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Kultur

»Ich werde mich nie nackt in einen Glaskasten stellen«

Die Leipziger Band A heart is an aiport über Selbstdarstellung, den Krach im Internet und ihre gemeinsame Suppe

  »Ich werde mich nie nackt in einen Glaskasten stellen« | Die Leipziger Band A heart is an aiport über Selbstdarstellung, den Krach im Internet und ihre gemeinsame Suppe

Vielleicht sollte man ein Interview nicht erst zwei Stunden vorher verabreden. Ich komme zu spät. A heart is an airport-Sänger Patrick Sudarski kommt noch später und erzählt, dass Bassist Fabrizio wahrscheinlich in einer halben Stunde auftauchen wird. Eine Minute später kommt Fabrizio Steinbach rein. Wir fangen gerade an, als Gitarrist und Orgler David Jonathan das Hotel Seeblick betritt.

Vielleicht sollte man ein Interview nicht erst zwei Stunden vorher verabreden. Ich komme zu spät. A heart is an airport-Sänger Patrick Sudarski kommt noch später und erzählt, dass Bassist Fabrizio wahrscheinlich in einer halben Stunde auftauchen wird. Eine Minute später kommt Fabrizio Steinbach rein. Wir fangen gerade an, als Gitarrist und Orgler David Jonathan das Hotel Seeblick betritt.

PATRICK: (überrascht) Du schon hier? Wie war’s beim Zahnarzt?

DAVID: Fantastisch! Großartig!

PATRICK: Wir sind nämlich beim selben Zahnarzt.

kreuzer: Und ihr wohnt auch alle zusammen…

FABRIZIO: Alle, außer mir. Ich wohne mit meiner Familie. Aber ich habe die Jungs sehr in mein Herz geschlossen.

kreuzer: Gibt es bei so guten Freunden Hierarchien in der Band?

F: Nee, es kommt kein einzelnes Ego besonders zum Tragen. Klar, es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Patrick hier der Sänger ist und die Songs schreibt. Er bringt die dann zu uns in den Raum.

P: Ich komme aber nicht und schreie: »So will ich das jetzt haben!« und drücke meine Vision durch. Das funktioniert ja nicht. Aber wir streiten uns auch kaum. Das kann natürlich daran liegen, dass uns keiner unter Druck setzt. Hier geht es ja noch nicht mal um Geld.

kreuzer: Ist das euer Ziel, dass es mal um Geld geht?

P: Wenn du das konzeptionell angehst, dann bist du ganz schön dumm. Ich finde es aber auch nicht frech, sich zu wünschen, dass da mal ne Mark bei rumspringt. Ich spiele jetzt seit zehn Jahren in Bands und habe immer nur draufgezahlt. Schön wär’s schon, aber da macht sich hier keiner Illusionen.

kreuzer: Bei eurem neuen und ersten Album »Your Loudest Is Not Your Bravest« habt ihr alles alleine gemacht. Aber ihr seid bei einer Bookingagentur …

P: Ich finde, dass eine gute Bookingagentur heutzutage das wichtigste für eine Band ist. Denn was heute auf der Ebene von Kleinst-Indiebands passiert, kann man mit etwas Anstrengung und Aufwand fast alleine wuppen. Solange wir das schaffen, auch zeitlich, sollten wir das nicht aus der Hand geben.

D: Ich meine, wenn jetzt ein Angebot kommt, dann sagen wir auch nicht unbedingt nein.

kreuzer: Ein Label rentiert sich aber nicht?

P: Du musst heutzutage als Band ja schon unglaublich viel mitbringen. Du brauchst ein Netzwerk aus Grafikern, Bookern etc. – also talentierte Kreative, die was für dich machen und zwar im Idealfall für null Komma gar nichts. Und wenn du das nicht hast, dann stehst du ganz schön beschissen da, weil das geradezu von dir verlangt wird. Wir haben zum Glück immerhin zwei, drei Leute, die uns weiterhelfen, wofür wir sehr dankbar sind, weil es uns einen Schritt weiterbringt. David ist zum Beispiel grafisch auch sehr begabt. Der hat diese Grafik hier zusammengestellt (siehe Bild oben, Anm. d. Red.) und das Video aus dem Studio auf unserer Myspace-Seite aufgenommen … und ist ein begnadeter Musiker. (alle lachen)

F: Aber wenn sich die Labels nun um uns schlagen, müssen wir die Karten doch noch mal neu mischen. Wir jonglieren hier auch mit dem Glück. Wenn wir das hier groß mit Management und Pipapo aufziehen würden, dann könnte man bestimmt auch was erreichen. Aber ich werde mich nicht nackt in einen Glaskasten stellen. Das könnt ihr euch gleich hinter die Ohren schreiben.

P: Es ist halt schade, dass es dieses Dazwischen nicht mehr gibt, in dem wir uns ganz wohl fühlen. Also zwischen dem Universal-Deal mit 300.000 € Vorschuss und nackt im Glaskasten tanzen, und dem kleinsten Indie, wo man sich nicht mal zehn Euro für die Sticker leisten kann. Der ganze Raum dazwischen ist ja weitestgehend verschwunden. Daher schauen wir halt, dass wir das erstmal alleine hinkriegen.

F: Es macht ja auch Spaß, das selbst in der Hand zu haben. Aber für einen Kasten Bier im Jugendhaus spielen wir nicht mehr. Die Zeiten sind vorbei, jeder hat ja auch noch ein anderes Leben nebenher. Außerdem habe ich auch gar nichts davon, Jungs: Ich trink kein Bier!

P: Und zum Nichtrauchen muss man auch aus dem Auto steigen.

D: So viel zum Thema Basisdemokratie.

kreuzer: Und die Platte bringt ihr jetzt über Konzerte und übers Internet an den Mann?

D: Über Konzerte. Aber übers Internet wäre ja auch mal eine Idee …

P: Ja, das machen wir mal. Plattenladen-Verkäufe laufen gar nicht mehr für Indiebands. Du kannst Rezensionen in Intro, Spex und überall haben – da geht echt gar nichts. Ich habe das ja mit Palestar erlebt, da hatten wir lauter gute Besprechungen und insgesamt haben wir 50 CDs in Läden verkauft. Da mache ich mir den Stress einfach nicht. 50 Platten verkaufen wir bei zwei, drei Konzerten, da binde ich mich doch nicht an ein Label und kaufe denen dann die Platte wieder für 6 Euro ab.

F: Ja, du hast 100 Prozent mehr davon, wenn du die selber an den Mann bringst.

P: Solange wir keinen Praktikanten einstellen müssen, der die CDs eintütet, weil die Anfrage so groß ist, läuft das ganz gut.

kreuzer: Euer Album heißt »Your Loudest Is Not Your Bravest« – was wollt ihr damit sagen?

P: Es geht darum, dass es nicht immer wertvoll ist, wenn man sich überspitzt und übertrieben darstellt. Dass man viel mehr sagen kann, wenn man es leiser, direkter und ehrlicher sagt, als wenn man mit der Faust auf den Tisch haut. Egal wo du hinguckst: alles ist laut, macht Krach, und ist zuviel. Mir fehlt da manchmal was Heimeliges, was Ursprüngliches, also etwas Tiefvertrautes.

kreuzer: Hast du nichts Vertrautes um dich herum? Hat man nicht immer was Vertrautes um sich herum?

P: Nicht genug. Wenn du dir das Webding mal anguckst, diese ganze Selbstdarstellung, das ist für mich laut. Sich profilieren schreit. Das ist was anderes, als sich an den Tisch zu setzen und eine Flasche Wein aufzumachen. Der Titel ist eine Zeile aus einem Song, in dem es um den Community-Gedanken geht – und zwar um den hier und nicht den im Kasten.

kreuzer: Aber profiliert man sich nicht auch, wenn man sich zusammen an einen Tisch setzt?

D: Klar schmückst du dich immer mit irgendetwas, vor allem beim ersten Eindruck, das ist dann laut. Aber erst, wenn du dich ruhig mit deinen Freunden zusammensetzt, kannst du dich wirklich austauschen.

P: Nur ein Beispiel: Der Stimmungsstatus auf MySpace oder Facebook. Überleg mal wie viel du da von dir preisgibst. Wildfremden Menschen, die nichts mit deinem Leben zu tun haben. Nur um Mitleid und Anteilnahme zu erhaschen – und das auch noch auf eine coole Art. Das geht mir auf den Keks und führt zu einer Entfremdung.

F: Man kennt viele, aber keinen mehr richtig.

kreuzer: Klar, Selbstdarstellung hat im Internet eine neue Form erreicht. Aber ich glaube nicht, dass die Menschen sich grundsätzlich geändert haben.

P: Doch! Die Menschen sind vielmehr in dem Wettbewerbsgedanken gefangen. Ob du das bist als Privatperson, oder als Band und Künstler. Und dieser Wettbewerb entsteht eben genau dort und da habe ich persönlich keinen Bock drauf. Die Frage ist: Nimmst du’s an? Und eigentlich musst du es gerade im Künstlerischen annehmen. Oder sagst du: Wir machen unser Ding, bleiben zurückhaltend und schauen mal, wie weit wir kommen.

F: Wir wollen aber nicht nur eine Probekeller-Band sein.

P: Das ist damit auch nicht gemeint. Aber wir wollen die Leute gerne anders kriegen, als ihnen alles ins Gesicht zu schmeißen und zu sagen: Du frisst das jetzt.

D: »Your Loudest Is Not Your Bravest« kann aber natürlich jeder selbst interpretieren.

P: In meinen Texten gibt es sowieso Sub-Ebenen, die ich selber nicht verstehe. Wenn man intuitiv schreibt, merkt man, dass es dazu immer eine Situation gegeben hat, die man selbst erlebt hat. Aber das würde ich dir jetzt ohne acht Schnaps nicht erzählen.

kreuzer: Acht Schnaps, bitte!

P: Na, so spannend ist es vielleicht auch nicht. Ich mag es eben, wenn Sachen als Statement so dastehen und auf mehreren Ebenen verstanden werden können.

kreuzer: Wie entstehen denn eure Songs?

D: Patrick schreibt die groben Sachen: Er macht sozusagen das Wasser mit der Hühnerbrühe heiß und wir mixen das dann zu einer leckeren Suppe.

P: Dann mach ich ja einen Scheiß.

D: Nee, Hühnerbrühe schmeckt ja auch schon so.

P: Oder ich stell den Topf auf den Herd und ihr macht das Essen.

D: Nee, du machst den Kuchenteig, den man auch so nascht und wir machen die Kirschen drauf.

F: Und Zucker und Sahne. Auf jeden Fall müssen zum Schluss alle vier Köpfe zufrieden sein.

D: Ich bin zufrieden. Ich entspanne total in der Gruppe, ich schalte richtig ab. Es war bis jetzt bei jedem Konzert so, dass in dem Moment, wo wir anfangen zu spielen, so eine Art Yoga für mich beginnt.

F: Eigentlich ist die Frage ja: Wenn du nur die Musik magst, warum reicht es nicht, die im Proberaum zu spielen? Aber ich will die Leute teilhaben lassen an dem, was da entstanden ist. Ich will Emotionen hervorrufen.

P: Das klingt jetzt nach Hippiekram, aber es ist tatsächlich so. Wenn wir auf einer großen Bühne spielen, wie wir es z.B. vor Polarkreis 18 gemacht haben, dann bestehen wir darauf, nur ein Drittel der Bühne zu nutzen, einfach um näher beieinander zu sein. Wir sind nicht die Typen, die auf einer 18 Meter-Bühne mit großem Trara posen.

kreuzer: Das würde auch nicht ganz zu eurer Musik passen.

F: Ich hab auch schon Singer-Songwriter komische Posen machen sehen oder Wortakrobatik. Aber bei uns soll das ehrlicher rüberkommen. Also ohne viel Firlefanz.

P: Bei vielen Bands geht es gerade im Indiebereich darum, komplett alles neu zu erfinden, was heutzutage fast unmöglich ist. Uns ist es wichtig, in drei Minuten eine Botschaft zu vermitteln, die funktioniert. Mein Ansatz ist: Ist das noch ein guter Song, wenn ich die Platte in fünf Jahren aus dem Regal ziehe?

kreuzer: Welche Botschaften sind das?

F: Es gibt z.B. zwei Songs im Set, die ohne Sprache funktionieren. Da spielst du zu viert denselben Ton und bekommst plötzlich Gänsehaut. Das ist eine Kommunikation, die auch nonverbal funktioniert.

P: Was auch daran liegen kann, dass ich früher hauptsächlich Gaga-Texte gesungen habe. Textlich und inhaltlich geht es schon meistens um den Clinch, den ich mit mir oder meinem Umfeld habe, also das Abarbeiten der Realität. Aber das ist nicht immer der Ansatz, einen Song zu schreiben, es gibt auch Charakterstudien. Im Song »Mad Scientists have hearts, too« geht es z.B. darum, dass das, was mal unter Magie verstanden wurde, zu Wissenschaft wurde und die ganzen magischen Momente im Leben einfach verloren gehen, wenn man sich alles erklären kann. Der Song drückt ein Bedürfnis nach mystischen Momenten aus.

F: Da stehen aber keine Belehrungen oder Aufforderungen dahinter, von wegen »You must dance« oder »Party, party!«.

P: Früher habe ich viele düstere Lieder geschrieben, die sehr persönlich waren. Da gab es keinen Spielraum, sondern es war klar: Der Typ hat ein Problem mit seiner Umwelt. Auf dem aktuellen Album haben jetzt aber mindestens 50 Prozent der Songs einen extremen Charakter, der Hoffnung in sich trägt. Songs, die einen an die Hand nehmen und sagen: »Ist doch gar nicht so arg«.

kreuzer: Also nicht mehr nach dem Motto »Meine Umwelt pisst mich an«, sonder eher »Es ist zwar gerade scheiße, aber morgen wird alles besser«?

P: Ja. Wenn man älter wird, lässt man sich vielleicht nicht mehr so gehen, sondern sieht auch eine Perspektive. Und vor dem Hintergrund zu schreiben, erscheint mir jetzt sinnvoller. Das ist wie so ein Hollywoodfilm: Am Schluss kommt das Happy End.

kreuzer: Ihr seid also eigentlich ganz fröhliche Jungs.

F: Ja, wir sind auch alle gut in Leipzig gelandet. Airport ist gut gelandet.

P: Unsere Musik wird missverstanden, wenn man sie für traurig hält. Sie ist hoffnungsvoll.

D: Unsere Musik ist wie das Leben.

P: (lacht) Ja, genau das ist es.

Ein Superschluss. Genau in diesem Moment taucht Schlagzeuger Sven Michaelson auf. Und er ist wirklich zu spät.


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