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Kinder & Familie

Menschen gehen in die Luft?

Christine Preißmann ist Ärztin, Autorin und Autistin

  Menschen gehen in die Luft? | Christine Preißmann ist Ärztin, Autorin und Autistin

Mädchen und Frauen mit Asperger-Syndrom, einer leichten Form von Autismus, fallen im Gegensatz zu Jungen oft nicht auf. So erhielt auch Christine Preißmann ihre Diagnose erst mit 27 Jahren. Zur Buchmesse kommt sie nach Leipzig und stellt ihr Buch »Überraschend anders – Mädchen und Frauen mit Asperger« vor.

Christine Preißmann und ich sind um Viertel nach zwei verabredet. Ab zwei Uhr steigt eine spürbare Nervosität in mir auf, alle paar Sekunden sehe ich auf die Uhr. Ich möchte nicht zu spät sein, denn ich weiß, dass Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit für Christine Preißmann enorm wichtig sind. Auf die Minute genau greife ich also zum Telefonhörer. Am anderen Ende meldet sich eine freundliche, sehr warmherzige Frauenstimme. Dass sie Ärztin und Psychotherapeutin ist, kann ich mir sofort gut vorstellen. Als ich von meiner Sorge erzähle, muss sie lachen. Sie sagt: »Ich muss manchmal ein bisschen grinsen, weil ich merke, dass die Redakteure, die sich damit beschäftigt haben, schrecklich pünktlich anrufen.«

In Deutschland leben ungefähr 0,3 bis 1 Prozent aller Menschen mit dem Asperger-Syndrom, das man heute auch als Autismus-Spektrum-Störung (ASS) bezeichnet. Allerdings geht man von einer hohen Dunkelziffer aus, da die Übergänge zur »Normalität« oft fließend sind. Menschen mit Asperger-Syndrom fällt die Interaktion mit anderen Menschen schwer. Nonverbale Kommunikation wie Mimik, Blicke und Gestik können sie nicht richtig deuten und anwenden: Es kommt häufig zu Missverständnissen in sozialen Interaktionen, Redewendungen nehmen sie oft wortwörtlich. So erschrak Christine Preißmann beispielsweise in einer anderen Stadt über die Formulierung, dass dort abends die Bürgersteige hochgeklappt würden, und hinter der Aussage einer Arbeitskollegin, die kurz davor war, in die Luft zu gehen, vermutete sie eine Urlaubsreise mit dem Flugzeug.

Auch alles Unvorhergesehene kann Menschen mit dem Asperger-Syndrom Angst bereiten und ein Gefühl von großer Unsicherheit geben. So muss der Alltag strukturiert und planbar sein, zum Beispiel durch feste Regeln und Uhrzeiten. Auch die Sinneswahrnehmung in Bezug auf Lärm- und Lichtreize ist bei Betroffenen deutlich empfindlicher als bei nicht-autistischen Menschen. Und trotzdem wird vor allem bei Mädchen, wenn überhaupt, erst sehr spät erkannt, was eigentlich mit ihnen los ist. »Die Mädchen bemühen sich, nicht aufzufallen«, sagt Preißmann. Sie seien ruhiger und kontrollierter und entsprächen damit dem gesellschaftlichen Rollenbild von Frauen. Was nicht als störend erlebt wird, fällt eben auch nicht auf. Sie sagt: »Für mich war die Diagnose eine sehr große Erleichterung und sehr große Befreiung. Für mich war es einfach wichtig zu wissen, dass es einen Begriff dafür gibt und es kein eigenes Versagen ist.« Mit Hilfe von Ergotherapie und Psychotherapie meistert sie inzwischen ihren Alltag. Vor allem die Ergotherapie erweist sich als sehr hilfreich für autistische Menschen. »Ergotherapeuten sind oftmals Spezialisten für den Bereich der Wahrnehmung. Das ist ein Bereich, in dem autistische Menschen immer Schwierigkeiten haben«, so Preißmann. Zum Beispiel könne sie Körperempfindungen nicht richtig einordnen, erzählt sie. Hunger, Durst, Müdigkeit oder Erschöpfung fühlen sich für sie ziemlich ähnlich an.

Neben ihrer Arbeit als Ärztin in einer Suchtklinik reist Christine Preißmann sehr viel und hält Vorträge. Manchmal ist sie zu Gast in einer Fernsehtalkshow. Natürlich sei das anstrengend, sagt sie. Und am Anfang habe sie auch gedacht, sie schaffe das nicht. Dann fügt sie hinzu: »Ich war auch in Talkshows eingeladen und habe dort wirklich prominente Menschen kennengelernt. Die sind genauso wie aufgescheuchte Hühner auf- und abgelaufen. Wenn selbst die, die tagtäglich in der Öffentlichkeit stehen, so aufgeregt sind, dann ist das anscheinend auch okay so. Das hat mir sehr geholfen.«

Während unseres Gesprächs bekomme ich das Gefühl, dass das Asperger-Syndrom keine Krankheit oder Behinderung, sondern nur eine andere Sprache mit einem anderen kulturellen Hintergrund ist. Ich frage Christine Preißmann, ob sie es auch so sieht. Ja, der Vergleich passe gut, findet sie. Von nicht-autistischen Menschen würde sie sich weniger Voreingenommenheit wünschen und mehr Mut, Fragen zu stellen. »Auf diese Weise kann man merken, dass autistische Menschen nicht furchtbar, nicht provozierend und keine schrecklichen Menschen sind.«


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