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Politik

»Der gesamte Entwurf wurde nach polizeilichen Logiken erstellt«

Das Grundrechts-Komitee kritisiert, wie das sächsische Kabinett das Versammlungsgesetz reformieren will.

  »Der gesamte Entwurf wurde nach polizeilichen Logiken erstellt« | Das Grundrechts-Komitee kritisiert, wie das sächsische Kabinett das Versammlungsgesetz reformieren will.  Foto: Marco Brás Dos Santos

Das »Komitee für Grundrechte und Demokratie« ist ein Verein, der sich seit 1980 mit Menschenrechten und Demokratie in Deutschland beschäftigt. Im Interview mit dem kreuzer kritisiert Michèle Winkler, Referentin des Komitees, den Gesetzesentwurf, mit dem das sächsische Innenministerium das Versammlungsrecht im Freistaat reformieren will. Winkler kritisiert, dass der Entwurf die Versammlungsfreiheit stark einschränken würde und die Bürgerbeteiligung an diesem Entwurf intransparent sei.

Wie stehen Sie zu dem Entwurf?

Wir haben eine ausführliche Stellungnahme abgegeben, die im Wesentlichen den gleichen Standpunkt vertritt wie der Bericht im kreuzer. Dieser Entwurf schränkt die Versammlungsfreiheit so stark ein, dass sie nicht mehr so ausgeübt werden kann, wie es das Verfassungsrecht gebietet. Er repräsentiert eine sehr autoritäre und einschränkende Sicht auf die Versammlungsfreiheit.

Was ist Ihnen besonders aufgefallen?

Die Art und Weise, wie die versammlungsrechtliche Kooperation im Entwurf ausgestaltet ist, schränkt Veranstalter:innen stark ein. Verfassungsrechtlich ist Kooperation nur für die Behörden bindend, hier wird dies aber regelrecht zur Disziplinierungsmöglichkeit von Veranstalter:innen umgekehrt, unter anderem indem diese innerhalb von Fristen bestimmte Informationen liefern müssen oder der Grad der Kooperation für Auflagen herangezogen werden soll. Der Behörde nicht gefälliges Verhalten kann also zu Beschränkungen der Versammlung führen. Das ist nicht mit Artikel 8 des Grundgesetzes vereinbar.

Kritik gab es auch an der neuen Praxis, wie Ordnerinnen und Ordner künftig überprüft werden können. Was ist hier das Problem?

Das Thema der Ordner:innen sticht ebenfalls besonders negativ hervor, der entsprechende Paragraph 16 muss ersatzlos gestrichen werden. Kein anderes Landesgesetz kennt eine derart ausufernde Überprüfungspraxis von Ordner:innen. Der Entwurf erlaubt es der Polizei oder der Versammlungsbehörde grundsätzlich, Ordner:innen abzulehnen, basierend auf Informationen aus Polizeidatenbanken. Die Anforderung und Weitergabe der Namen von Ordner:innen wird eine erhebliche abschreckende Wirkung erzielen, was sich direkt auf die Versammlungsfreiheit auswirkt und auch das das Recht auf informationelle Selbstbestimmung betrifft – im schlimmsten Fall könnten Versammlungen dadurch gänzlich verhindert werden.

Woran liegt es aus Ihrer Sicht, dass es diese Änderungen in den Entwurf geschafft haben?

Der gesamte Entwurf wurde nach polizeilichen Logiken erstellt und eben nicht im Sinne der freien Ausübung eines Grundrechts. Die Menschen, die ihr Recht auf Versammlungsfreiheit nutzen – Versammlungsteilnehmer:innen, Organisator:innen und Versammlungsleitung – werden nicht als die eigentlichen Anwender:innen des Gesetzes gesehen, man muss sogar sagen, sie werden komplett übersehen. Dies wurde bereits in der Einladung zur Stellungnahme deutlich, in der ganz offen die Erstellung des Entwurfs mit Partizipation der künftigen Anwender:innen des Gesetzes, gemeint waren dabei Versammlungsbehörden und Polizei, betont wurde.

Nach der ersten Berichterstattung wurde der Entwurf auf einem Bürgerbeteiligungsportal veröffentlicht. Allerdings war eine transparente Beteiligung nicht möglich, da nur eine E-Mail-Adresse zu einem ehemaligen Verantwortlichen des Verfassungsschutzes angegeben war.

Dies macht die Situation noch problematischer. Auf unsere Kritik erhielten wir die Antwort, dass es kein Problem sei, dass andere Verbände, Gruppen oder Organisationen nicht zur Anhörung eingeladen wurden, da der Entwurf auf dem Beteiligungsportal veröffentlicht wurde, und jeder sich beteiligen könne.

Interview: MARCO BRÁS DOS SANTOS

 

Auf Anfrage des kreuzer teilte das Innenministerium mit, dass das Anhörungsverfahren zu dem Gesetzentwurf nun abgeschlossen sei. Die Anhörungsergebnisse und sonstigen Stellungnahmen werden derzeit ausgewertet. Danach erfolgt die Ressortabstimmung, anschließend die zweite Kabinettsbefassung und die Einbringung in den Sächsischen Landtag. Ab diesem Zeitpunkt ist der Landtag »Herr des Verfahrens«.

Insgesamt wurden 13 Verbände angefragt. Lediglich 10 haben Stellungnahmen abgegeben. Über das Beteiligungsportal sind 11 weitere Stellungnahmen von Bürgerinnen, Bürgern und Organisationen eingegangen.

Die Stellungnahme des Komitee für Grundrechte und Demokratie ist hier zu lesen.


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