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Kultur

Weniger Studio, mehr Realität

Ein Rock-Dinosaurier im Gespräch

  Weniger Studio, mehr Realität | Ein Rock-Dinosaurier im Gespräch

Am Montag spielte Justin Sullivan (53), Frontmann der legendären britischen Band New Model Army in der naTo. Im September erscheint ein neues Album. Im kommenden Jahr steht dazu das 30-jährige Bandjubiläum an. Vor der Show haben wir die Chance ergriffen und einen sympathischen Briten kennen gelernt

Am Montag spielte Justin Sullivan (53), Frontmann der legendären britischen Band New Model Army in der naTo. Im September erscheint ein neues Album. Im kommenden Jahr steht dazu das 30-jährige Bandjubiläum an. Vor der Show haben wir die Chance ergriffen und einen sympathischen Briten kennen gelernt.

kreuzer-online: Wie kommt es zu dieser Justin Sullivan-Solo-Show in der naTo, einem für deine Verhältnisse total kleinen Club?

Justin Sullivan: Wir haben am Samstag auf einem kleinen Festival in Ungarn gespielt. Das war ein kleines, aber sehr schönes Festival in den Bergen. Dann wurden wir noch für den Freitag auf ein Festival in Österreich gebucht. Unser Gedanke war dann, die Strecke einfach mit dem Auto zu fahren. Drei Leute, die Gitarren und los. Da wir sowieso durch Deutschland mussten, haben wir überlegt, was wir machen können. Wir kennen die Leute hier und haben einfach angerufen: »Hallo. Wir sind im August auf Durchreise. Können wir ein Konzert spielen?« Sie sagten ja und hier sind wir.

kreuzer-online: New Model Army gibt es seit Beginn der 1980er Jahre. Im nächsten Jahr steht das 30-jährige Bandjubiläum an. Was reizt dich daran, immer weiter zu machen?

Justin Sullivan: Das ist das Leben. Als wir anfingen, dachten wir, dass wir vielleicht zwei Konzerte zusammen spielen würden. Wir hätten damals nie gedacht, dass es so lange geht und dass wir die ganze Welt bereisen würden. Es sind definitiv die kreativen Dinge, die immer noch genauso aufregend sind. Wenn du einen Song geschrieben hast und das Gefühl hast, dass er wirklich gut ist, dann ist das immer noch genauso verrückt wie am Anfang – egal, ob du schon über 200 Songs veröffentlicht hast. Mit den Konzerten ist es genauso. Ich denke darum geht es: Songs und Gigs!

kreuzer-online: Was macht eine gute Show aus?

Justin Sullivan: Wir haben zwei- oder dreitausend Konzerte gespielt und ich muss ehrlich sagen, dass ich es nicht weiß. In manchen Nächten denke ich, heute wird es fantastisch. Ausverkauft, ich fühle mich großartig, aber nichts Besonderes passiert. Eine solide Show und alle gehen halbwegs glücklich nach Hause. Manchmal sitze ich mit einem schlechten Gefühl backstage. Ich will nicht spielen und wäre viel lieber zu Hause. Du denkst, nichts mehr geben zu können. Eventuell bist du gerade auch noch in einer kleinen, vermeintlich unbedeutenden Stadt. Dann musst du auf die Bühne und merkst: Verdammt, genau das ist es. Dafür lebe ich. Bei solchen Konzerten passiert etwas Magisches, aber ich weiß nie, wann und warum es passiert.

kreuzer-online: Welche Bedeutung hat heute kommerzieller Erfolg für dich?

Justin Sullivan: Wenn man jung ist, will man um jeden Preis erfolgreich sein. Man will das Unmögliche, also sexy und intelligent zugleich sein. Einfach alles. Dabei hat man permanent Angst, Fehler zu machen. Ich denke, es ist immer so – egal welchen Job man macht. Bei einigen Sachen ist man erfolgreich und andere gehen halt daneben. Wenn man älter wird, merkt man, dass gerade kommerzieller Erfolg nicht alles ist und Scheitern nie das Ende der Welt bedeutet. Am Ende sind es die kleinen Dinge und die Leute um dich herum, die wirklich wichtig sind. Ich musste 40 werden, um das zu realisieren. Wenn Leute New Model Army toll finden, ist das natürlich super und ich gebe natürlich alles dafür. Auch wenn es immer wieder Leute gibt, die unsere Musik überhaupt nicht mögen, geht die Welt nicht unter. Es war auf jeden Fall eine Befreiung, als ich das verstanden habe.

kreuzer-online: Über die Jahre wurde immer wieder betont, dass ihr eine politische Band seid. Wie siehst du das selbst, gerade auch nach all den Jahren?

Justin Sullivan: Als wir Ende der 1970er angefangen haben – in den ersten Jahren von Punkrock, aber auch in den ersten Jahren der Thatcher-Ära – war es eigentlich unmöglich, nicht politisch zu sein. Jedenfalls für mich, da es mich interessiert, was um mich herum passiert. Also habe ich einfach Songs über das geschrieben, was mich interessiert. Das hat sich nie geändert. Das Titelstück zu unserer neuen Platte »Today Is A Good Day« beschäftigt sich mit den Börsencrash im letzten Herbst. Ist das politisch? Für mich ist es auf jeden Fall interessant.

kreuzer-online: Euer neues Album erscheint im September auf eurem eigenen Label »Attack Attack«. Was habt ihr bei eurem elften Studioalbum anders gemacht?

Justin Sullivan: Es ist weniger Studio und mehr Realität. Wenn man Songs schreibt, hofft man ja immer, dass die aufgenommene Version die beste Version wird. Das klappt natürlich nie. Über die Jahre wurde uns immer wieder gesagt, dass wir eine großartige Live-Band seien, aber die Platten nie daran heran kämen. Wir haben es in unserem eigenen Studio in Bradford aufgenommen. Dabei haben wir möglichst live und nie auf irgendeinen Klick gespielt. Ich denke, diesmal sind wir mit der Platte definitiv näher dran am Spirit der Konzerte.


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