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Literatur

Stalin, Schwertkampf und ein Drache

Drei Leseempfehlungen zur Buchmesse

  Stalin, Schwertkampf und ein Drache | Drei Leseempfehlungen zur Buchmesse

Julian Barnes’ beklemmend kluger Roman über Dmitri Schostakowitsch, ein bestechender Comic über einen Schwertmeister und die fabelhafte neue Drachenreiter-Runde, auf die uns Cornelia Funke mitnimmt.

Vom Ende der Ironie

Ein Mann wartet am Fahrstuhl, raucht eine Zigarette nach der anderen. Er hörte, diejenigen seien verloren, die die Staatsmacht aus dem Bett zerren muss. Wer mit gepacktem Koffer abgeholt wird, kehrt eher wieder heim. Deswegen harrt er nachts am Fahrstuhl aus. Der Mann ist der gefeierte Komponist Dmitri Schostakowitsch. Auch in dieser Nacht fragt er sich, wann sein Unglück begann. Vermutlich mit seiner letzten Oper. Stalin persönlich besuchte »Lady MacBeth von Mzensk«, nannte sie albernes Zeug.

Julian Barnes schildert Schostakowitschs Leben in drei Episoden, in denen Musik und Macht aufeinandertreffen. Feinsinnig hinterfragt er, wem die Kunst gehört. In der stalinistischen Sowjetunion eindeutig: dem Volk. Und wenn ein Komponist die Herzen des Volkes beeinflussen kann, muss der Einfluss auf den Komponisten umso stärker sein. Hier liegt Schostakowitschs Tragik, die Barnes gefühlvoll herausarbeitet. Er zeichnet einen verletzlichen Menschen, der sich nur in seiner Kunst sicher fühlt und stets um sie fürchten muss. In Russland gibt es nur zwei Arten von Komponisten, heißt es passend: Die einen sind am Leben und haben Angst. Die anderen sind tot.

Barnes erzählt immer auch von der Geschichte selbst. So hat er es auch in seinen bekanntesten Büchern gemacht, »Flauberts Papagei« und »Eine Geschichte der Welt in 10 1/2 Kapiteln«. Im neusten Roman geht es ebenfalls darum, wer Geschichte schreibt. Schostakowitsch hofft, dass die beißende Ironie seiner Symphonien auch in Zukunft gehört wird. Vor allem aber hofft er, wird seine Musik überhaupt Bestand haben. Wenn sie stark und wahr genug ist, heißt es an einer Stelle, wird sie den Lärm der Zeit übertönen und in das Flüstern der Geschichte verwandelt. »Der Lärm der Zeit« ist ein kluger Künstlerroman und ein berührendes wie beklemmendes Porträt.

TINO DALLMANN

Julian Barnes: Der Lärm der Zeit. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2017. 256 Seiten. 20 €

 

Blank ziehen

waffenmeister»Erschrickst du gern, kein Fechten lern«: Die Warnung aus einer historischen Schwertkampfanleitung ist ernst gemeint. Hans Stalhoffer könnte ihre Entsprechung sein. Denn den Ex-Waffenmeister vom französischen König Franz I. bringt nichts aus der Ruhe. Effektiv, ohne Umschweife weiß er den Gegner mit dem Langschwert nicht nur abzuwehren, sondern behände niederzustrecken. Nun ist der geschasste Recke unterwegs, um eine Bibelübersetzung außer Landes zu schmuggeln. Doch sind ihm katholische Schergen und ein ewiger Kontrahent auf den Fersen: Showdown.

Heftig rieselt der Schnee, dafür klingt das Thema Reformation nur leise an. Das für historische Abenteuer-Comics eher gewöhnliche Setting des ehrbaren, von böser Staatsmacht verfolgten Schurken, wird durch zwei Aspekte zu etwas Besonderem. Da sind einerseits die stimmig-atmosphärischen alpinen Waldlandschaftsbilder, die der realistische Zeichenstil zu atemberaubenden Miniaturen macht. Zweitens bestechen die Kampfszenen durch Wissen um effektive Schwertkunst – auch wenn das alte Thema Langschwert (fälschlicherweise als »Zweihänder« bekannt) versus Rapier hier auch wiederkehrt. Die dynamischen Zweikämpfe sind recht schnörkellos gehalten. Die Waffen bleiben zum Schutz vorm Körper, wilde Conan-Barbaren-Schwünge fehlen. Das ist erfrischend. Dass sich die Autoren an historischen Vorlagen orientiert haben, erscheint nicht nur dadurch sehr wahrscheinlich. Der Protagonist Hans Stalhoffer erinnert stark an eine reale Schwertlegende: Hans Talhoffer war ein Lohnkämpfer und Fechtmeister des 15. Jahrhunderts. Ein erschreckend gutes Album.

TOBIAS PRÜWER

Xavier Dorison, Joël Parnotte: Der Waffenmeister. Bielefeld: Splitter 2016. 96 S., 19,80 €

 

Ein neues Abenteuer für den Drachenreiter

funke-drachenreiter»Ben spürte, dass er vergaß, wie es sich anfühlte, frei zu sein. Nein – schlimmer –, er begann, den Glauben daran zu verlieren, dass er es je wieder sein würde.« Ben wurde von Greifen gefangen genommen und in einen Käfig gesperrt. Und diese Fabelwesen sind nicht gerade für ihre Gutmütigkeit bekannt. 19 Jahre nach seinem ersten Abenteuer »Drachenreiter«, schickt Cornelia Funke ihren Protagonisten und mutigen Helden Ben Wiesengrund wieder auf die Reise. In »Drachenreiter: Die Feder eines Greifs« versucht Ben mit seinem Adoptivvater Barnabas und der Hilfe von Fabelwesen, die so fabelhafte Namen wie »Fliegenbein« und »Hothbrodd« tragen, die Sonnenfeder eines Greifs zu ergattern. Denn diese ist die einzige Möglichkeit, drei Pegasuseier – die letzten ihrer Art – zum Wachsen zu bringen.

Von Mímameiðr, einem verborgenen Zufluchtsort für Fabelwesen in Norwegen, macht sich die Gruppe auf die Reise nach Südostasien, wo sie die Heimat der Greife und somit die Sonnenfeder vermuten. Auf der Insel der Greife angekommen, geraten sie in deren Gefangenschaft. Doch Bens Drachenfreund Lung eilt ihnen im richtigen Moment zu Hilfe.

Cornelia Funke wechselt im Buch immer wieder die Perspektive, schreibt mal aus der Sicht der Abenteurer, mal aus der Sicht der Daheimgebliebenen oder der Drachen, die erst später auf die Insel der Greife kommen.

»Drachenreiter: Die Feder eines Greifs« ist eine gelungene Fortsetzung der Drachenreiter-Reihe. Am Anfang gibt es einige Rückbezüge zum »Drachenreiter«. Das ist gut für alle, die das erste Buch nicht gelesen oder die Geschichte vielleicht vergessen haben. Die Rückbezüge lassen aber auch die eigentlich spannende Geschichte etwas langsam anlaufen. Und so schön die Fantasiewelt ist, je mehr Fabelwesen nach und nach erwähnt werden, desto schwerer fällt es, nicht den Überblick zu verlieren oder einfach darüber hinweg zu lesen. Umso mehr zieht einen das Buch aber in den Bann, sobald Ben und sein Team ihre Reise begonnen haben. Funke beschreibt die Fantasiewelt mit vielen kleinen Details und baut immer wieder witzige Momente ein, wenn beispielsweise Lola die Rättin, die Bezeichnung »Homunkulus« zu »Humpelkluss« oder »Humklupus« verdreht, um ihren Gefährten Fliegenbein zu ärgern.

Und auch tiefsinnigere Themen lässt Cornelia Funke einfließen. So ist auf Mímameiðr Plastik verboten und die Wiesengrunds unterrichten ihre Kinder zuhause – politische Themen, die auch in der Fantasiewelt Einfluss finden. Aber auch große, unpolitische Themen wie Freundschaft, Vertrauen und die Erkenntnis, dass es nicht darauf ankommt wie jemand aussieht oder woher er kommt vermittelt die Geschichte. So können Kinder wie Erwachsene in die Geschichte eintauchen und bis zum Ende mit Ben, seinen Freunden und den Pegasus-Babys mitfiebern.

ANGELA KRESS

Cornelia Funke: Drachenreiter: Die Feder eines Greifs. Hamburg: Dressler Verlag 2016. 416 S., 18,99 €, ab 10 Jahren.


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