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Kultur

Ganz prima Hummel

Von den drei Spinnereirundgängen im Jahr gilt der winterliche als der »kleine«, 2018 freudig flankiert vom Kirowwerk

  Ganz prima Hummel | Von den drei Spinnereirundgängen im Jahr gilt der winterliche als der »kleine«, 2018 freudig flankiert vom Kirowwerk

Wenn Feuerkörbe rausgestellt werden und Glühwein gefragter ist als Bier, dann ist Winterrundgang auf dem Spinnereigelände im Westen Leipzigs. Die Besucherzahlen sind vierstellig, die Verkaufserlöse bestenfalls deutlich darüber. Doch all das sollte Beiwerk sein, nicht der Erwähnung wert. Denn es geht um die Kunst.

Fallschirmfrauen und kühne Kugelbauten

Tjark Ihmels verkörpert eine Zweiseitigkeit, die bezeichnend ist für die Hochschule für Grafik und Buchkunst der Nachwendezeit: Er studierte ab 1990 bei Arno Rink Malerei, bis zum Meisterschüler 1996. Doch da hatte ihn, wie manch anderen, die an der Akademie neu einziehende Medienkunst offensichtlich längst mehr interessiert, denn mit solcher machte er sich ab 1994 einen Namen. Womöglich ist es mit der Malerei wie mit dem Glauben: Man entkommt ihr nicht. Jedenfalls meldete sich Ihmels nun im Umfeld des Spinnerei-Winterrundgangs mit Öl auf Leinwand zurück. Und überzeugte weit mehr als andere Beiträge.

Der Titel der Schau »Ich bin mein eigener Feiertag« im Kirowwerk deutet an, dass auch Ihmels Theologiestudium der 1980er Jahre noch nachwirkt. Die Welt, die Ihmels auf 16 Keilrahmen eröffnet, ist paradiesisch, ein blühendes Arkadien, bevölkert von leger gekleideten Männern mit Ferngläsern und putzigen Frauen, die mit quallenförmigen Fallschirmen zur Landung ansetzen.

Ihmels Motivik passte zum Geschehen gleich auf der anderen Seite der Werkstraße. Dort verschwanden reihenweise Besucher mit Bauhelmen hinter einer Plane und stiegen ein Gerüst hinauf, um erste Eindrücke der »Sphere« zu erhaschen, ein kühner Kugelanbau an einer Fabrikdachecke nach Plänen Oscar Niemeyers, quasi des Stararchitekten letztes, postumes Werk, eine futuristische Punktlandung. Noch 2018 soll es als Kantine, Café, Bar fertiggestellt sein, Prestige bringen und Freude.

Auktion zugunsten der Halle 14

So willkommen die Abwechslung war, die Ihmels und Niemeyer bei Kirow boten, dem Winterrundgang auf der Spinnerei vorzuwerfen, langweilig gewesen zu sein, wäre ungerecht. Es ist der »kleine« der drei Rundgänge im Jahr, und es ist der, bei dem die Galeristen sich am ehesten auf Experimente einlassen.

Pistole, Kippen, Whisky, Megaphon, Hammer, Panzer – was eine erfolgreiche Auktion halt so braucht

Zudem stand wieder eine vom Schriftsteller Clemens Meyer angefeuerte Versteigerung zugunsten des Kunstzentrums Halle 14, flankiert vom Galeristen Uwe-Karsten Günther. Neben 38 Arbeiten kam der Auktionstresen selbst unter den Hammer, gestaltet vom Duo Günther Meyer und dem Maler Rigo Schmidt, und brachte 840 Euro ein. Aufgemalt war unter einer gerupften Gans der Spruch »Eine Ganz Prima Hummel Habe Ich« aus Meyers Gedicht »Memoiren eines Heimkinds«, welches prompt zum Vortrag kam, ein prägnanter Fünfzeiler, in dem eine dressierte Hummel »greuliche Spinnen« in Fallen lockt. Inwieweit das hier sinnbildlich zu verstehen war, für den Kunstmarkt, für Versteigerungen, blieb ungeklärt. Abgesehen von solchen Highlights leerte sich der anfänglich überfüllte Raum kontinuierlich, manch Werk blieb ohne Gebot. Selbst ein kleiner, nicht ganz günstiger Olaf Nicolai ging überraschend zäh weg, bei Werken von Hans Aichinger und Thomas Locher dagegen kam Bewegung in den Saal.

In der Ausstellung »Pictures for Donald«, Werkschauhalle

Wer erwartungsvoll in die Ausstellung »Pictures for Donald« in die Werkschauhalle ging, verließ sie tendenziell enttäuscht. So vielversprechend ein Projekt der Fotografieprofessoren Juergen Teller und Torsten Hattenkerl mit Studierenden der Akademien aus Leipzig und Nürnberg klingen mag, ein intimerer Rahmen zur Präsentation der während eines Aufenthalts in der Künstlerresidenz Libken in der Uckermark entstandenen Arbeiten wäre angemessener gewesen. Weder stachen Beiträge erfreulich hervor, noch fingen kuratorische Leitplanken nennenswert etwas ab.

»The white fleets landfall« (Kugelschreiber auf Papier, 81 x 61 cm) von Claus Georg Stabe in der Galerie Torsten Reiter

Zu den Entdeckungen des Winterrundgangs zählen zweifellos die großformatigen Kugelschreiberzeichnungen, die Claus Georg Stabe unter dem Titel »The Humming Cloud« (Die brummende Wolke) bei Torsten Reiter präsentierte. Leipzig-typisch geschieht vordergründig wenig auf den Blättern des Neo-Rauch-Meisterschülers: Sonnenbälle, Wasseroberflächen, Pflanzensilhouetten, Greifvögel, eine Hand mit Smartphone sind zu sehen, teils nur zu erahnen, denkbar öde Sujets. Faszinierend dagegen die Erzeugung der Bilder aus horizontalen, mehrfarbigen Wellenlinien, ähnlich dem Sicherheitsmerkmal von Geldscheinen, in monotoner Bewegung per Schablone aufgetragen, tintenfleckig, wo offenbar die Kugel überdosierte. Statt erlernte Techniken anzuwenden, um neue Motive zu schaffen, entwickelte Stabe eine eigene Technik, um vorhandene Motive zu zerlegen. Das Resultat überzeugt. Dass die Zeichnungen und Titel von Sounds des ersten Velvet-Underground-Schlagzeugers Angus MacLise inspiriert sind, mag bedeutsam sein – oder auch nicht.

Zeichnungen mit Sogwirkung

Weit manischer in der Ausführung und gänzlich gegenstandslos geht Christian Schellenberger vor. Er ist bekannt dafür, seine ausufernden, krakelnd Form suchenden oder Form verachtenden, auf jeden Fall mitreißenden Zeichnungen gern auf langen Zugreisen anzufertigen. Der HGB-Absolvent hat in der Galerie b2 ein Wandbild hinterlassen, rote Tusche-Striche auf 13 x 5 Metern Grundfläche, unten zwei gleichmäßige, ordentliche Linien, nach oben hin aus dem Takt geratend, dicker werdend, länger, blasser, zwischenzeitlich einem Horizont gleichend, sich kringelnd, zu Kettengliedern werdend, wellend. Eine Fleißarbeit, die Ordnung sucht und so etwas wie Landschaft schafft. Vor allem aber Sog entwickelt.

In der Josef Filipp Galerie finden unter dem Titel »Neues Haus Neue Welt« drei unterschiedliche Künstler gut zusammen: Malerei des Chilenen Martin Daiber und des Leipzigers Sebastian Gögel neben Plastiken und Zeichnungen von Thomas Moecker (Leipzig). Der Titel ist beim Reformarchitekten Erich Mendelsohn entliehen und verweist auf die Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts – kubistische Anleihen bei Daiber, Konstruktivismus bei Moecker, Gögels Personal, das bei George Grosz womöglich Gefallen gefunden hätte, so ungefähr. Schwelgen in Form und Farbe, durchaus mit Hintersinn.

Die Bildwelten von Sven Kroner in der Galerie Jochen Hempel gehorchen eigenen Gesetzen (o.T., Acryl auf Leinwand, 150 x 200 cm)

Tief in die Trickkiste malerischer Möglichkeiten greift Sven Kroner bei Jochen Hempel. Auf seinen Leinwänden, die oft verwitterte Räume zeigen, krachen spielzeuggroße Lastkähne durch Atelierböden, blättern Landschaften als Tapete von der Wand, löst sich von einem Schneemann eine Lawine, die ein Haus zu begraben droht, humorvolle Endzeitszenerien, clever komponiert.

Internationale Positionen?

Bei ASPN präsentiert Johannes Rochhausen aktuelle Malerei, wie gewohnt Abbildungen seines Ateliers. Die Galerie Kleindienst lädt in eine neue Bildwelt von Julius Hoffmann ein, während Kathrin Thiele im Laden fuer Nichts abstrakte Acryl-auf-Papier-Arbeiten zeigt. Die ukrainische Künstlerin Lada Nakonechna – 2008 Gast der Leipziger Künstlerresidenz LIA, seit 2010 mit großer Bleistiftwandzeichnung in der Universitätsbibliothek vertreten – bespielt die Galerie Eigen + Art mit versteckten Botschaften und Sehhilfen. The Grass is Greener kombiniert Malerei von Elena Kozlova mit Wandobjekten aus Holz und Beton von Petra Deta Weidemann und sorgt wie auch Galerist Marcus Ritter, der an Malerei orientierte Fotografie von Rita Nowak zeigt, für eine halbwegs ausgeglichene Frauenquote. Dukan vereint unter dem Titel »Choice« sieben wahrlich internationale malerische und skulpturale Positionen, die bei den lokalen Galeristen, die in aller Regel hiesige Kunst zeigen, nie zu sehen wären, ein klarer Zugewinn.


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