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Kultur

»Es gibt keine Gerechtigkeit«

Sophie Hunger über NSA, Heimatlosigkeit und warum Worte nichts bedeuten

  »Es gibt keine Gerechtigkeit« | Sophie Hunger über NSA, Heimatlosigkeit und warum Worte nichts bedeuten

Die Schweizer Liedermacherin Sophie Hunger spielt am Freitag in der Parkbühne im Clara-Zetkin-Park und stellt ihr mittlerweile viertes Album »The danger of light« vor. Vorher unterhielt sie sich mit kreuzer-Autorin Katrin Haase am Telefon darüber, dass in der MB Menschen auf sie gewartet haben, über die Offenheit junger Jazzmusiker und warum es schon toll ist, wenn mal ein Frühstück klappt.

kreuzer: Hallo Sophie, wo erreiche ich dich gerade?

SOPHIE HUNGER: Ich bin zu Hause in Zürich.

kreuzer: Deine Tour durch Deutschland beginnt bald und du wirst auch in Leipzig spielen. Was verbindest du mit der Stadt?

HUNGER: Ich muss immer an den unterirdischen Club Moritzbastei denken, das ist meine Erinnerung an Leipzig. Das war noch ganz am Anfang und ich hatte das Gefühl, dass es da Menschen gibt, die auf uns gewartet haben. Das sind sehr warme Erinnerungen. Und während der Jazztage haben wir mit der WDR Big Band in der Oper gespielt, dadurch habe ich den Posaunisten Mattis Cederberg kennengelernt. Es ist ein lustiger Zufall, dass wir jetzt – ein Jahr später – wieder gemeinsam in Leipzig spielen, aber diesmal in derselben Band.

kreuzer: Dein Tourkalender ist bis Dezember durchgeplant. Ist das für dich Freiheit oder Stress?

HUNGER: Für mich ist das toll, es ist mein Leben und meine Arbeit. Ich bin sehr glücklich, wenn ich weiß, dass ich einen vollen Terminkalender habe und sehr dankbar, dass das seit Jahren so ist.

kreuzer: Wie erklärst du dir diesen jahrelangen Erfolg?

HUNGER: Ich weiß es nicht. Es war sicher gut, dass ich die Zeit hatte, mich zu entwickeln, da ich nie einen Monstervertrag unterschrieben habe, mit dem ich einen kommerziellen Erfolg haben musste, sonst wäre ich schnell weg vom Fenster gewesen. Einigen Freunden ist es so ergangen.

kreuzer: Du hast auch eine große Auswahl an Musikern, die gern mit dir spielen wollen ...

HUNGER: Ja, das ist eine komfortable Situation. Ich bin immer auf der Suche nach neuen Instrumenten und neuen Musikern und kann viel von ihnen lernen. Die jungen Jazzmusiker, die gerade von der Hochschule kommen, sind viel offener als die vorherigen Generationen und mischen alle Traditionen und Stile, und das auf ganz natürliche Art.

kreuzer: Das ist auch eine gute Beschreibung für deine Musik. Du mischst so viele Einflüsse, dass es schwer ist, deiner Musik einen Namen zu geben.

HUNGER: Das habe ich schon oft sagen gehört. Ich spiele einfach und benutze all die Sachen, die in meinem Kopf sind und die ich gerne habe. Nicht, weil ich denke »Jetzt mache ich Jazz und jetzt Schweizer Volksmusik«, ich mache mir darüber keine Gedanken.

kreuzer: Was inspiriert dich für deine Texte und deine Musik?

HUNGER: Alles. Der Straßenverkehr, mein Nachbar. Alle Dinge, die man sieht, haben einen Einfluss. Bei politischen Themen wie die Debatte um die NSA interessiert und verwirrt mich nicht die Tatsache, dass wir überwacht werden – davon bin ich schon vorher ausgegangen –, sondern vielmehr die Reaktionen darauf. Das finde ich faszinierend. Zuallererst ist mir die fehlende Empörung aufgefallen. In den 80er-Jahren hätte die Gesellschaft ganz anders darauf reagiert. Anscheinend haben wir als Kollektiv kein Selbstbewusstsein mehr. Wir sind schon so sehr Teil des Systems, dass wir es nicht mehr als System erkennen. Auch meine Empörung hält sich in Grenzen. Unsere Beziehung zur Überwachung – das ist etwas ganz Neues.

kreuzer: Du hast auf deinem neuesten Album »The danger of light« passenderweise ein Lied namens »Das Neue«. Besingst du da auch die Veränderung der Gesellschaft?

HUNGER: Es ist viel banaler: Mir ist aufgefallen, dass sich die Bedeutung von Worten ständig verändert. »Dreißig ist das neue Zwanzig, der Mann ist die neue Frau. Freiheit ist das neue Gefängnis und reich ist das neue schlau.« Worte bedeuten an sich gar nichts, was sie meinen, entscheiden wir. Das fand ich sehr lustig und damit habe ich gespielt.

kreuzer: Und wann gibt es von dir Neues zu hören?

HUNGER: Jetzt geh ich erst einmal touren und dann werde ich sofort an neuem Material arbeiten. Ideen habe ich genug.

kreuzer: Du hast als Diplomatentochter in Zürich, Bern, Bonn, London, Paris und vielen weiteren Städten gelebt. Wo ist deine Heimat?

HUNGER: Das habe ich nicht so. Es gibt schon Momente, an denen ich gern nach Hause gehen würde und mich dann frage: Wo ist das? Aber das muss man aushalten. Ich kann ja nicht alles haben: Ein Zuhause haben und Musik zum Beruf machen, das geht nicht beides.

kreuzer: Was machst du, wenn es mal nicht so gut läuft, wie gehst du mit Krisen um?

HUNGER: Ich habe da eine sehr atheistische Lösung. Ich denke, es gibt keine Gerechtigkeit. Man hat kein Recht auf Glück. Das Universum ist eine Mischung aus komplettem Zufall und Chaos. Das zu wissen, tröstet mich sehr, weil ich dann denke, ich bin so großen Zufällen und so vielen Kräften ausgesetzt, dass ich mich freue, wenn etwas klappt, und sei es nur ein Frühstück. Das ist dann schon mal nicht schlecht. Ich empfinde sehr viel Trost und Dankbarkeit in dem Wissen, dass das Universum keine Gerechtigkeit kennt.

kreuzer: Das nimmt dir die Last, zu denken, etwas falsch gemacht zu haben.

HUNGER: Das bedeutet natürlich nicht, dass man einfach machen kann, was man will. Man hat ja eine Verantwortung. Aber gerade bei Situationen wie dem Tod eines Menschen oder dem Ende einer Beziehung ist es eine beruhigende Sichtweise. Es ist einfach eine von vielen Möglichkeiten eingetroffen. Das kann Trost spenden. Das ist die Theorie. In der Praxis geh ich dann einfach raus und trinke viel (lacht).


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