An dieser Stelle veröffentlichen wir das Editorial der März-Ausgabe des kreuzer. Interimschefredakteur Tobias Prüwer berichtet, was es im neuen Heft zu lesen gibt.
Dinosaurier sind so Neunziger? Stimmt, darum hielten wir es auch für angemessen, mit einem Dino jene Hoffnung zu illustrieren, die so Nullerjahre ist, dass man bis heute an ihr hängt. »Kreativwirtschaft« heißt die magische Einflüsterung, die Motor sein soll für den Aufschwung Leipzigs in der nachindustriellen Phase. Das ist nicht nur hübsch gedacht, sondern evoziert auch bunte Traumwelten, denen man sich schwer verschließen kann. Wer möchte sich nicht selbst verwirklichen beim schöpferischen Tun in der eigenen, quasi autonomen Einpersonenagentur? Selbst Chef sein, hochflexibel im Zwölfstundenalltag, total inspiriert das Selbstmarketing gegen mögliche Entfremdung setzen? Oder mit den besten Kumpels und Kumpelinen ein cooles Start-up aufziehen, wo man die Nächte im Co-shared-Work-Space – wer ist so blöd, sich ein eigenes Büro zu leisten? – zum Tag macht? Eine niemals endende Party, auf der man Webseiten für Autohäuser und Hostels zusammenklickt, einen Möbelgriffblog führt und Kataloge von Schleifmaschinenherstellern illustriert. Wer wöllte nicht auf satten Wiesen neben den Einhörnern grasen, auf Ponys mit Glitzerpony gen Horizont jagen und am anderen Ende des Regenbogens seinen Topf voll Gold ausbuddeln? Oder, wie es der Hersteller der Gummischlümpfe so hübsch marktschreierisch für seine letzte Kreation aufschrieb, der »immer einen guten Spruch auf den Lippen« hat: »Lässig und cool ist der Marketing Schlumpf und er hat schon wieder eine neue Grafik, die er allen zeigt. Damit kann er allen seine neuesten Ideen erklären. Wenn er dann alle überzeugt hat, steigt er lässig in sein Cabrio, setzt seine Sonnenbrille auf und zischt ab zu seinem nächsten Termin.«
Dinosaurierschicksal Evolutionsfalle: Die reale Entwicklung der »Kreativwirtschaft« sieht anders aus – allein schon, weil niemand genau sagen mag, was diese eigentlich alles umfasst. In Leipzig zum Beispiel rechnet man die MDR-Mitarbeiter dazu, anderenorts fällt der öffentlich-rechtliche Rundfunk hierunter nicht. Den Definitionsschwierigkeiten zum Trotz hat sich unser Autor Jörg Augsburg angesehen, wie es um die Kreativen in der Stadt bestellt ist. Das Ergebnis fällt ernüchternd aus. Leipzig mag sich jung und kreativ fühlen, und da ist auch einiges dran. Aber mit Wirtschaft hat das wenig zu tun. Denn Geld verdienen die wenigsten damit, wenn Geld verdienen bedeutet, sich einen ordentlichen Stundenlohn auszuzahlen, sozial- und krankenversichert zu sein und die Altersvorsorge mitzubedenken.
Zufallsfunde: »Für Burkhard Jung! Clemens Setz, 18.3.2011«. kreuzer-Herausgeber Egbert Pietsch kratzte sich vor Verwunderung am Kopf, als er jüngst in Oxfams Antiquariatsregalen das Buch »Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes« aufschlug. Da prangte tatsächlich eine Widmung an Leipzigs Oberbürgermeister! Wir halten es für eine prima Sache, dass Jung seine ausgelesenen Lektüren preiswert und für den guten Zweck weitergibt. Da kann man ihn auch mal loben – immerhin hat er gegenüber Legida klare Haltung gezeigt; mögen die Rücktrittsforderungen aus den arg zusammengeschrumpften Reihen der deutschnationalen Schlümpfe auch noch so oft erschallen. Für weitere Zufallsfunde in Wort und Bild bietet sich natürlich die Buchmesse geradezu an. Als kleinen Kompass finden Sie, wie jeden März, unsere Messebeilage :logbuch in diesem Heft. Dann möchten wir Sie noch ermuntern, einfach mal rauszugehen. Auch jenseits stiller Örtchen lässt sich der kreuzer als Schmöker aufschlagen: auf der Bank am Kanal, dem Baumstumpf im Auenwald, der Brüstung auf dem Markt. Immerhin ist Müßiggang aller Leben Anfang. Und außerdem: Frühling und so.
Lassen Sie es sich gutgehen!
TOBIAS PRÜWER (als Vertretungs-Raabe, ähm: Elternzeitvertretung)
chefredaktion@kreuzer-leipzig.de
Was sonst noch im Heft steht: Inhaltsverzeichnis, Monatstipps und Einblicke zeigt die Leseprobe unseres ePapers.