An dieser Stelle veröffentlichen wir das Editorial der Juli-Ausgabe des kreuzer. Chefredakteur Andreas Raabe berichtet, was es im neuen Heft zu lesen gibt.
Arbeiterschließfächer nannte sie der Volksmund, der Dramatiker Heiner Müller fand noch schönere Worte: »Fickzellen mit Fernheizung«: Gemeint waren die Plattenbauten der DDR, in der das Idealbild der sozialistischen Kleinfamilie gepflegt wurde. Anfangs waren die neuen Viertel beliebt, später verloren sie extrem an Prestige. Doch wie es oft ist mit Dingen im Niedergang, riefen einige flugs deren Renaissance aus. Dass die Platte »hip« sein soll, ist nichts Neues, bereits seit mehr als zehn Jahren wird immer wieder ihr Aufschwung verkündet. So auch gerade wieder in Grünau. Die Einwohnerzahlen steigen, und nach umfangreichem Rückbau gewinnt das Viertel tatsächlich an Attraktivität. Immerhin beruhen die Bauweise als auch die Anlage der Trabantenstädte auf modernistischen Architekturutopien des Bauhauses, die unter dem Begriff vom Neuen Bauen zusammengefasst werden können.
Doch es waren weniger utopische Ideen, die den sozialistischen Staat zum überhasteten Bau riesiger Trabantenstädte trieb, sondern vielmehr die Sachzwänge einer ungelösten Wohnungsfrage. Wie der damalige Leipziger Chefarchitekt Horst Siegel in unserem Interview des Monats berichtet, fehlten in den siebziger Jahren in Leipzig Wohnungen für mehr als 30.000 Familien. Entsprechend war Grünau für 100.000 Einwohner konzipiert, heute leben noch etwa 41.000 Menschen dort.
kreuzer-Reporter Robert Reimer begab sich für unsere Titelgeschichte nach Grünau, stromerte dort über die Wiesen, die nun anstelle der gefallenen 16-Geschosser sprießen, und fragte die Menschen auf der Straße, was sie denn so denken über Grünau und das Leben und so.
In diesem Heft verwendeten wir an mehreren Stellen Bilder des Leipziger Fotografen Harald Kirschner, der vor allem in der Bauphase des Stadtteils, Anfang und Mitte der achtziger Jahre in Grünau unterwegs war. Es war die Zeit, in der Grünau überall nur »Schlammhausen« hieß (Fußwege fehlten weitgehend) – und doch zeigen Kirschners Fotos einen sehr lebendigen und vor allem jungen Stadtteil. Wie in allen Lebenslagen galt auch hier: Es kommt eben darauf an, was man draus macht.
Interessante Geschichten gibt es auch an anderen Stellen des Heftes: Der Politikwissenschaftler Robert Feustel besuchte mit einer Studentengruppe das Amazon-Lager und schrieb einen launigen Bericht aus dem Inneren der Logistikhölle, gleich vier Reporterinnen nahmen sich des Problems der sogenannten »Kosten der Unterkunft« an, die das Jobcenter an ALG-II-Empfänger in Leipzig zahlt – und die von der Stadt offenbar zu knapp bemessen wurden. Wir liefern Hintergründe zum starken Abschneiden der AfD bei den Kommunalwahlen, den einschneidenden Stellenkürzungen bei der Leipziger Volkszeitung, beschäftigen uns mit Straßentheater, der Arbeit des Kulturbürgermeisters, erzählen von gutem Schulessen und sehr authentischen chinesischen Gastronomen.
Einen Abschied begossen wir in den letzten Tagen mit Bier und Tränen: Politikredakteurin Thyra Veyder-Malberg verlässt den kreuzer nach acht Jahren Arbeit an der wohl härtesten Nuss, die ein Lokaljournalist zu knacken hat: der Stadtpolitik. Ihr Politik-Ressort wird derzeit im Interim von Robert Briest geführt. Wir danken Thyra für ihre jahrelange, unermüdliche Arbeit, den Besuch endloser Stadtratssitzungen, den stets kritischen Anspruch ihrer Texte – und den Unterschied, den sie gemacht hat in der politischen Berichterstattung für diese Stadt.
Grüstiger! So beendet James Turek gern seine Mails. Der sicherlich weltbeste amerikanische Comiczeichner und Illustrator in Leipzig kam vor ein paar Jahren (ja, noch vor dem komischen Leipzig-Gehype) aus Brooklyn in die Stadt und blieb hier hängen. Turek stammt aus Florida und illustrierte schon für die New York Times. In Deutschland brachte er sein wunderbares Kinderbuch »Make My Day!« (Klett-Verlag) heraus, darin wird den Sprösslingen in Wimmelbildern die englische Sprache nahegebracht. Englisch spricht Turek naturgemäß ganz gut – aber auch des Deutschen ist er mächtig, trotzdem schleichen sich Sprachholperer in seine Sprechblasen. Wir schlugen vor, diese nicht zu korrigieren und sie in ihrer charmanten Form zu belassen. Tureks Kommentar: »Auch ich glaube, die Leute finde der schlimm geschrieben Deutsch uberhaubt lustig. Falls etwas nicht verstandbar ist, dann bitte sagt es und ich kann ohne Sorge reparieren.« Zu reparieren gab es nichts, so können Sie, liebe Leserinnen und Leser, ab diesem Heft Tureks Wimmelbildrätsel auf unserer Letzten Seite genießen. Wer das Rätsel löst und uns eine Postkarte mit dem Lösungswort schickt, kann eine tolle James-Turek-Wimmelbild-Detective-Postcard gewinnen. Also spitzen Sie die Augen, dann die Stifte und ab die Post: Rätsel Durch Den Wimmel!
Grüstiger!
ANDREAS RAABE