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»Ein fast normaler Sonntag in Bondi ...«

Mit dem <em>kreuzer</em> auf die sieben Weltmeere – Der Reiseblog auf <em>kreuzer</em> online (Teil 17)

  »Ein fast normaler Sonntag in Bondi ...« | Mit dem <em>kreuzer</em> auf die sieben Weltmeere – Der Reiseblog auf <em>kreuzer</em> online (Teil 17)

Unsere »kreuzer-Auslandskorrespondentin« Ele Jansen hat sich auf große Fahrt begeben und berichtet in einem exklusiven Reise-Blog über ihre Erlebnisse vor Ort. Das WG-Leben in Sydney treibt so seine Stilblüten.

Unsere »kreuzer-Auslandskorrespondentin« Ele Jansen hat sich auf große Fahrt begeben und berichtet in einem exklusiven Reise-Blog über ihre Erlebnisse vor Ort. Das WG-Leben in Sydney treibt so seine Stilblüten.

Teil 16: Ein fast normaler Sonntag in Bondi ...

... fängt damit an, dass jemand im Wohnzimmer in einer fremden Sprache flucht. Diesen Sonntag war es Marton, der seinen Fotorucksack aufmachte und dort eine »Redback Spider« vorfand. Redbacks gelten als eine der gefährlichsten Spinnen in Australien. Sie können tödlich sein, allerdings wurde seit 1956 kein solcher Fall mehr gemeldet, da es hier in jeder Apotheke ein Gegengift gibt. Trotzdem möchte man nicht gebissen werden, denn die Schmerzen sollen höllisch sein. Das alles haben wir natürlich erst nachträglich bei Wikipedia gelesen (alle gleichzeitig, jeder an seinem Rechner, alle im Wohnzimmer sitzend). Auch ohne dieses Wissen war uns natürlich daran gelegen, die Spinne zu fangen und am besten auch zu töten. Nachdem wir sie sicher in einem Glas hatten und unsere Fotos gemacht haben, meinte Marton allerdings, das Weibchen ohne Glas fotografieren zu müssen, wobei die Spinne natürlich geflüchtet ist. Also haben wir nun weiterhin eine Redback im Haus. Wie angenehm.

Da verlassen wir doch lieber erstmal das Haus. Ein paar Leute gehen surfen, ich derweil eine Runde laufen und Musik hören. Als ich zurückkomme, fragt Marton, ob ich Lust hätte, den Nachmittag als Location Scout zu verbringen. Er will Fotos von Orten machen, die als Setting für ein Musikvideo in Frage kämen. Großartig! Ich laufe los und hole uns Kaffee, während Marton mich mit dem Auto an der Ecke abholen will. Er taucht nicht auf, und ich gehe mit den beiden Pappbechern in den Händen zurück zum Haus, wo ich ihn vom Hof aus erneut fluchen höre. Er steht auf der Veranda und sagt, er könne den Autoschlüssel nicht finden. Ich blicke eher zufällig zum Wagen und sehe den Schlüssel in der Heckklappe stecken. Er muss dort seit Tagen sein. Aber das ist nicht wirklich Besorgnis erregend. Unsere Wohnungstür steht auch 24 Stunden am Tag sperrangelweit offen und es wurde – wie man hört – noch nie etwas gestohlen. Ich drücke Marton seinen Kaffee in die Hand, und wir fahren los. Wir müssen uns meinen Kaffee dann allerdings teilen, weil Marton seinen Becher auf dem Autodach abgestellt hatte, und dieser auf der Auffahrt gelandet ist.

Unsere erste Station ist Bondi Beach. Erst mal Wellen checken und vielleicht doch noch alles abblasen und surfen gehen? Nee, die Brandung ist flach und die Wellen brechen zu schnell. Also fahren wir weiter nach Dover Heights, einer weiten Rasenfläche mit Blick auf die Skyline und den Hafen inklusive Brücke und Oper. Sehr klassisch, hier eine Indieband beim Rocken zu filmen. Unabhängig davon ist dieses (Bau-)Land ein Filetstück, und es ist unfassbar, dass dies nicht zur Bebauung frei gegeben wird. Wie ich höre, ist das typisch für Sydney. Der Stadtrat entscheidet oft zu Gunsten öffentlicher Plätze und Lebensqualität. Hier lassen die Leute Drachen steigen oder sitzen einfach nur da, reden und gucken.

Nach ein paar Aufnahmen geht es weiter mit einem Kontrastprogramm. Wir fahren zu einer der wenigen Plattenbauten Sydneys. Hier sieht es aus wie in den Randgebieten ostdeutscher oder osteuropäischer Städte. Marton hat vor Jahren in seiner Heimat Ungarn Videos gedreht und erzählt kleine Geschichten von unbewachten Abbruchhäusern und Polizisten, die man dort für 100 Euro am Tag »mieten« kann. In Australien sind seine Drehs wesentlich aufwändiger, weil hier selbst die kleinsten Gesetzesbrüche mit derben Geldbußen geahndet werden. Also kommen die Hochhäuser sowie die alten Eisenbahnschuppen und Werkhallen, die wir besuchen, nicht in Frage. Auch sind Budget und Zeitrahmen für die Produktion zu klein. Das Video ist für einen Song einer australischen Indie-Pop-Band namens »Sound Casino«, deren Album wir auf der Fahrt hören, bis wir es nicht mehr aushalten. Klingt wie eine Mischung aus U2, The Killers und Bon Jovi.

Nachdem wir noch eine farbenfrohe Unterführung aus den 1960ern und eine Terrasse am Unicampus begutachtet haben, bleiben noch zwei weitere Stationen: 505 Elizabeth Street und der Luna Park. In das alte Geschäftshaus in der Elizabeth Street kommen wir über eine Bekanntschaft von einem der Jazzkonzerte, die wir hier regelmäßig besuchen. Insgesamt sind auf den fünf verwinkelten Etagen gut dreißig Parteien untergebracht, die hier leben oder Studios haben. Das Gebäude wird zusammen gehalten von Graffitis: auf der Dachterrasse, im Treppenhaus, in den Fluren und auf den Brücken, die den Innhof überspannen. In Studio 308 sollen wir jemanden antreffen, der uns eine Drehgenehmigung geben kann. Wir klopfen. Die Tür wird von Devon geöffnet. Er redet wahnsinnig langsam. Nein, er sei nur Gast und wir sollten am Besten ein Zettelchen schreiben, das wir unter der Tür durchschieben. Wir gucken leicht irritiert. Ob wir gleich jetzt eine Nachricht hinterlassen könnten? »Aaaah, naaa, would lose it, you know.« Der gut 100 Quadratmeter große Raum hat eine Bühne und Devon murmelt, dort würden auch CD-Releases veranstaltet. Kürzlich erst für Cam’s Hip Hop-Band, »The Phonies«. Cam sei der Hauptmieter und ist offensichtlich der Mann, den wir suchen. Ob wir Fotos vom Studio machen könnten? Devons langsames »Sure, go ahead« wird jäh unterbrochen. Links im Augenwinkel schießt die Decke auf der Couch hoch, und eine Frauenstimme bellt in den Raum, dass das wohl keine so gute Idee sei. Wir drehen uns überrascht um und stellen uns vor. Die Eislady ignoriert dies und spricht kein weiteres Wort. Sie sinkt – die Hand am leidenden Kopf – ebenso schnell wieder zurück in die Kissen, wie sie hochgeschnellt kam. Also verabschieden wir uns unverrichteter Dinge, treffen auf dem Weg heraus allerdings den besagten Cam, der uns dann doch noch alles zeigt, Fotos machen lässt und die Drehgenehmigung erteilt.

Zurück auf der Strasse fühlen wir uns, als kämen wir aus einer Szene in »Lock, Stock And Two Smoking Barrels«, springen in den kleinen roten Toyota, und fahren – passend zum Sonnenuntergang – zum Lunapark, dem alten Vergnügungspark unter der Harbour Bridge. Dort gibt es einen Rotor, der die Band durch seine Zentrifugalkräfte an die Außenwände pressen soll, während die Musiker dort rumkrabbeln oder ihre Instrumente spielen. Das »Zirkusmotiv« ist ja spätestens seit MIA. und Britney Spears total angesagt. Also sollen hier auch Kinderkarussells, Raupen und was sich sonst noch so dreht, für das Musikvideo eingesetzt werden. Der Lunapark, das alte Geschäftshaus und eine gekachelte Unterführung sind die Favoriten für das Video. Allerdings erschließt sich mir das Konzept noch nicht ganz. Es wirkt etwas konfus, hat weder Hand noch Fuß. Bisher jedenfalls. Wir sind fertig für heute und genehmigen uns unter der Harbour Bridge im letzten Tageslicht ein Boag’s mit Fish’n’Chips, bevor wir nach Hause fahren.

Zurück auf »Buena Vista« empfängt uns die halbe Hausbewohnerschaft auf der offenen Treppe an der Rückseite des Gebäudes (den Vordereingang benutzt nie jemand). Ayser erzählt von seiner Geburtstagsparty. Er hat für 1000 Dollar drei Suiten im Shangri-La, einem Fünf-Sterne-Hotel mit Blick auf Oper und Harbour Bridge, gemietet und dort eine zünftige Rockstar-Party durchgezogen. Unser Untermieter James fällt ihm ins Wort und fragt euphorisch in die Runde, ob noch jemand den ersten »Predator« mitgucken würde. Als Antwort erhält er nur leere Blicke, bevor sich alle wieder Ayser zuwenden. Ein besseres Timing beweist Ara, frühere Miss Bondi und neue Nachbarin. Nachdem die Jungs ihre Geschichten fertig erzählt hatten, blinkt sie Marton an und landet mit dem Vorschlag, »Blood Diamond« zu gucken, einen Volltreffer. Der Film ist die Ruhepause vor dem obligatorischen Sonntagabendprogramm: HipHop und Funk im Sahnia. Dafür werden alle Reserven aktiviert und wir laufen um zehn Uhr die fünf Minuten zum Strand runter, wo wir in dem kleinen Klub die Hüften schwingen. Wie in fast allen Klubs in Sydney geht zwar Schlag zwölf das Licht an, aber das ist ganz gut so, denn es hilft, die neue Woche mit dem ersten Tageslicht zu beginnen. Ele Jansen

Karte mit Routenverlauf und Etappenbeschreibungen hier.


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