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Filmkritik

Vom Leiden in den höchsten Tönen

»Les Misérables« singen über elendes Leben

  Vom Leiden in den höchsten Tönen | »Les Misérables« singen über elendes Leben

In Großaufnahme, mit hervorstehenden Augen und kahlgeschorenem Haupt vergießt Anne Hathaway bächeweise Tränen. Sie spielt Fantine, eine arme, abgemagerte junge Frau, die ihr unehelich geborenes Kind in die Hände skrupelloser Wirtsleute gab und nun rund um die Uhr schuftet, um dem kleinen Mädchen ein wenig Geld zu senden. Für das bescheidene Leben ihrer Tochter gab Fantine zuerst ihr Haar und zuletzt auch ihren Körper. In dem Lied »I Dreamed a Dream« singt sie sich minutenlang all ihre Enttäuschung über ihr elendes Leben aus der Seele. So wie es beinah jedem Charakter ergeht in jeder einzelnen Szene des Musical-Films »Les Misérables« von Tom Hooper (»The King’s Speech«).

Sie alle sind vom Leben schlecht behandelt worden. Da ist beispielsweise der Gefangene Jean Valjean (Hugh Jackman), der für den Diebstahl eines Laib Brots zu jahrelanger Sklavenarbeit verurteilt wurde. Oder sein Gegenpart Javert (Russel Crowe), der brave Gesetzeshüter, der schon bald zwischen Recht und Unrecht nicht mehr zu trennen vermag und darüber verzweifelt. Während Valjean nach seiner Freilassung unter dem Namen Monsieur Madeleine ein neues, ehrbares Leben beginnt und sich väterlich um Fantines Tochter kümmert, ist Javert ihm auf den Fersen, denn er glaubt nicht an die Läuterung des Ex-Sträflings. So folgt er ihm bis in das vom Bürgerkrieg bedrohte Paris, wo sich die Elenden in theatralen Kulissenbauten von einem Schicksalsschlag zum nächsten singen.

Regisseur Tom Hooper hält sich in seiner Kinofassung des berühmten Musicals recht stringent an die Vorlage aus den achtziger Jahren. Es wird kaum eine Zeile gesprochen, die Lieder wurden von den Darstellern selbst gesungen. Das Besondere daran ist, dass der Gesang dafür nicht im Vorfeld im Studio aufgenommen wurde, sondern live während der Dreharbeiten. Intonation und Rhythmus konnten auf diese Weise direkt aus dem Spiel entstehen und mussten nicht an ein bereits bestehendes Playback angepasst werden. Doch so löblich diese Vorgehensweise auch klingen mag, gestattet sie den Darstellern bloß noch mehr Pathos als der literarische Stoff selbst schon bietet. Sie schluchzen und schmachten auf diese Weise wie übereifrige Schauspieler, aber nicht wie Sänger – und das kann in einem Musical sehr schnell unangenehm werden. Russel Crowe fällt dabei von den Hollywood-Größen noch am wenigsten störend auf, da er sich offenbar bei der Konzentration auf seine unausgebildete, aber erstaunlich angenehm tiefe Stimme weniger mit dramatischen Posen beschäftigen kann. Und einzig Samantha Barks, eine der wenigen Musicaldarstellerinnen im Hauptcast, zeigt als Eponine mit ihrer Interpretation von »On my Own«, dass es durchaus möglich ist, gleichzeitig gut zu singen und eine Szene gefühlvoll, aber ohne große Übertreibung zu spielen. Doch von diesen Momenten gibt es zu wenige. Da kann auch das Leinwandtraumpaar Helena Bonham Carter und Sacha Baron Cohen (als dreiste Wirtsleute) nur noch wenig retten.


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