Unsere »kreuzer-Auslandskorrespondentin« Ele Jansen hat sich auf große Fahrt begeben und berichtet in einem exklusiven Reise-Blog über ihre Erlebnisse vor Ort. In einem anderen Raum-Zeit-Kontinuum findet sie ein streng organisiertes Kollektiv, das über ein Jahrtausende altes Unsterblichkeitselixier verfügt.
Unsere »kreuzer-Auslandskorrespondentin« Ele Jansen hat sich auf große Fahrt begeben und berichtet in einem exklusiven Reise-Blog über ihre Erlebnisse vor Ort. In einem anderen Raum-Zeit-Kontinuum findet sie ein streng organisiertes Kollektiv, das über ein Jahrtausende altes Unsterblichkeitselixier verfügt.
Teil 12: »Rubber Time«
Für meine nächste Tour habe ich mich wieder mit Komang verabredet. Während ich auf ihn warte, sinniere ich über seinen Namen. Bei den Balinesen gibt es vier Unisex-Namen (mit ein oder zwei Pendants), die jeweils das erste, zweite, dritte und vierte Kind benennen (Wayan (Putu), Made (Kadek), Nyoman (Komang), Ketuk). Beim fünften Kind beginnt das System von vorn. Ein Name ist hier schon mal kein besonders Identität stiftendes Unterscheidungsmerkmal. Vielleicht braucht es das aber auch gar nicht in einer Gesellschaft, die das gesamte Leben als Kollektiv bestreitet und kaum individuelle Momente hat.
Während ich so über Namen und Gesellschaft nachdenke, warte ich schon über eine Stunde auf Komang und rufe ihn an, um zu fragen, wo er bleibt. Er lacht. Für eine Deutsche sei ich richtig gut. Er hätte mit weniger Geduld gerechnet. Als er kurz später vor mir steht, erklärt er mir, dass auf Bali die »Rubber Time« gelte. Was das bedeutet?
»See Ele, time is a very relative and bouncy idea.«
Schmunzelnd besteige ich das Moped und wir düsen los, um uns ein paar Tempel anzusehen. Bisher war ich zwar in einigen kleineren »Puras«, wo ich einen Trancetanz gesehen hatte. Zu einem richtig alten, bedeutenden Tempel habe ich es allerdings noch nicht geschafft. Das will ich heute nachholen. Der »Pura Tirta Empul« (Water Spring Temple) ist neben dem »Pura Besakih« einer der bedeutendsten Tempel der Insel. Besonders an Vollmondnächten wir es hier voll. Dann nämlich pilgern laut Komang »alle« Balinesen zum Wasserbecken, das aus den Quellen gespeist wird, die im Tempelinneren liegen. Das Bad im Wasser der heiligen Quellen ist ein Reinigungsritual und geht zurück auf eine Legende im 10. Jahrhundert. Damals soll der Tyrann Mayadanawa die Flüsse vergiftet haben. Die Göttin Indra soll daraufhin die Quellen geschaffen haben, deren Wasser seither als Unsterblichkeitselixier gilt. Oder zumindest Krankheiten heilen soll. Ich (als Ungläubige) verkneife mir den Sprung ins kühle Nass und staune stattdessen über die uralten, farbenfrohen, mit schwarzen Naturfasern gedeckten Gebäude.
Jeder Tempel hat im Grunde genommen den gleichen Aufbau. Und zur Tempelarchitektur könnte ich Seiten füllen, möchte hier aber lediglich zwei Charakteristika herausgreifen, die mir am besten gefallen haben. Beide begegnen dem aufmerksamen Besucher direkt im Außenbereich eines Tempels. So sind die äußeren Wände häufig mit zum Teil sehr erotischen Bildern dekoriert, was dem semi-puritanischen Christen frevelhaft erscheinen mag. Die Begründung dafür ist, dass die bösen Dämonen, manifestiert als »Bhuta« und »Kala«, ihren Spaß daran haben, in sämtliche Öffnungen des menschlichen Körpers hinein zu schlüpfen. Die Abbildungen auf der Tempelmauer dienen also dazu, die Dämonen von ihren menschlichen Opfern abzulenken ¬– sie sollen sich stattdessen an den gemeißelten Steinöffnungen vergnügen. Sollte das nicht klappen, setzen die Balinesen auf hässlich-abschreckende Statuen vor der Tempelpforte. Und ein weiterer Trick, »Bhuta« und »Kala« aus dem Tempel fern zu halten, wird direkt hinter der Eingangspforte eingesetzt: Tritt man durch das Portal eines Tempels, steht man unmittelbar vor einer Mauer, die es links oder rechts zu umwandern gilt. Die Theorie dahinter ist, dass Dämonen sich nur geradeaus bewegen und dementsprechend nicht um die Mauer herum kommen können.
Während Komang meine Fragen beantwortet, merkt er selbst, wie komplex das religiöse System ist, und wie sehr es mit dem sozialen Alltag verflochten ist. Die Regeln sind streng, weil alles zusammen hängt und miteinander korrespondiert: Wohnen, Kunst, Religion, Natur, Übersinnliches. Ich erfahre, dass es eine wichtige Praxis des Agama-Hinduismus auf Bali ist, Harmonie zwischen Spiritualität, sozialem Leben und der Umwelt (kulturell und physisch) herzustellen. Der Name dafür ist » Tri Hita Karana«. Dieses Prinzip wird übrigens auch in der Gastronomie angewandt. So lobt die lokale Tourismusindustrie jährlich einen Preis für »Design and Operation« aus. Nebenbei ist dadurch auch die Praxis gastronomischer Einrichtungen entstanden, Wasser-Auffüllstationen anzubieten, damit nicht jeder Tourist zwei bis drei Plastik-Wasserflaschen pro Tag kaufen muss. In den vergangenen Jahren sei Bali der Müllflut kaum Herr geworden, und auch Komang freut sich, dass die Balinesen verhältnismäßig früh darauf reagierten.
In der »Jakarta Post« las ich, dass sich auch die großen Industriellen »Tri Hita Karana« auf die Flaggen geschrieben haben. Die Wirtschaft nennt das landläufig »Corporate Responsibility« (CR). Der entsprechende PR-Artikel lobte, dass Danone – einer der maßgeblichen Wasserlieferanten in Indonesien – Wälder aufforstet, um Erosion zu lindern und natürliche Wasservorkommen zu bewahren. Im Privaten finden wir das super, einigen Komang und ich uns. Bei Konzernen argwöhnen wir unwillkürlich etwas ob des vermeintlichen »Feigenblatt«-Engagements. Wir diskutieren so angeregt auf unserer Tour durch einen weiteren Tempel, dass ich nun zwar Fotos davon habe, aber nicht arg viel darüber zu berichten weiß. Nur so viel: Er ist alt und schön.
Auf dem Rückweg freue ich mich wieder, diesmal nicht selbst gefahren zu sein, denn wir passieren eine der üblichen Polizeikontrollen, die nur Touristen auf Motorrädern anhalten. Als Ausländer braucht man auf Bali einen internationalen Führerschein und eine zusätzliche Bescheinigung, um Motorrad fahren zu dürfen. Die meisten Touristen haben keines von beidem, was durchaus Strafen nach sich ziehen kann. Die Polizisten informieren die Angehaltenen für gewöhnlich freundlich über die Geldbußen und gerichtlichen Konsequenzen. Sobald der Gesetzesbrecher erschrocken genug wirkt, lächelt der Gesetzeshüter, und nennt eine weitaus geringere Summe, für die er sich bereit erklärt, die Sache unbürokratisch an Ort und Stelle zu klären. Das ist nur ein kleines Beispiel, geschmiert wird hier wird überall ohne Ende. Es ist sogar ein leichtes, sich mit ein wenig Cash eine Aufenthaltsgenehmigung für die Ewigkeit zu erschmieren. Vielleicht sollte ich das machen? Mein vierwöchiges Visum läuft aus, und ich will noch gar nicht weg. Das ginge bestimmt als eine Variante der balinesischen »Rubber Time« durch. Ele Jansen
Karte mit Routenverlauf und Etappenbeschreibungen hier.