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Auf dem linken Auge ziemlich trüb – zum Interview »Das ist Alarmismus«

Zu einem Leserbrief von Reinhard Bohse

  Auf dem linken Auge ziemlich trüb – zum Interview »Das ist Alarmismus« | Zu einem Leserbrief von Reinhard Bohse

An dieser Stelle beantworten kreuzer-Redakteure ausgewählte Leserbriefe. Aktuell reagiert kreuzer-Interviewparter Prof. Dr. Ulrich Bröckling auf einen Leserbrief zum Interview »Das ist Alarmismus« vom 11. Juni auf kreuzerONLINE:

Zwar teile ich die Ansicht, dass im Moment von den sogen. Radikalen Linken keine Gefahr für die Demokratie ausgeht, aber dass sie undemokratisch agieren, manchmal gewalttätig, daran besteht leider kein Zweifel. Und in diesen Formen zu agieren, da werden sie bestärkt von einem Professor, der offensichtlich »trüb auf dem linken Auge« ist. Kürzlich stürmten hundert dieser »radikalen Linken« die »Runde Ecke« und verhinderten gewalttätig eine offene Diskussion, den demokratischen Diskurs.*** Geschenkt, könnten wir sagen, das Bürgerkomitee hat ganz andere Situationen durchgestanden. Aber dieses »Auftreten« verklärt der Herr Professor: Die »radikalen Linken« würden sich in Bezug auf »Freiheit, Vielfalt und menschliche Entwicklung fundamental« von anderen Extremisten unterscheiden. Bei solchen Äußerungen fühle ich mich verhöhnt. Als hätte es »radikale Linke« wie Stalin, Mao und Pol Pot, die Millionen umbrachten, nie gegeben. Auch sie bezweckten immer nur das Beste, sie propagierten Menschlichkeit bis sie an der Macht waren, in Russland, in China, in Kambodscha und in Ostdeutschland nach 1945. Die Sozialdemokraten können ein Lied davon singen, vor allem diejenigen, die sich 1946 hoffnungsfroh mit den »radikalen Linken« verbündeten. Kurz danach fanden sie sich, wenn sie nicht klein begaben, für Jahre in DDR-Zuchthäusern wieder. Von Freiheit und Vielfalt keine Spur. Hat der Herr Professor das alles schon vergessen? Sollte er nicht den jungen »radikalen Linken« die Gefährlichkeit und Irrationalität ihres Tuns vor Augen führen? Warum lernen diese jungen Leute an Schule und Uni nicht, was Demokratie und demokratische Streitkultur bedeuten? Die jungen Leute sollten auch erfahren, dass es nicht selten gerade diese Aufmüpfigen waren, die – im Namen von Freiheit und Brüderlichkeit – in kommunistischen Staaten elendig umgebracht wurden. Jede Debatte über den »Extremismusbegriff« wird unsinnig, wenn man keine Ahnung von Geschichte hat. Die erste Demokratie in Deutschland ist nicht nur, aber vor allem deshalb untergegangen, weil die Nationalsozialisten einerseits und die »linken Radikalen« andereseits extreme Feinde der Demokratie waren. In dieser Situation sind wir nicht, aber wehret den Anfängen – von radikal links wie von radikal rechts. Freundliche Grüße Reinhard Bohse

*** Traurig ist, dass der Kreuzer ungeprüft auf den »linken ideologischen Leim« gegangen ist und Herrn Jesse in eine Ecke stellt, in der er gerade ideologisch zu passen scheint (Was heißt »in schrillen Tönen«??). Ich bin keineswegs in jedem Fall der Meinung von Jesse, halte aber die demokratische Kultur von Streit und Diskurs für fundamental.

Sehr geehrter Herr Bohse,

die Redaktion des kreuzer hat mich gebeten, eine Antwort auf Ihren Leserbrief zu verfassen.

Was Sie schreiben, bestätigt meine Diagnose des »Alarmismus«: In dem – anderthalb Wochen vor der Veranstaltung mit Eckhard Jesse in der »Runden Ecke« geführten – Interview ging es um den Vorwurf des Extremismus, dem sich verschiedene linke Initiativen in der Stadt u. a. durch die LVZ ausgesetzt sehen. Ich habe diesen Begriff kritisiert, weil er rechts und links gleichsetzt und im übrigen wenig erklärt. In diesem Zusammenhang habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass sich die politischen Vorstellungen und Aktionsformen dieser Gruppen grundlegend von denen rechter Schlägertruppen unterscheiden, mit denen sie unter dem Etikett »Extremismus« in einen Topf geworfen werden. In Ihrem Leserbrief ziehen Sie eine Linie von den »radikalen Linken« in Leipzig zu Mao, Stalin und Pol Pot. Man muss kein Linker sein, um die Absurdität dieses Vergleichs zu erkennen. Das Gedenken an die Opfer vergangenen Terrors verbietet es, ihr Leiden als politische Allzweckwaffe zu instrumentalisieren. Geschichtslos ist eine Manie des Vergleichen-Müssens, die Veranstaltungsstörungen und Silvester-Krawalle mit staatlich organisiertem Massenmord in Verbindung bringt.


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