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Alles nur Fassade?

Kaufhaus am Brühl: Die Blechbüchse ist weg, das Sandsteingehäuse auch. Das vorläufige Ende einer Geschichte (inkl. Fotogalerie)

  Alles nur Fassade? | Kaufhaus am Brühl: Die Blechbüchse ist weg, das Sandsteingehäuse auch. Das vorläufige Ende einer Geschichte (inkl. Fotogalerie)

Fehlnutzung, Vernachlässigung und Verfall kamen schleichend – der einstige Stolz der Stadt wirkt heute nur noch beschämend.« Voll Pathos führt das Werbevideo der Management für Immobilen AG (mfi) aus Essen in das prestigeträchtige Projekt am Richard-Wagner-Platz ein. Die Höfe am Brühl, so der Name der künftigen Shoppingwelt, sollen »eine der Premium­adressen des deutschen Einzelhandels« werden.

Fehlnutzung, Vernachlässigung und Verfall kamen schleichend – der einstige Stolz der Stadt wirkt heute nur noch beschämend.« Voll Pathos führt das Werbevideo der Management für Immobilen AG (mfi) aus Essen in das prestigeträchtige Projekt am Richard-Wagner-Platz ein. Die Höfe am Brühl, so der Name der künftigen Shoppingwelt, sollen »eine der Premium­adressen des deutschen Einzelhandels« werden.

Das Kaufhaus am Brühl, 1908 als Jugendstilgebäude vom Architekten Emil Franz Hänsel errichtet, wurde kriegsgeschädigt als »Kaufhaus Konsument« in eine vom Bildhauer Harry Müller entworfene Aluminiumhülle gekleidet und 1968 wiedereröffnet: Die Blechbüchse war geboren. Nach Jahren des Leerstands gibt es das Kaufhaus und seine Hülle seit Juli nicht mehr – ihr Abriss ist abgeschlossen. Die denkmalgeschützte Aluverkleidung soll komplett in das neue Einkaufszentrum integriert werden, besagt ein Vertrag der Investoren mit der Stadt.

Doch brach im Frühjahr eine Debatte um die Außengestaltung los, als nach Entfernen der Metallhaut die historische Sandsteinfassade wieder zum Vorschein kam und Stimmen laut wurden, die deren Erhalt forderten. Fortan kämpfte »Jugendstil gegen DDR-Moderne« (Die Welt), schwangen sich Verklärte zu verspäteten Oppositionellen auf und bezichtigten die andere Seite der Ostalgie. »Leipzigs Seele ist älter als Aluminium. Hier stirbt ein Teil von ihr!«, war auf einem Protestplakat zu lesen (kreuzer 05/10). Die Losung legte den eigentlichen Grund des Streits offen: Der neue Bürgerstolz im Jahr 20 nach der Wiederver­einigung möchte einmal mehr die DDR-Geschichte aus dem Stadtbild streichen, um sich an der vergangenen Bedeutung Leipzigs als Handelsstandort der Vorkriegszeit zu laben. Rückwärts und stets vergessen: Auch das ist Ideo­logie.

Eine Einlagerung der alten Fassade für die Nachwelt – wie vom Eigentümer mfi vorgeschlagen – war den Sandsteinfans nicht recht. So einigten sich Investor und Stadt auf einen neuen Entwurf, den es bis zum nächsten Jahr zu prüfen gilt. Diese »Vitrinenlösung« sieht vor, das 15 Meter lange historische Fassadenfragment, das ursprünglich im Innern der Höfe zu sehen sein sollte, nach außen hin sichtbar zu machen. Dadurch würde allerdings die geschlossene Aluminiumflucht zum Fragment – was auch nicht im Sinne des Denkmalschutzes sein kann. Bleibt abzuwarten, zu welcher Variante man sich durchringt.

Die Diskussionen haben zu Verzögerungen in den Arbeiten geführt, die aber wieder aufgeholt werden können, hofft mfi-Pressesprecher Thorsten Müller. Genauere Angaben könne man noch nicht machen. Bis Herbst 2011 soll der Konsumtempel stehen. Dann werden 130 Shops auf einer Fläche von 45.000 Quadratmeter für den allgemeinen Kaufrausch freigegeben. Wen kümmert dann noch die Fassade?


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