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Stadtleben

Sächsischer Etikettenschwindel

Der MDR strickt am Mythos, dass aus Piraten der erste deutsche Kaiser hervorging

  Sächsischer Etikettenschwindel | Der MDR strickt am Mythos, dass aus Piraten der erste deutsche Kaiser hervorging  Foto: Symbolbild/Benjamin Heine


»Die Geschichte der Sachsen ist ein Mysterium«, raunt eine frische MDR-Doku. Nein, es geht nicht um den sächsischen Exzeptionalismus oder die angebliche Fischelant der Freistaatbewohner. Der Dokumentarfilm »Die Sachsen – Piraten. Heiden. Kaiser« will mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen die sächsische Frühgeschichte erkunden. Leider fördert er dabei nichts Neues zutage, sondern verweigert sich der Einsicht, dass es die Sachsen als Volk oder Einheit über viele Jahrhunderte nicht gab: Denn Sachse war lange, wer dafürgehalten wurde. Weil das für einen Aufsehen erregenden Streifen nicht taugt, folgen die Filmemacher stattdessen einer alten, kalten Spur. Und gehen einer mittelalterlichen Selbstinszenierung auf den Leim.

Vollmundig liest sich die zusammenfassende Ankündigung der Dokumentation: »Für die Römer sind sie ein Piratenvolk, das ihre Siedlungen mit Booten überfällt. Für Karl den Großen sind sie Heiden, die er im achten Jahrhundert brutal unterwirft und ›mit dem Schwert missioniert‹. Aber dann gelingt den Sachsen das Erstaunliche – 160 Jahre nach Karl besteigt einer von ihnen den Kaiserthron: Otto der Große!« Damit ist der Inhalt zusammengefasst, den die Doku trotz eingestreuter kritischer Einwände als wissenschaftlich verkauft.

Demzufolge haben seit dem 3. Jahrhundert die Sachsen das rechtsrheinische Gebiet im Norden bis zur Elbe verteidigt, wurden von Karl dem Großen zwangschristianisiert und wurden schließlich 919 mit dem Sachsen Heinrich I. und seinem Sohn Otto deutsches Herrschervolk. Belegen sollen das römische Quellen und die »Sachsengeschichte«, die der parteiische Chronist Widukind von Corvey  im 10. Jahrhundert schrieb. Die damaligen Bewohner Norddeutschlands haben aber mit den »Saxones« der antiken lateinischen Chronisten wenig zu. Und auch nichts mit den späteren Niedersachsen und rechtselbischen Sachsen, deren Namengleichheit zu weiterer Verwirrung führen kann. Doch die spart die Doku aus, was Ahnungslose natürlich annehmen lassen könnte, da gäbe es Kontinuitäten.

Das Gebiet zwischen Küste und Mittelgebirge bewohnten in den ersten Jahrhunderten der Zeitrechnung Menschen vieler Kulturen, aber kein Stamm der Saxones. Dieses Wort benutzten die Römer für sie heimsuchende Piraten. Das Wort, das sich auf das verbreitete Messer namens Sax beziehen könnte, bedeutete schlicht »Männer mit Messern« oder »Messermänner«. Wer die Angreifer waren, interessierte die Römer nicht. Saxones wurde zum Sammelbegriff für verschiedene Akteure – zum Beispiel auch für Plünderer der britischen Küsten. Daraus leitete sich später der Name Angel-Sachsen ab. Sachse war also, wer dafür gehalten wurde.

Das zeigt auch die Tatsache, dass der römische Historiker Tacitus (ca. 58 – 120 n. Chr) rund 40 germanische Gebiete namentlich nannte, davon aber keines als Sachsen bezeichnete. Ebenso unklar ist, welche Menschen es waren, die Karl der Große im 8. Jahrhundert als Sachsen bekämpfte. Auch hier dient »Sachse« als negative Fremdzuschreibung für Menschengruppen, die gerade bekriegte wurden.

Erst die Geschichtsschreiber des 10. Jahrhunderts bauen um Heinrich I. und seinen Sohn Otto den Großen den sächsischen Mythos auf, benutzten »Sachsen« erstmal als Selbstbezeichnung. Sachsen waren nun keine marodierenden Messermänner mehr, sondern wiesen die eigene Herkunft und Zugehörigkeit nach. Der Chronist Widukind griff zurück in die Geschichte, um Identität und den Anspruch auf Herrschaft daraus abzuleiten. Und der MDR folgt diesem weitgehend.

Das ficht die Filmemacherin Bettina Wobst nicht an. Sie verwechselt Namenzuschreibungen mit Eigennamen und leitet davon die Existenz einer Ethnie, eines Volkes, ab. »Muss die Geschichte der Sachsen neu geschrieben werden?«, fragt die Sprecherin anfangs und unterstellt damit den Sachsen eine unverbrüchliche Linie von der Spätantike ins Mittelalter. Zwar bekräftigen O-Töne von Historikerinnen und Historikern immer wieder, dass man nicht von Sachsen sprechen könne. Auch die Sprecherin betont ab und an, dass das noch kein Beweis sei, um dann doch wieder von den Sachsen zu sprechen. Das ist zumindest unsauber, da der Film damit einen ethnisierten Volksbegriff bedient, der erst im 19. Jahrhundert aufkam.

Das ist schade, denn die archäologischen Beispiele sind interessant – selbst, wenn sie nichts über die Sachsen aussagen. Aber sie werden dazu herangezogen. Ein Beispiel für das filmische Vorgehen: Ein Historiker, der ein altes Boot präsentiert, nennt »Sachsen« eine »Allgemeinbezeichnung« für Piraten und Plünderer. Darauf folgt die suggestive Frage der Off-Stimme, wer nun diese Menschen waren, die das Boot bauten. Und unterstellt ihnen damit eine sächsische Identität. »Es gab bereits im 4. Jahrhundert geschickte sächsische Bootsbauer«, heißt es dann, vermeintlich archäologisch abgesichert. Nur, dass der Name »Sachsen« damals lediglich die Menschengruppen bezeichnet, die Rom überfielen, worunter gewiss geschickte Bootsbauer gewesen sind. Das sogenannte Nydam-Schiff wurde in Dänemark gefunden. Das hochseetaugliche Kriegsfahrzeug für 45 Mann Besatzung stammt aus jener Zeit. Die Identität seiner Besitzer ist unbekannt.

Das klingt manchmal sogar im Film an – »Ein Beweis für ein sächsisches Volk ist damit nicht erbracht.« –, wird aber sofort wieder eingeebnet: »Auf den Beutezügen der Sachsen kommt es immer wieder zu Begegnungen mit Fremden.« Wenn erklärt wird, wie Sachsen mit realen Stämmen in Konflikt gerieten, wird die römische Allgemeinbezeichnung ethnisiert. Dieses Vorgehen setzt sich im Film fort. Weil beim Chronisten Widukind eine Gegend als Urlande der Sachsen genannt wird, werden Funde dort als sächsisch erklärt – ohne weitere Beweise. Aus dem Sax, das ist eine weit verbreitete, einschneidige Waffe, wird ein Sachsen-Schwert; so als ob nur Sachsen solche Schwerter benutzt hätten. Wir erinnern: Mutmaßlich nannten die Römer alle messerbewehrten Angreifer »Sachsen«, wegen der Waffen. Hier wird wiederum die Fremdzuschreibung essentialisiert.

Das ist bedauerlich, denn die archäologischen Funde und Rekonstruktionen sind interessant. Sie hätten den unterstellten Roten Faden der Sachsen-Geschichte nicht benötigt, um für sich zu glänzen. Die Doku hätte eingestehen können, dass es bis zur Selbstbeschreibung der Ottonen keine Sachsen gab. Und das ist ja nicht das letzte Kapitel sächsischer Geschichte, die vor allem aus Etikettenwechseln und einer Namenswanderung besteht. Denn mit Otto I. und den Seinen hat der heutige Freistaat nun ebenfalls gar nichts zu tun: Der geografische Name wanderte über die Jahrhunderte etappenweise elbaufwärts. Historisch, so muss man resümieren, ist die Bedeutung des Begriffs in den Quellen so schillernd, dass der Sprachhistoriker Robert Flierman im Ausstellungsband »Saxones« urteilt: »Sächsische Identität: Das ist ein soziales Konstrukt, das jede Generation neu erschuf.«


> »Die Sachsen – Piraten. Heiden. Kaiser«, www.ardmediathek.de


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