: Alexis Dos Santos)
Weniger distanziert nähert sich Regiedebütant Alexis Dos Santos seinen drei Jugendlichen, die in der patagonischen Einöde ihre Zukunft herbeiträumen. Durch warme Wüstenbilder und jung gebliebenen Schrammelpunk hinterlässt »Glue« einen wunderbar poetischen Nachgeschmack über das Erwachsenwerden und weht wie ein leichter Sommerwind durchs Gemüt.

Der Film ist ein fiktives Super-8 Tagebuch des 15-jährigen Lucas und seiner Freunde Nacho und Andrea, die in ihrer tiefpubertären Phase sich selbst, ihre Sexualität und auch sonst alles austesten, was klebt und das Bewusstsein verändert. In »Glue« reichen, im Gegensatz zu »Paranoid Park« und »BEN X«, die auratisierten Alltagsrealitäten der Jugendlichen völlig aus, um sich und ihre Beziehung zur Welt zu erforschen.

»Worin liegt der Unterschied, einen Jungen und ein Mädchen zu küssen?« Sensibel, aber unpathetisch erzählt Lucas von seinen Gedanken und Gefühlen. Die Erwachsenen spielen in dieser selbstreflexiven Entwicklung, wie auch in »Paranoid Park«, nur eine Nebenrolle. Zum Glück. Denn am Ende muss jeder seinen Weg selbst gehen. Am besten mit denen, die gerade die gleiche Richtung einschlagen.

Nicht umsonst besangen Tocotronic den Wunsch, Teil einer Jugendbewegung zu sein. Die, die das Tal der Jugend schon verlassen haben, können nur zuhören, dabei sein. Mehr nicht. Und nur gut, dass Erfahrungen nicht übertragbar sind, sonst wäre die Jugend zwar weniger anstrengend, aber mindestens genauso wenig aufregend.


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