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Kultur

Unmittelbares Kino

Fernab der Stadtgrenzen lädt zum 22. Mal das Filmfestival Cottbus ein

  Unmittelbares Kino | Fernab der Stadtgrenzen lädt zum 22. Mal das Filmfestival Cottbus ein

Zugegeben, die gläserne Lubina, Preisskulptur des Filmfestivals Cottbus, ist nicht unbedingt die schönste aller Trophäen. Die deutsche Übersetzung des sorbischen Mädchennamens klingt da schon ansprechender: die Liebreizende. Aller Stilkritik zum Trotz hat das Festival des osteuropäischen Films seinen Status als Geheimtipp längst eingebüßt. Und das spricht für Cottbus. Seit über zwei Dekaden weht im November ein Wind der Cinephilie durch die weitläufigen Straßen der Lausitzmetropole. Auch dieses Jahr, wenn das Festival vom 6. bis 11. November seine Türen öffnet.

Drei Wettbewerbe und zehn Programmsektionen, über 130 Produktionen aus mehr als 30 Ländern, nationale und internationale Premieren, viele Gäste, ein schwerer Katalog – und nur eine knappe Woche Zeit. Das klassische Festivaldrama. Hat man diesen Schock jedoch überwunden, ist nicht kapituliert, dann steht einer geruhsamen Lektüre des Programms nichts mehr im Wege. Und dieses liest sich vielversprechend. Der Eröffnungsfilm »Final Cut – Ladies And Gentleman« (HU 2012) von György Pálfi überzeugte bereits in Cannes und protzt mit einer fast empörenden Besetzungsliste: von Brigitte Bardot, Alain Delon, Greta Garbo, Rita Hayworth, Marcello Mastroianni und Jeanne Moreau über Brad Pitt bis hin zu Audrey Hepburn. Klingt unglaublich, Footage macht's aber möglich. Über 450 Meisterwerke der Filmgeschichte geben sich in 90 Minuten ihr Stelldichein. »Final Cut« sollte man in den kommenden Tagen in Erinnerung behalten, neigt der osteuropäische Film traditionsgemäß dazu, etwaige Gefühlszustände durchaus ins Negative zu verkehren. So zeichnet Juris Poškus Wettbewerbsbeitrag »Kolka Cool« (LV 2011) ein lakonisches Porträt einer Jugend in der lettischen Provinz. Sergei Loznitsa sucht in »Im Nebel« (D/LV 2012) Antworten auf ethische Fragen rund um Krieg und (Un-) Menschlichkeit (im aktuellen kreuzer finden Sie eine ausführliche Kritik zum Film).

Ebenso sind die Wunden der Sezessionskriege bei vielen Filmemachern aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens noch lange nicht verheilt, wie beispielsweise die Filme »Djeca – Kinder von Sarajevo« (BA/D/F/TR 2012) von Aida Begić oder »Halimas Weg« (HR/BA/SI 2012) von Arsen Anton Ostojić zeigen. Themen wie Verlust, Traumata und das Leben innerhalb neuer Ordnungssysteme konstatieren eine Stärke des osteuropäischen Films ganz besonders: Er ist unmittelbar, wenig genügsam und nicht immer problemlos. Große Vorfreude gilt den beiden Beiträgen (ebenfalls im Wettbewerb um den besten Spielfilm) »Du bist Gott« (PL 2012) von Leszek Dawid und »Ein Monat in Thailand« (RO 2012) von Paul Negoescu. Zählte Dawids Porträt einer mit Job, Liebe und Kind strauchelnden Mutter »Mein Name ist Ki« (2011) bereits im letzten Jahr zu den Preisträgern, erfreut sich Negoescus Erstlingswerk seit geraumer Zeit einiger Aufmerksamkeit als Exempel der neuen rumänischen Welle.

Ein wenig außerhalb der Scheinwerfer überzeugt Cottbus hingegen mit zahlreichen Sondersektionen. GlobalEAST etwa lenkt seine Aufmerksamkeit in diesem Jahr auf Lateinamerika und wagt eine filmische Recherche zwischen osteuropäischem und iberoamerikanischem Kino. Der Fokus setzt die Erkundung unter dem Leitmotiv »Osteuropa der Religionen« fort. Die Retrospektive, eines der regionalen Programmfenster, ist dem Filmschaffen der renommierten ostdeutschen Regisseurin und Hochschulprofessorin Helke Misselwitz gewidmet, die in diesem Jahr ihren 65. Geburtstag feierte.

Im Vorgriff auf den EU-Beitritt Kroatiens beschäftigt sich das Special mit der Entwicklung des Landes von der jugoslawischen Teilrepublik bis zur EU-Reife. Jedem Spielfilm ist ein Kurzfilm vorangestellt, der die Perspektive junger Filmemacher zur aktuellen Situation Kroatiens illustriert. Bewährte Sektionen wie Polskie Horyzonty, Russkiy Den und Nationale Hits fanden ihren Weg in das Programm ebenso wie die Cottbusser FilmSchau – Forum für Hobbyfilmer aus Berlin, Brandenburg und dem sächsischen Teil der Lausitz mit dem klangvollen Gesuch: »Preußens Glanz und Sachsens Gloria« – man darf gespannt sein. Und wenn die Lubina kommt, macht man einfach kurz die Augen zu, denkt an den prächtigen Kinosaal des Weltspiegels und ist schnell wieder versöhnt – mit Cottbus, dem Stil und sowieso.


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