Weil das Internet wie das Universum ist – ziemlich abstrakt und in seiner Dimension unergründet –, räumt eine Leipziger Forschergruppe ordentlich im WWW auf. Und macht auch vor kaukasischen Spinnen keinen Halt
Weil das Internet wie das Universum ist – ziemlich abstrakt und in seiner Dimension unergründet –, räumt eine Leipziger Forschergruppe ordentlich im WWW auf. Und macht auch vor kaukasischen Spinnen keinen Halt
Die Kultur der Wolken
Das Zukunftsszenario mutet etwas angsteinflößend an – und findet eigentlich schon statt. Man stelle sich das so vor: All unsere Daten sind nicht mehr auf unseren Rechnern beheimatet, sondern türmen sich im Netz zu digitalen Quellwolken, sogenannten »Clouds«. Dort kann man dann stets auf sie zugreifen, man braucht nur online zu gehen. Wie es sich für die Wolkenkunde gehört, haben diese Wolken auch Namen: Facebook etwa, Wikipedia oder Flickr. Glaubt man Charles Leadbeater, dem britischen Trendforscher und ehemaligen Berater Tony Blairs, könnte das Phänomen »Cloud Culture« den Weg zu einer neuen Kultur ebnen. Eine Art interaktive Plattform für kulturelle Ausdrucksformen, die herkömmliche Grenzen von Machern und Verbrauchern, Profis und Amateuren überschreiten kann.
Gäbe es da nicht die Daten-Kapitalisten wie Google oder Apple, die auf dem besten Wege sind, unser Kulturgut zu globalisieren und durch Lizenzen viel Geld zu machen. Die Gefahr: Daten könnten irgendwann nicht mehr frei zugänglich sein. Datenmissbrauch ist ebenfalls längst kein Fremdwort mehr.
Der Flickenteppich
Die Forschungsgruppe Agile Knowledge Engineering and Semantic Web (AKSW) der Universität Leipzig arbeitet an einer Möglichkeit, des Datenüberflusses Herr zu werden. Zu den Clouds kommt nämlich ein Problem, das die Verstrickung im Netz nicht gerade einfacher macht. Es gibt ja beispielsweise Leute, die stur wie ein schlecht gelaunter Stier ihre Suchanfragen im Internet nicht als Stichwort formulieren, sondern als ganze Frage: »Wie wird aus Ahorn Sirup?« etwa, oder »Wie schwer war Marlon Brando und wann hat er das letzte Mal einen Indianer verteidigt?« Das kann man als Einfaltspinselei abtun – oder aber als den zukunftsorientierten Umgang mit dem Netz.
Dass bei einer solchen Anfrage höchstwahrscheinlich keine befriedigende Antwort gefunden wird, liegt schlicht am Netz selbst. Dieses muss man sich nämlich als einen großen Flickenteppich an Texten vorstellen, auch Hypertext genannt. Die Texte sind miteinander verknüpft, und je mehr Daten wir online stellen, desto größer und unübersichtlicher wird alles. Und weil der Computer nicht von allein denken und ordnen kann und der Mensch sich langsam aber sicher in diesem zu verstricken und zu ersticken droht, braucht das Internet eine neue Form: das Semantische Web.
Die Antwort auf einen Klick
Tim Berners-Lee, der Grüner des WWW, erkannte schon früh, dass die Basis Hypertext mit der Ordnung von Daten überlastet ist, und forderte eine Strukturierung der Daten. So entstand schon kurz nach der Erfindung des Internets der Gedanke des Semantischen Webs, bei dem Daten nicht wie herkömmlich als Text vorliegen, sondern beispielsweise als Datenbank oder Tabelle. Diese strukturierte Form erlaubt eine vielschichtigere Vernetzung.
Will man beispielsweise wissen, welche Musiker zwischen 1874 und 2000 in Leipzig gelebt haben, so sieht man sich mit der herkömmlichen Suchmaschine einer mehrschrittigen Suche gegenüber. Zuerst müsste man alle Musiker in Leipzig suchen, und dann jeden auf seine Lebenszeit prüfen, oder man geht von der Jahreszahl aus, dann die jeweiligen Orte und so weiter. Auf jeden Fall wäre es eine extrem langwierige Angelegenheit. Und genau solche komplexeren Fragen können dank des Semantischen Webs auf einen Klick gelöst werden.
Das Schachzentrum im Clara-Park
Die AKSW hat dazu mehrere Projekte in Bearbeitung. Sie heißen Ontowiki oder DB Pedia und werden von vielen unterschiedlichen Seiten verwendet. Ein englisches Plattenlabel beispielsweise ordnet dank Ontowiki Künstler, Platten oder neue Veröffentlichungen auf seiner Webseite, BBC zieht sich Informationen aus der Datenbank DB Pedia und eine Gruppe von Wissenschaftlern, die im Kaukasus nach Spinnenarten forschen, können so ihre Ergebnisse im Netz strukturieren.
Bei der Software handelt es sich meistens um Open Sources, und diese stehen in Zusammenhang mit der »Cloud Culture«. Durch die freie Verfügung von Open Source Software kann nämlich jeder an der Datenstrukturierung teilhaben. Dies zeigt sich am Beispiel von Open Street Map. Die Seite ist eine wahre Alternative zu Google Maps und benutzt Geo Data, eine Software, die ebenfalls von AKSW hergestellt worden ist. Die Daten sind für jeden zugänglich und können ohne Lizenzen verwendet werden. Außerdem können alle daran mitarbeiten, so sind gerade in Deutschland viele Bereiche besser kartografiert als bei Google Maps. Wer sich schon mal darüber aufgeregt hat, dass das Schachzentrum im Clara-Zetkin-Park auf keiner Google-Karte eingezeichnet ist, der ist bei Open Street Map bestens aufgehoben.
Der Professorenkatalog der Uni Leipzig ist ein Beispiel für angewendetes Semantic Web. Die AKSW hat ihn in Zusammenarbeit mit dem Historischen Seminar entwickelt. Hier sind alle Professoren der Universität Leipzig mit samt ihren Errungenschaften und Biografien enthalten. Für jedermann zugänglich kann im Katalog dann auch beispielsweise nach allen Professoren gesucht werden, die in der NSDAP oder SED waren. Das Besondere daran ist, dass der Professorenkatalog als Koprojekt von verschiedenen wissenschaftlichen Communities entstanden ist.
Die Zukunft?
Kommt also irgendwann die große Wende im Internet? Google verschwindet und neue Suchmaschinen werden unser Leben verändern? Die Antwort lautet: Nein. Semantische Suchmaschinen werden zwar schon sehr häufig eingesetzt und sind auch die Zukunft des Webs, aber »bisher muss man sagen, dass es noch nicht in dem Maße ausgereift ist, um dem Endnutzer den gleichen Komfort herkömmlicher Suchmaschinen zu bieten«, meint Dr. Sören Auer, Leiter des AKSW. »Bestenfalls läuft der Einzug des Semantischen Webs so ab, dass es der Nutzer gar nicht merkt und seine Stichwortsuche so handhaben kann wie gewohnt.« Sören Auer weiß auch, dass es nicht erstrebenswert ist, den Google-Riesen zu stürzen, indem man etwa eine gänzlich neue Suchmaschinenseite gründet. »Die Konkurrenz ist einfach zu groß. Es ist wirtschaftlich lukrativer, mit schon bestehenden Firmen wie Yahoo zusammenzuarbeiten.« Im Falle des AKSW hängt das aber auch vom jeweiligen Projekt ab. Bei Ontowiki z. B. würde sich eine Unternehmensgründung anbieten. Allerdings fehlt es noch an den richtigen Leuten, die man neben den Informatikern dafür braucht.
Schade eigentlich, wissen wir doch dank Herrn Leatbeater, dass Cloud Culture, bei entsprechenden Regelungen für Copyright und Privatsphäre, der Kulturkolonialisierung von Google & Co. entgegenwirken könnte.