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Kultur

»Man kann das Ding nicht einfach zumachen«

Berlinale 2009: Hans-Christian Schmid über seinen Wettbewerbsfilm »Sturm« und die politischen Zwänge am UN-Kriegsverbrechertribunal

  »Man kann das Ding nicht einfach zumachen« | Berlinale 2009: Hans-Christian Schmid über seinen Wettbewerbsfilm »Sturm« und die politischen Zwänge am UN-Kriegsverbrechertribunal

Nach Filmen wie »23«, »Crazy«, »Lichter« oder »Requiem« legt Hans-Christian Schmid seinen neuesten Regiestreich vor. In einer dicht verwobenen Mischung aus Thriller und Drama beschäftigt sich »Sturm« mit einem fiktiven Fall am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, dem sogenannten UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag.

Nach Filmen wie »23«, »Crazy«, »Lichter« oder »Requiem« legt Hans-Christian Schmid seinen neuesten Regiestreich vor. In einer dicht verwobenen Mischung aus Thriller und Drama beschäftigt sich »Sturm« mit einem fiktiven Fall am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, dem sogenannten UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag.

kreuzer: Ist der Bosnienkrieg nicht eigentlich Schnee von gestern?

HANS-CHRISTIAN SCHMID: Überhaupt nicht. Uns beschäftigen noch heute die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs. Der Bosnienkrieg ist gerade mal eineinhalb Jahrzehnte her. Die Aufarbeitung erfolgt noch äußerst zögerlich. Und die Arbeit des Tribunals, mit der der Film sich in erster Linie beschäftigt, ist sehr gegenwärtig.

kreuzer: Wie sind Sie auf das Thema gekommen?

SCHMID: Bernd Lange und ich suchten nach »Requiem« einen Stoff für einen Thriller. Uns beiden liegen weniger die zeitgenössischen Thriller als die des New Hollywood, weil sie sich mit gesellschaftlich-politischen Zusammenhängen beschäftigen. Das war die Basis für »Sturm«. Irgendwann las ich dann einen Artikel über eine Anklägerin in Den Haag: Hildegard Uertz-Retzlaff.

kreuzer: War sie das unmittelbare Vorbild für die Figur der Hannah?

SCHMID: Das nicht. Aber die Begegnung mit ihr war ein Schlüsselmoment, um über diesen Stoff zu schreiben.

kreuzer: Wie haben Sie Hildegard Uertz-Retzlaff erlebt?

SCHMID: Sie ist eine unscheinbare Frau um die fünfzig mit grauen Haaren, sehr uneitel und hat eigentlich wichtigere Dinge zu tun, als zwei Drehbuchautoren Auskunft zu geben. In ihrem kleinen Büro stapeln sich die Aktenordner mit den gruseligsten Kriegsverbrechen bis unter die Decke. Dort sitzt sie nun jeden Tag und bereitet sich auf die Prozesse vor. Und man fragt sich: Was ist dort nach einem Jahrzehnt mit jemandem wie ihr passiert? Ist sie resigniert? Gibt es eine Déformation professionnelle? Ist ihr Idealismus einem Pragmatismus gewichen? Lässt sie sich in den Verfahren zu Deals hinreißen?

kreuzer: Wie viel von Ihrer eigenen Person steckt da drin?

SCHMID: Ich kenne dieses Gefühl. Es geht um Integrität. Wie stark kann man sich verbiegen? Wie viel ist von der ursprünglichen Intention noch übrig? Das ist für mich der Kern dieses ganzen Films.

kreuzer: Hannah ist die eine der beiden Hauptfiguren, die gegen die Mühlen der Gerichtsmaschinerie ankämpfen. Die andere ist Mira, die im Krieg zum Opfer wurde und nun als Zeugin aussagen soll. Was interessiert Sie an ihrer Perspektive?

SCHMID: Da prallen unterschiedliche Bedürfnisse aufeinander. Die Zeugen wollen ihre Geschichte erzählen. Das ist für manche ein kathartisches Erlebnis. Andere fühlen sich ausgenutzt, weil sie vor Gericht einfach nur funktionieren müssen und bloß einen kleinen Ausschnitt ihrer Geschichte erzählen dürfen, weil für mehr keine Zeit ist. Das ist für viele traumatisierend.

kreuzer: Anders als der ständige Internationale Strafgerichtshof ist das Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien von vornherein für eine begrenzte Zeit angelegt. Vor sechs Jahren hat der UN-Sicherheitsrat das Tribunal aufgefordert, seine Arbeit 2010 zum Abschluss zu bringen …

SCHMID: … Was eigentlich nicht sein kann, weil man das Ding nicht einfach zumachen kann. Das Tribunal sollte seine Arbeit beenden, wenn alles fertig ist, und nicht, weil die UN den Geldhahn zudreht. Schließlich müssen die Angeklagten auch in Berufung gehen können. Und wer weiß, ob Mladić noch gefasst wird. Andererseits ist eine zeitliche Begrenzung sinnvoll, weil die Gerichtsbarkeit wieder in die einzelnen Länder zurückgeführt werden soll …

kreuzer: … wo dann die kleineren Prozesse verhandelt werden …

SCHMID: … Die Frage ist nur, wie das Tribunal beendet werden soll.

kreuzer: Welche Auswirkungen hat der politische Druck auf das Tribunal?

SCHMID: Häufig kommt durch den Zeitdruck nur die halbe Wahrheit ans Licht, weil bestimmte Deals vereinbart werden, die die Prozesse abkürzen sollen. Hinzu kommt, dass die Justiz inmitten von politischen Prozessen wie den EU-Beitrittsverhandlungen operiert. Die Zusammenarbeit mit dem Tribunal wird da oft als politisches Druckmittel verwendet. Umgekehrt genoss etwa Milošević lange Zeit Immunität, weil er ein Ansprechpartner für westliche Politiker war – da hätte eine Anklage im Weg gestanden.

kreuzer: Der ehemalige Gerichtspräsident Fausto Pocar ist der Meinung, dass diese Verkürzung der Prozesse notwendig ist, um die Angeklagten nicht jahrelang in Untersuchungshaft sitzen zu lassen. Wie sehen Sie das?

SCHMID: Das ist alles zweischneidig. Ich finde es nachvollziehbar, wenn Fausto Pocar sagt, dass jeder Angeklagte so lange unschuldig ist, bis seine Schuld bewiesen wurde. Aber vom Scheitern oder Gelingen dieses Tribunals hängt eben auch ab, ob es nach den Nürnberger Prozessen oder dem Ruanda-Tribunal weiterhin eine internationale Gerichtsbarkeit geben wird. Und für die Nachkriegsgesellschaft auf dem Balkan, die sich komplett im Umbruch befindet, sind Wahrheit und Gerechtigkeit die Basis für einen erfolgreichen Befriedungsprozess.


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