Für Fußballhasser stellen die vertonten Fußballspiele des Jazzquartetts »Kopffüßler« eine gute Möglichkeit des Fußballschauens dar. Vor allem dann, wenn Iran spielt. Weil keiner die iranische Nationalhymne so ergreifend singen kann wie Bass Barriton Joachim Holzhey. Und weil so das langweiligste Fußballspiel zur fesselnden Performance wird. Am Ende fällt sogar noch ein Tor.
Das Spiel Argentinien gegen Iran war so etwas wie das Vorspiel am Samstag-Fußballabend – eigentlich fast überflüssig. Neunzig Minuten schleppten sich die Spieler übers Feld, neunzig Minuten Langeweile. Wie gut, unter lauter Jazzliebhabern im Werkcafé der Musikschule Neue Musik Leipzig zu sitzen: Mit Latte macchiato und Apfelkuchen statt mit Bier und Chips, auf der Leinwand argentinische und iranische Fußballer, die »Kopffüßler« an den Instrumenten.
Als Schiedsrichter Milorad Maziuc auf der Großleinwand zu sehen ist, lässt Schlagzeuger Beat Freisen – wegen seines Schweizer Vornamens auch »The Beat« genannt – die tibetische Totenglocke erklingen. Gitarrist Christoph Bley haut in die Seiten seiner E-Gitarre, begleitet von Martin Albrecht an der Bassklarinette. »Bitte stehen Sie auf für die Nationalhymne«, versucht Sänger Joachim Holzhey das Publikum zum Mitmachen zu bewegen. Macht natürlich keiner. Auch nicht bei seinem zweiten Anlauf: »Jetzt Iran, aufstehen!« Voller Hingabe singt der Bassbariton die iranische Hymne in G-Dur, den Zuschauern geht das Herz auf. Während sich die beiden Fußballmannschaften schwitzend auf dem brasilianischen Feld abmühen, jazzen die vier Musiker synchron zum Spiel, die tiefen Bässe lassen den kleinen Raum in der Eisenacher Straße vibrieren, die Zuschauer wippen im Takt und manchmal vernimmt man Wortfetzen, bei denen man sich anschließend fragt, ob man das wirklich gehört hat. Zum Beispiel:»Schwarz, Rot, Gold – das sind die Farben.« Nach dem Zufallsprinzip schlägt Holzhey eine Seite in seinem Gedichtband auf und singt willkürlich Zeilen daraus vor. Ja, das Gedicht von Carl Heinrich Schnauffer war auch dabei. Zufall eben, vielleicht nicht immer passend. »Eigentlich wollten wir die Gesamtwerke von Annette von Droste-Hülshoff dem Spiel Argentinien – Iran gegenüberstellen«, sagt Christoph Bley in der Halbzeitpause.
Schon während der letzten WM vor vier Jahren trommelte der Leipziger Musiker seine drei Studienfreunde aus Berlin und Worms zusammen, um das Spiel Paraguay – Japan musikalisch zu interpretieren. »Nee, das war doch das Spiel Italien – Südkorea«, meint Holzhey. »Es war jedenfalls ein ähnlich langweiliges Spiel wie das hier.« Am Fußball interessiert die Jazzer eigentlich nur die durch das Spiel vorgegebene Dramaturgie. Und so ein vertontes Fußballspiel hat den Vorteil, dass die Zuschauer wenigstens bis zum Schluss sitzen bleiben. »Freejazzkonzerte haben ja das Problem, dass sie scheiße klingen und sonst keiner hingeht«, so Bley. Holzhey führt auch in der zweiten, nicht weniger langweiligen Halbzeit stoisch durchs Spiel, in der 49. Minute lautet der Refrain: »Er hat diese Chance vertan, vertan wie so viele Chancen in diesem grauen Leben«, in der 54. Minute: »Abseits der Sterne weinst du bitterlich«. Doch nichts passiert auf dem Spielfeld, kein Tor, keine Dramatik. Wenig Einsatz für Beat Freisen. Holzhey plaudert rein: »Wenn Argentinien verliert, fände ich das jetzt gerecht.« Also wird in der 84. Minute ein sehr Freestyle-mäßiges »Don’t cry for me Argentinia« angestimmt. Und dann schießt Messi in der Nachspielzeit doch noch ein Tor für Argentinien. Das ist natürlich traurig für Iran. Zum Trost gibt es dann noch einmal die schönste Darbietung der iranischen Nationalhymne.