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Politik

Kein Geld für die Beratung von queeren Geflüchteten

Sachsen kürzt bei einer besonders vulnerablen Gruppe – während andere Integrationsprojekte weiterfinanziert werden

  Kein Geld für die Beratung von queeren Geflüchteten | Sachsen kürzt bei einer besonders vulnerablen Gruppe – während andere Integrationsprojekte weiterfinanziert werden  Foto: Gemeinsam für queere Geflüchtete: Tanchaik Kulbakina und Sandra Rasic von Rosalinde


Nach Übergriffen auf sächsische CSDs und der Zunahme rassistisch motivierter Straftaten in Sachsen droht nun ein finanzieller Kahlschlag für die fachliche Beratung queerer Geflüchteter: Ende Oktober erhielten alle Vereine aus dem Projektverbund »Fachberatung für queere Geflüchtete in Sachsen« Ablehnungsbescheide der Sächsischen Aufbaubank (SAB) für ihre sechs gestellten Projektanträge für das Jahr 2026. Der Projektverbund hat sich 2021 aus den drei Beratungsstellen des Vereins Rosalinde Leipzig, des Dresdner Vereins Gerede und des Lesben- und Schwulenverbands Sachsen zusammengeschlossen. Seit 2016 unterstützte der Freistaat über die Richtlinie »Integrative Maßnahmen« einmalig die breit aufgestellte Beratungsstruktur. Wie konnte es dazu kommen, dass ausgerechnet die Projekte für eine besonders vulnerable Gruppe keine Förderung mehr erhalten, während andere Integrationsprojekte trotz Kürzungen weiterfinanziert werden?

»Es ist eine Mischung aus Überforderung, Wut, Traurigkeit und Hilflosigkeit«, erzählt Sandra Rasic, Mitglied der Leitung des Leipziger Vereins Rosalinde und des vereinseigenen Projekts Queer Refugees Network. In den lichtdurchfluteten Zimmern eines Altbaus am Lindenauer Markt berät Rasic queere Geflüchtete zu psychosozialen Fragen – zumindest bis jetzt. Neben Rasics Stelle seien nach jetziger Schätzung des Vereins weitere 7 von insgesamt 22 Mitarbeitenden der Rosalinde von den Kürzungen betroffen, wenn diese unverändert in Kraft treten. 30 Prozent seines Budgets, das im Schnitt bei einer Million Euro liegt, erhält der Verein über die Richtlinie »Integrative Maßnahmen«. Den Großteil seines Budgets erhält Rosalinde auch aus zahlreichen anderen Fördertöpfen – Geldgeber sind unter anderem Aktion Mensch, die UNO-Flüchtlingshilfe und die Stadt Leipzig.

Eine stabile Struktur für mehrfach Marginalisierte

Das Queer Refugees Network berät lesbische, schwule, bisexuelle, transgeschlechtliche, intergeschlechtliche, asexuelle und queere Geflüchtete, die noch keine Bleibeperspektive in Deutschland haben. Mitarbeitende wie Sandra Rasic begleiten sie im Asylprozess, führen psychologische Krisenberatung durch, vernetzen sie mit der lokalen queeren Community und unterstützen sie generell bei Fragen zur Sexualität und Identität. »Für manche ist es schon viel wert, in unseren Räumen zu sitzen und zu sehen, dass sie hier niemand verurteilt«, sagt Rasic. »Viele Menschen, die zu uns kommen, haben sich jahrelang versteckt und sind auch nicht daran gewöhnt, über ihre sexuelle Orientierung und Geschlechtstätigkeit zu reden. Wir bereiten sie dann auf das BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Anm. d. Red.) vor«, erklärt Tanchik Kulbakina.


Besondere psychische Belastung queerer Geflüchteter

Kulbakina ist schon seit fünf Jahren im Netzwerk aktiv und weiß um die prekäre Lage dieser besonders schutzbedürftigen Gruppe. Er erinnert sich an eine Person aus einem arabischsprachigen Land, in dem queeren Menschen die Todesstraße droht: »Die Person kam zu mir in die Beratung und meinte: ›Du bist die zweite Person in meinem Leben, der ich mich anvertraue‹«. Die Person habe Schwierigkeiten gehabt, über die eigene Identität zu reden, da sie in der arabischen Umgangssprache nur Beleidigungen zu diesem Thema kannte. Als Kulbakina ihr ein Buch mit Begriffen über das Queersein in verschiedenen Sprachen gegeben habe, »schien die Person wie die Sonne, zeigte glücklich auf eine Buchseite und sagte ›Schau mal, die ganzen Begriffe, die gibt es doch! Es gibt Worte, die mich nicht beleidigen, sondern stärken!‹« Kulbakina trage Geschichten wie diese tief in sich.

Eine stabile, sachsenweite Struktur für mehrfach marginalisierte und traumatisierte Personen, wie sie der Verein Rosalinde in Leipzig, aber auch der Dresdner Verein Gerede oder der sächsische Verband Queere Vielfalt über die Jahre aufgebaut haben, seien wichtig, sagt Kulbakina: »Ich komme klar ohne Job, aber ich habe Angst um meine Klient:innen.« Schon jetzt berichteten viele queere Geflüchtete über Isolationsgefühle. Ohne die Beratung würde ihnen der Zugang zu queeren Communities noch mehr erschwert, viele könnten sich nicht mehr outen, es käme zu mehr Ablehnungen beim BAMF, und im schlimmsten Fall würden die Menschen in ein Land zurückgeschickt, in dem ihnen die Todesstrafe drohe.

Solche traumatischen Fluchtgeschichten spiegeln sich auch in der hohen Zahl neuer Anmeldungen von Asylsuchenden bei Rosalinde wider. In den letzten zwei Jahren nahmen 400 neue Menschen das Beratungsangebot wahr. In einer deutschlandweit ersten quantitativen Studie veröffentlichte das Queer Refugees Network und die Universität Leipzig dieses Jahr Studienergebnisse zur psychischen Lage queerer Geflüchteter in Deutschland: 74% seien psychisch erkrankt, 70% erfahren sexualisierte Gewalt. Das seien doppelt so viele wie in der allgemeinen geflüchteten Bevölkerung.


Sozialministerium darf nicht mehr über Fördermittelvergabe mitentscheiden

»Sachsen lässt queere Geflüchtete im Stich« – so lautet der Titel der Pressemitteilung von Rosalinde. Das sieht das Sächsische Staatsministerium für Soziales, Gesundheit und Gesellschaftlichen Zusammenhalt (SMS), das über die Richtlinie »Integrative Maßnahmen« die Projekte gefördert hat, durchaus anders. Auf Anfrage des kreuzer antwortet Juliane Morgenroth, Pressesprecherin des SMS: »Das Sozialministerium ist sich der Bedeutung spezialisierter Beratungsangebote für besonders schutzbedürftige Gruppen bewusst«. Die Richtlinie »Integrative Maßnahmen« unterstütze laut SAB die »Integration und Partizipation von Menschen mit Einwanderungsgeschichte und Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts«. Dafür verteilt die SAB Zuschüsse zu Personal- und Sachausgaben für Integrationsprojekte. Diese werden nach verschiedenen Säulen geordnet. Zur Fördersäule B zählen integrationsfördernde Einzelprojekte – zu denen auch jene aus dem Projektverbund für queere Geflüchtete gehören.

2024 und 2025 standen laut Morgenroth pro Jahr circa 3,9 Millionen Euro für Neuprojekte in der Fördersäule B zur Verfügung. Für 2026 sind es nun 3 Millionen Euro – was faktisch eine Kürzung bedeutet. Morgenroth fügt hinzu: In diese Mittel nicht einberechnet seien die laufenden Gelder aus den letzten Jahren für mehrjährige Projekte. Diese laufen nun aber aus. Auch das Queer Refugees Network der Rosalinde zählt dazu und habe laut Kulbakina nun ausschließlich einjährige Projekte für das kommende Jahr beantragt. Dass alle sechs Anträge des Projektverbunds abgelehnt wurde, erklärt SMS-Sprecherin Morgenroth mit dem Entscheidungsverfahren der SAB: Diese habe entsprechend eines fachlichen Rankings mit transparentem Verfahren bewilligt. Von 91 eingereichten Anträgen unterschiedlicher sächsischer Integrationsprojekte wurden 21 angenommen. Dass ausgerechnet die sächsische Fachberatung queerer Geflüchteter wegfällt, ist somit offiziell nur Zufall und Folge des Rankings.

Aber hätte die SAB hier nicht sensibler entscheiden müssen? Auf Anfrage des kreuzer erklärt die sächsische Landtagsabgeordnete der Linken und Sprecherin für Kinder, Jugend und Migration, Juliane Nagel: Die SAB treffe die Auswahl geförderter Projekte allein. Vorher habe es noch Interventionen des Sozialministeriums gegeben – dies wurde aber vom Rechnungshof moniert, der in einem Prüfbericht einen »bösen Schein« der Parteilichkeit des SMS bei der Fördermittelvergabe kritisierte. Nagel setzt sich mit ihrer Partei dafür ein, die Projekte trotz der Ablehnungsbescheide der SAB vor dem Aus zu retten, »denn diese sind zentrale Anlaufstellen für besonders vulnerable Zielgruppen, die sonst keine Unterstützung mehr bekommen«, sagt Nagel. »Wir wollen, dass das Geld, das wir im Haushalt erkämpft haben, so ausgeschöpft wird, dass möglichst viele Projekte davon profitieren.« Zusammen hatten Linke und Grüne im Landtag mit ihren Haushaltsanträgen Anfang dieses Jahres dafür gesorgt, dass das Programm »Integrative Maßnahmen« überhaupt erst fortgesetzt wird.


Unklarheiten zum Jahresbeginn

Laut Sören Granzow, Referent des SMS, gebe es künftig vielleicht neue Fördermöglichkeiten für den Projektverbund für queere Geflüchtet – und zwar über die Richtlinie »Weltoffenes Sachsen«. Diese Richtlinie, die nach eigenen Angaben auch Projekte fördert, »die Phänomene gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit abbauen helfen«, finanziert bisher nur die Bildungsprojekte von Rosalinde. »Leider sehen die Ministerien es so, dass alles, was die Arbeit mit Geflüchteten betrifft, zu der Richtlinie ›Integrative Maßnahmen‹ zählt. Nach jetzigem Stand fällt also die Landesfinanzierung in allen Beratungsstrukturen komplett raus«, sagt Kulbakina. Ob künftig neben dem Bildungs- auch das Beratungsangebot der Rosalinde von der Förderrichtlinie »Weltoffenes Sachsen« übernommen wird, bleibt offen. Die Verfahren zur Bewilligung neuer Projekte werden laut Granzow noch dieses Jahr abgeschlossen.

Damit müssen das Queer Refugees Network und andere Beteiligte der Fachberatung für queere Geflüchtete weiter um ihr Fortbestehen zum Jahresbeginn bangen. Die Mitarbeitenden bei Rosalinde zeigen sich noch nicht geschlagen: »Wir schauen jetzt, ob es nicht doch noch was zu retten gibt und versuchen gleichzeitig, unsere Arbeit gut abzuschließen«, sagt Psychologin Rasic. Kulbakina hofft, dass aus der Wut neuer Tatendrang entsteht: »Wir sind jetzt mehr denn je auf Spenden angewiesen. Wir brauchen eine laute Lobby. Wenn unser Projekt sterben muss, dann wenigstens nicht leise.« Zusammen mit dem Dresdner Bündnis gegen Kürzungen ruft Rosalinde deshalb am 11. Dezember zur Kundgebung und Demonstration in Dresden auf.


> www.rosalinde-leipzig.de/beratung/queer-refugees-network/


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