Ein selbst ernanntes Sommermärchen: Beim A Summer’s Tale ist keiner betrunken (außer Weinverkoster), die Yoga-Kurse sind ausgebucht und die Pommes aus Süßkartoffeln. Und überall Pferde, Pferde, Pferde. Ein Besuch beim Familienfestival.
Das hat ja gerade noch gefehlt: Ein Festival für Leute, die nicht gerne auf Festivals gehen. Weil die Klos eklig sind, die Zeltnachbarn immer besoffen rumgrölen und überhaupt all der Krach und Schmutz und Staub. Außerdem habe man jetzt Kinder, man werde ja auch älter und achachach ...
Dieser Zielgruppe der Über-30/40/50-Jährigen (gerne mit festem Einkommen) hat sich jetzt die Veranstaltungsfirma FKP Skorpio, die am nächsten Wochenende hier auch das Highfield-Festival veranstaltet, angenommen. Und auf einem Reitplatz in der Lüneburger Heide zum ersten Mal das A Summer’s Tale-Festival hochgezogen. Mit Bands – aber auch mit Lesungen, Filmen mit Regisseurgespräch, Yoga-Kursen (Hatha Yoga, Family Yoga, Acro Yoga, Power Yoga), Thai-Massagen, Traumfänger-Basteln oder Kanu-Touren. Das Programm ist am Tag weitaus vielfältiger als die Konzerte am Abend, die oft eher fürs Anlehnen als fürs Ausrasten gemacht sind.
Dort steht am ersten Abend des viertägigen Festivals Roisin Murphy auf der Bühne und macht leider mehr Modenschau als mitreißende Musik. Alle zwei Lieder präsentiert die ehemalige Moloko-Sängerin ein neues Kostüm. Beste Laune am zweiten Abend, als Belle & Sebastian auftreten. Fröhlich präsentieren die Schotten ihr neues Album und holen Menschen aus dem Publikum auf die Bühne, die dort spontan eine Tanzperformance hinlegen (nachdem alle Selfies gemacht sind), zu der sich dann auch Sänger Stuart Murdoch hinreißen lässt. Man bekommt den Eindruck, einige der recht jungen Menschen seien tatsächlich betrunken. Das kommt hier nur selten vor – hauptsächlich bei denen, die vorher den Sommelier-Workshop besucht haben. Und dennoch ist die Stimmung bestens. Friede und Freude allerorten. Ein Kurz-Urlaubsparadies für Menschen, die sich zuhause gerne bewusst ernähren und hier Deutschlands ersten Lachs-Döner probieren können. Es ist ein bisschen wie eine kleine Fusion, nur ohne Drogen und kommerzieller. Obwohl kaum Werbung das schick gestaltete Gelände verschandelt.
Und dann kommt Patti Smith und zeigt, dass der Rock’n’Roll doch noch nicht tot ist. Selbst hier nicht und auch nicht, wenn man graue Haare trägt und eine Tasse Tee auf der Bühne trinkt. Sie performt ihr legendäres Album »Horses«. Pferde, Pferde, Pferde. Am Zeltplatz, der eingeteilt ist in normales und extra komfortables Camping, reiten gelegentlich Mädchen aus der Umgebung auf den ausgeschilderten Reitwegen vorbei. »Judy and the dream of horses« trällerten Belle & Sebastian als Zugabe und Hein Strunk liest an einem heißen Nachmittag einen Text aus der Titanic vor, in dem er ausführlich erklärt, warum Pferde dumm und nutzlos sind. Die Höchste Eisenbahn dichtet ihren Hit »Vergangenheit« um in eine improvisierte Geschichte, in der jemand auf einer Rennbahn vom Pferd springt, im See untergeht, sich derweil mit der Taschenlampe ins Gesicht leuchtet und am Ende Rom zerstört worden ist (kurz zusammengefasst).
Zurück zu »Horses«, zurück zum Programm. Weil das Album recht kurz ist, singt Patti Smith noch unter Beifallsstürmen »People Have The Power« und zerreißt einzeln ihre Saiten. Der einzige Akt von Zerstörungswut auf der Hauptbühne, auf der auch Tori Amos ihr letztes Konzert vor einer Tourpause gibt. Sophie Hunger schmeißt bei ihrem empfehlenswerten Konzert (Tipp: 5.9., Parkbühne Leipzig) eine Wasserplastikflasche in die schwitzende Menge und entschuldigt sich später bei den verschreckten Menschen. Jochen Distelmeyer liest und erzählt und covert dann Britney Spears. Deine Freunde singen witzig über »Deine Mudda«. Get Well Soon klingen leider wie Brei – was nicht an ihnen, sondern am schlechten Sound der Zeltbühne liegt. Kinder mit bunten Kopfhörern tanzen oder bauen Sandburgen vorm Soundtechnikzelt. Die Security-Leute drücken sogar mal bei verbotenen Glasflaschen ein Auge zu, weil sie wirklich nichts zu tun haben. In den Bäumen flackern Lichter und gebastelte Vögel. Ein Zauberer schießt in die Luft. Kinder sprühen Peace-Zeichen an die Graffiti-Wand.
Und – tatsächlich wahr – selbst die Klos hier stinken nicht.