An dieser Stelle veröffentlichen wir das Editorial der Juli-Ausgabe des kreuzer. Chefredakteur Andreas Raabe berichtet, was es im neuen Heft zu lesen gibt.
Gerade noch die tausendjährige Stadt, plötzlich Extremistenhochburg. Welch ein tiefer Fall fürs arme Leipzig. Als am Abend des 5. Juni ein Mob Vermummter randalierend durch die Straßen südlich der Innenstadt zog, war das Maß für konservative Politiker, die Strafverfolgungsbehörden und die Leipziger Volkszeitung offenbar voll. Besonders schockierend war wohl, dass der Randale-Abend genau dann stattfand, als die Stadt sich doch schön selbst feierte. So ist zu erklären, dass es tagelang hieß, die Demonstranten wollten vermutlich das Stadtfest stürmen, als hätte die Antifa, oder diejenigen, die sich dafür halten, nichts Besseres zu tun.
Nein, »bürgerkriegsähnliche Zustände« würden in Leipzig nicht herrschen, so durfte Polizeichef Bernd Merbitz die Bevölkerung dann via LVZ beruhigen. Einige Leser jedoch – siehe Bild – wähnen sich schon darin, im Krieg, und fordern den Gebrauch der Schusswaffe.
Die kreuzer-Redakteure Juliane Streich und Clemens Haug beschäftigen sich zusammen mit dem Investigativjournalisten Thomas Datt in unserer Titelstrecke mit militanten Strukturen in der Stadt, der Theorie und Historie hinter antifaschistischem und antikapitalistischem Protest, mit den Ereignissen des 5. Juni ganz konkret – und mit den Reaktionen von Politik, Behörden und Medien darauf. Ab Seite 18 wird auch beschrieben, wie die Aktion der Johannapark-Protestler die linke Szene selbst spaltet.
Die Idee zum Cover entstammt übrigens der Lektüre eines Buches aus dem Leipziger Lehmstedt-Verlag: »Leipzig wird braun« heißt es und beschreibt das Jahr der Machtübernahme 1933 in einer Abfolge von Fotografien, meist Leipziger Straßenszenen, und Beiträgen aus der Neuen Leipziger Zeitung, einer zu der Zeit liberalen Tageszeitung der Stadt. Monat für Monat kann man hier anhand der Fotos, kurzer Meldungen und längerer Berichte verfolgen, wie das Nazitum das öffentliche Leben übernahm und wie als Erste die Kommunisten und Sozialisten fertiggemacht wurden. Im Frühjahr sieht man ihre Gesichter noch auf Fotografien von Demonstrationszügen, wenig später häufen sich die Meldungen von Razzien, Verhaftungen, Prozessen und Selbstmorden einiger in Nazi-»Schutzhaft« genommener »Volksverräter«. Es ist eine ruhige und gerade darum besonders gruselige Beschreibung davon, wie das Grauen begann.
Wie die Jungfrau zum Kinde – so beschreibt Marcel Nowicki, einer der Organisatoren von No Legida, den Beginn seines Engagements im Protest gegen die Legida-Umzüge. Zusammen mit hunderten, gar tausenden Menschen stellten sie sich den neurechten Umzügen in den Weg. Der 34-Jährige (»Ich bin ein Nerd«) erklärt im großen Interview auf Seite 24, welche Bedeutung die sozialen Netzwerke für die Organisation des Protestes gegen Legida haben, und wagt einen Ausblick auf das, was nach Legida kommen könnte.
Nowicki spricht aber auch über den Spaß an der Arbeit, die er mit zwei Mitstreitern in die Organisation steckt, und er erzählt, wie sehr ihn der Hass belastet, mit dem er sich nun seit sechs Monaten fast täglich beschäftigt.
Und damit niemand deprimiert aus diesem Text gehen muss, hier noch eine Mail, die uns aus der Geburtsstation des St. Elisabeth-Krankenhauses erreichte, die seit ein paar Monaten über ein kreuzer-Frei-Abo verfügt: »Liebes kreuzer-Team, ich möchte mich ganz herzlich bei euch bedanken für die erfolgreiche Vermittlung eines wunderbaren und kompetenten Lebenspartners. Ich bin nun die vierte Frau auf meiner Arbeit in der Geburtshilfe im St. Elisabeth, die über eine Annonce im kreuzer ihr Glück gefunden hat. Vielleicht sollten wir mal alle zusammen feiern. Ich erfreue mich am kreuzer, der nun immer im Kreißsaal bereit liegt, und danke noch mal für die Möglichkeit, eine kostenlose Kontaktanzeige aufgeben zu dürfen. Viele herzliche Grüße von Constanze.«
In diesem Sinne, machen Sie es gut!
Andreas Raabe
chefredaktion@kreuzer-leipzig.de
Was sonst noch im Heft steht: Inhaltsverzeichnis, Monatstipps und Einblicke zeigt die Leseprobe unseres ePapers.