Am Anfang stand Enttäuschung. Die Enttäuschung darüber, was es zu lesen gibt. Marcel Raabe hatte es satt: Die Feuilletons reißen Kultur- und Gesellschaftsthemen bestenfalls an und kritische wissenschaftliche Journale sind spezialisiert oder wurden längst eingestampft. Der Geistes- und Sozialwissenschaftler wollte endlich wieder eine Zeitschrift mit Tiefgang
Am Anfang stand Enttäuschung. Die Enttäuschung darüber, was es zu lesen gibt. Marcel Raabe hatte es satt: Die Feuilletons reißen Kultur- und Gesellschaftsthemen bestenfalls an und kritische wissenschaftliche Journale sind spezialisiert oder wurden längst eingestampft. Der Geistes- und Sozialwissenschaftler wollte endlich wieder eine Zeitschrift mit Tiefgang.
Also schuf Raabe seine eigene, die Ausgabe 1, und zeigt, dass so etwas heute möglich ist. Aber wie ¬– in Zeiten, in denen Printprodukte landauf, landab Miese machen und ganze Redaktionen eingestampft werden? Man nehme zwei Unterstützer, etwa die Großeltern und einen Schweizer Freund, wähle ein Thema nach seinem Gusto, gebe es in sein kreatives Netzwerk, verrühre alles kräftig und veröffentliche das, was dabei herauskommt. So einfach ist das.
In schlichtem Layout liefert der gebürtige und studierte Dresdner ein lesenswertes Journal zum Auftaktthema »Stadt«. Graphic Novels von Max Baitinger (siehe des kreuzers letzte Seite!) treffen auf die Wiener Kurzgeschichte, ein Essay über Kairo ist mit Filzstift von Franziska Junge aus Leipzig bebildert. Interviews mit Dresdner Architekten und Berliner Filmemachern über mythologisierte und imaginierte Städte, Reportagen, Fotografien und ein wissenschaftlicher Beitrag wagen ein Mischmasch an Perspektiven.

Hat die »Weltverdopplungsstrategie« Zukunft? Ja! Und zwar dann, wenn hier unterschiedlichste Kreativitäten ein Medium finden. Dann, wenn Experiment, Offenheit und Gesellschaftsanalyse nicht nur wohlwollender Kern der Unternehmung sind, sondern langfristig differente Perspektiven zusammengebracht und Widersprüchlichkeiten stehen gelassen werden. Weltkomplexität ist nicht stromlinienförmig zu reduzieren, sondern wie es im Vorwort heißt: »ein Mosaik aufeinander aufbauender Elemente«, wenn die Einsicht stimmt, »dass alles mit allem zusammenhängt«. Das darf jedoch nicht zur Formel verkommen, sondern muss ständig wie neu erfunden wirken. Eine enorme Herausforderung. Sie könnte der Reiz der Ausgabe 1 sein: immer für eine Überraschung gut.
Raabes Zeitschrift ist ein gefundenes Fressen für Ambivalenz-Denker, Frühstücks-Philosophen, Einschlaf-Leser, Kantinen-Gesprächler und Cafeteria-Diskutanten. Wer sich hier ausgeschlossen fühlt, aber mitreden oder mitschreiben will, der darf mitmischen im Allerlei der Ausgabe 1.
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