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Henselmanns Rache

Mit acht Jahren Verzug ist das Paulinum der Uni fertiggestellt und damit ein Kapitel Leipziger Architekturdebatte beendet

  Henselmanns Rache | Mit acht Jahren Verzug ist das Paulinum der Uni fertiggestellt und damit ein Kapitel Leipziger Architekturdebatte beendet

Acht Jahre hat es auf sich warten lassen, das Paulinum der Universität Leipzig. Trotz zahlloser Diskussionen um die Gestaltung des Raumes ist das Ergebnis eher ernüchternd. Frei nach dem Motto: Gewollt, aber nicht gekonnt.

Die Zeit scheint irgendwie darüber hinweggegangen zu sein: Merkwürdig verhalten blieb das Echo auf die inoffizielle (Wahlkampf-)Voreinweihung des Paulinums mit geballter Politprominenz aus Dresden und Berlin am 23. August – kein Vergleich mit den heftigen Debatten und dem Lavieren der sächsischen Staatsregierung vor fast 15 Jahren, als die Geschichte des Paulinum-Neubaus begann.

Eine unendlich lange Vorgeschichte

Der Beton des Anstoßes war der real existierende Campus, den der DDR-Stararchitekt Hermann Henselmann 1968 plante und Leipzig durch das Universitätshochhaus gleich noch mit einer neuen Stadtkrone beglückte. Das war natürlich politisch gewünscht, wie auch die dafür in Kauf genommene Sprengung der intakten Paulinerkirche als Relikt überwunden geglaubter Zeiten. Die Uni wollte nach 1989/90 einen Neubau auf dem Areal, gegen ihren Willen verscherbelte der Freistaat das Hochhaus, so dass es in die Planungen nicht einbezogen wurde.

Nun stand aber – angetrieben vom Dresdner Neumarkt-Historismus und der Exorzierung der DDR-Geschichte – auch der Leipziger Paulinerverein auf der Bühne und trommelte mit aller Macht für einen Kopiebau der alten Kirche. 2001 wurden dafür auch 27 Nobelpreisträger 
in Stellung gebracht – zu einer Zeit, als ein Realisierungswettbewerb zur Neugestaltung des Campus lief und dabei sowohl eine neue Aula als auch ein Andachtsraum vorgesehen war. 
In aller Öffentlichkeit lehnten sächsische Minister (unter ihnen ein gewisser Thomas de Maizière) das Ansinnen damals ab. Doch der zur Weiterbearbeitung ausgezeichnete Wettbewerbsentwurf des Büros Behet & Bondzio aus Münster für das Areal löste eine Flut an Kritik aus. Diese bezog sich allerdings nur auf das Aussehen des geplanten Aulagebäudes am Ort der Paulinerkirche – der Rest des Geländes mit den Bauten für Studium und Lehre war den Kämpfern fürs gotische Gewölbe egal. Die Debatte tobte und zog ungeahnte Kreise, da für manche sogar kurzzeitig die Rekatholisierung Sachsens drohte, als die CDU verkündete, das Bistum Dresden-Meißen würde eine neue alte Paulinerkirche nutzen wollen. Selbst ein Kardinal Ratzinger – es war die Zeit, als wir noch nicht Papst waren – habe Unterstützung zugesagt.

Im Januar 2003 beschloss das sächsische Kabinett in seiner unendlichen Weisheit, den Kirchenneubau zu unterstützen. Daraufhin trat das gesamte Uni-Rektorat wegen Einmischung in die universitäre Selbstverwaltung zurück, Studierende protestierten, offene Briefe und Gesprächsforen wechselten einander ab, der sächsische Landtag debattierte darüber. Dresden ruderte zurück, den Ausweg sollte ein erneuter Wettbewerb für den Standort der zukünftigen Aula und das angrenzende Hauptgebäude bringen.

Stellungskrieg

Für manche schien es, als sei am 24. März 2004 weißer Rauch aufgestiegen, als die Jury den Rotterdamer Architekten Erick van Egeraat zum Sieger erklärte. Vor der Entscheidung hatte die Leipziger Lokalzeitung die Entwürfe veröffentlicht, das LVZ-Lesertelefon glühte für den Niederländer. Dass damit die üblichen Regeln eines Architekturwettbewerbes desavouiert wurden – geschenkt, van Egeraat wurde als der neue Star des Kompromisses gefeiert. Bei der Präsentation seiner Planungen zeigte er emotionale Bilder: wärmer, voller, reicher wolle er bauen. Zitate der alten Kirche sollten an den zerstörten Bau erinnern. Die Jury forderte aber, den Entwurf hinsichtlich der Funktionalität zu überarbeiten.

Doch nicht alle waren mit der Entscheidung zufrieden. Es begann ein erbitterter Stellungskrieg um die Ausführungsplanung. Erneut entbrannten Debatten um die Stützenimitate des Innenraums, die trennende Glaswand zwischen Haupt- und Andachtsraum, die Aufstellung der alten Kanzel – es war der Kampf zwischen mehr Kirche oder mehr Aula. Notorisch nörgelnde Studierende hängten im Herbst 2005, als in Dresden die Frauenkirche eingeweiht wurde, ein Transparent an die Uni: »Leipzig ist nicht Dresden. Gott sei Dank«, was beim inzwischen verblichenen Leipziger Großschriftsteller Erich Loest öffentliches Herzrasen auslöste. Kompromisse folgten, Egeraats Architekturbüro musste wegen der Finanzkrise Insolvenz anmelden und Urheberrechtsstreitigkeiten wurden ausgefochten. So konnte das Universitätsjubiläum 2009 statt in einem fertigen Neubau nur auf einer Baustelle gefeiert werden. Die Neugestaltung des restlichen Campus nach den Entwürfen des Büros Behet, Bondzio, Lin war indes abgeschlossen.

Postmoderner Firlefanz

Die bereits seit geraumer Zeit fertige Front von Paulinum und angrenzendem Augusteum 
am Augustusplatz hat die Architekturkritik als »Kommerzästhetik« und »Neurussenschick« bezeichnet. Hinter dem Spitzbogenfenster befindet sich die Aula, der Raum darüber in dem klobigen Dachbereich ist mit Büros und Seminarräumen vollgestopft. Davon ist außen natürlich nichts zu sehen, da hier eine große pseudogotische Fensterrose das nostalgische Gemüt erwärmen soll. Aufdringlich wirkt die neue Schaufassade der Uni: Die Beliebigkeit der Glas- und Natursteinflächen sowie die unförmige Kubatur werden durch die banalen Bezugnahmen auf die alte Kirche kaschiert.

[caption id="attachment_56772" align="alignnone" width="630"]Kompromissarchitektur erster Güte: Innenraum des Paulinums mit abgeschnittenen Pseudo-Stützen (Foto: Henry W. Laurisch) Kompromissarchitektur erster Güte: Innenraum des Paulinums mit abgeschnittenen Pseudo-Stützen (Foto: Henry W. Laurisch)[/caption]

Der Innenraum – durch eine Glaswand in Aula und Andachtsraum geteilt – erscheint in makellosem, unterkühltem Weiß, von der versprochenen Wärme ist nichts zu spüren. Auch von Zitaten des alten Baus kann hier keine Rede mehr sein, billige Imitation ist angesagt. Als Differenz bleiben glänzende Oberflächen und absurde Stilblüten. Die Maßwerkadaption der Fenster wirkt in ihrer Glätte wie die Laubsägearbeit einer Bastel-AG für Kinder, das Pseudogewölbe aus Fertigteilen glänzt speckig. Etwas Gewalttätiges strahlen – im wahrsten Sinn des Wortes – die abgeschnittenen Pseudo-Stützen mit ihrer LED-Beleuchtung aus. Diese schweben drohend 
über dem Publikum und scheinen herunterrauschen zu wollen, um alles zu erschlagen, was sich ihnen in den Weg drängt. Dieser postmoderne Firlefanz ist Kompromissarchitektur erster Güte. Denn die Uni wollte eine multifunktionale Aula und bekam mit Egeraat einen stützenverstellten Raum, der die Bespielbarkeit einschränkte. Als schlichter Ausweg aus diesem Dilemma blieb das Kappen der Stützen. Problem gelöst, weitermachen!

Henselmanns Rache

Der zweite Blick in den Raum lässt von Makellosigkeit nichts übrig, denn Mängel in der Detailausführung wie etwa der Höhenversatz zwischen den Teilen der Emporenbrüstung machen nur sprachlos. Anspruch und Wirklichkeit werden hier besonders deutlich: Statt Bauqualität siegt das schlichte Bild. Im Übrigen ist dieses Erzeugen plakativer Bilder genau das, was dem DDR-Stararchitekten Henselmann vorgeworfen wurde. Ob Egeraat sich dessen bewusst war?

»Uni:St. Pauli 3:0« stand mit Wendung gegen den Paulinerverein triumphierend auf einem Stura-Transparent nach dem Ende des Stützen-Streits. Städtebaulich umgedeutet müsste es heißen: »Henselmann:van Egeraat 1:0«. Denn angesichts der Höhe des Universitätshochhauses wirkt die neue, selbstverliebte Platzwand von Augusteum und Paulinum nur wie eine aufdringliche Geste, die sich gegen die Dominanz des Turmes nicht durchsetzen kann. Henselmanns Idee einer staatssozialistischen Stadtkrone stellt die bildhafte Erinnerung an die Sprengung der Paulinerkirche buchstäblich in den Schatten. Auch in dieser Hinsicht hat Egeraat das Thema verfehlt.

Doch es war nicht alles schlecht: Dem Paulinum kommt immerhin das Ver dienst zu, über einige Jahre gesellschaftliche Konfliktlinien 
in der Architektur sichtbar gemacht zu haben. Welcher Bau kann das in Leipzig noch für sich in Anspruch nehmen?


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