An dieser Stelle veröffentlichen wir das Editorial der April-Ausgabe des kreuzer. Chefredakteur Andreas Raabe berichtet, was es im neuen Heft zu lesen gibt.
Eigenartig war es ja schon lange, das Verhältnis von Jürgen Elsässer, Chefredakteur der rechtspopulistischen Zeitschrift Compact, gern gesehener Redner bei Legida & Co. – und der Stadt Leipzig. Ebenso klar wie rätselhaft war schon von Anfang an der Eintrag im Impressum der Compact, der ein Postfach in Leipzig als Kontaktadresse ausweist.
Gruselig wird es, wenn man weiß, dass Jürgen Elsässer schon früher, in den neunziger Jahren, kein Unbekannter in Leipzig war – allerdings unter völlig anderen Vorzeichen. Beispielsweise hielt er 1998 im Conne Island einen Vortrag zu seinem damals frisch erschienenem »Braunbuch DVU – Eine deutsche Arbeiterpartei«. Damals war Elsässer, heute ein Wortführer der neurechten Protestler, nämlich noch ein linker Journalist.
Noch viel gruseliger wird es, wenn man sich den Flyer von damals anschaut: »Massenpsychologie des Faschismus und die soziale Frage: Jürgen Elsässer stellt sein ›Braunbuch DVU‹ vor«, ist der Vortrag überschrieben. »Es handelt sich nicht um Protest, sondern um Pathologie«, heißt es weiter. »Das Ich-schwache Individuum hat Furcht vor Freiheit. Wenn die ökonomische Charaktermaske in der Krise fadenscheinig wird, flüchtet es in die schützende Obhut von Führer und Reich. – Eine aktuelle Analyse der DVU-Klientel, kombiniert mit einem Streifzug durch die Theorie von Freud, Reich und Fromm.« Denselben Vortrag könnte Elsässer heute über sein eigenes Wirken halten – das ist der große Witz an dieser Figur. Doch drängender ist die Frage, wie es dazu kam und was es bedeutet. Und dann: Was ist hier eigentlich los in diesem komischen Land im Jahr 2016?
kreuzer-Autor Paul Simon begann mit seinen Recherchen zu Jürgen Elsässer, dessen Zeitschrift Compact und den Verbindungen zu Leipzig schon vor mehreren Wochen, als weder klar war, dass die Alternative für Deutschland derart viele Wählerstimmen bekommen würde – noch, dass linke Aktivisten im Internet die Adresse eines Leipziger Wohnhauses veröffentlichten, in dem Elsässer seit »10 Jahren«, wie sie schrieben, leben solle. Simons Suche führte ihn in sächsische Dorfkaschemmen, in Sternmärsche neurechter Bürgerbewegungen, zu alten Elsässer-Kumpels und durch massenhaft Youtube-Videos, in denen, oft stundenlang am Stück, gehetzt, verleumdet, gemahnt, geraunt und verdächtigt wird.
Es gehört zu den großen Widersprüchlichkeiten dieser ganzen Szene, dass die Menschen »Lügenpresse« rufen, sich über tendenziöse Berichterstattung aufregen – aber dann ein Medium wie Compact konsumieren, dem die Tendenz unverhohlen aus jeder Zeile quillt und das zudem zur Stütze der eigenen Argumente immer wieder Quellen aus der »Lügenpresse« zitiert. »Mut zur Wahrheit« nennt Elsässers Compact das, in Wirklichkeit ist es aber wenigstens ein Mut zum Widerspruch, wenn nicht zum Schwachsinn. Ja, den Mut dazu muss man erst mal haben.
Elsässers Geschichte ist ein Baustein dafür, zu verstehen, was gerade in diesem Land, in dieser Region passiert. Aus der rechten Ecke kommt er nicht mehr heraus, schreibt Paul Simon am Ende unserer Titelgeschichte. Dort muss Elsässer jetzt bleiben, für immer.
ANDREAS RAABE
chefredaktion@kreuzer-leipzig.de
Was sonst noch im Heft steht: Inhaltsverzeichnis, Monatstipps und Einblicke zeigt die Leseprobe unseres ePapers.