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Kultur

Jeder ist ein Role Model

Auf der 12. Republica werden Shitstorms mit Seifenblasen bekämpft

  Jeder ist ein Role Model | Auf der 12. Republica werden Shitstorms mit Seifenblasen bekämpft

Es ist voll. Immer mehr Menschen strömen zur Republica in die Berliner »Station«. Liegt wahrscheinlich daran, dass ja auch immer mehr Menschen im Internet unterwegs sind. Und so sind die Gäste der Digitalkonferenz längst nicht mehr nur die Nerds, sondern Menschen aus allen möglichen Ecken und Generationen. Es geht auch um alles: Um den umkämpften Wohnungsmarkt in Städten. Die Zukunft des Buches. Wie der Sexismus bekämpft werden kann. Was wir von Hans im Glück lernen können. Sogar um männliche Verhütung.

Doch der Superstar hier ist Chelsea Manning. Die Whistleblowerin, die eigentlich 35 Jahre im Knast sitzen sollte, wurde letztes Jahr von Barack Obama kurz vorm Ende seiner Amtszeit begnadigt. Daher kann sie nun zum ersten Mal nach Berlin kommen, wo sie mit großem Applaus begrüßt wird. Sie, die früher noch Bradley Manning hieß und  hunderttausende Dokumente an Wikileaks weitergab, die unter anderem zeigten, wie US-Soldaten Zivilisten erschossen, sie also sei hier für viele ein Role Model, sagt die Moderatorin , sagen Menschen im Publikum. Manning winkt ab und gibt einen Tip: »Seid für euch selbst ein Role Model!«

Und dann warnt sie vor den gleichen Schieflagen, die sie schon zu ihrem Geheimnisverrat vor zehn Jahren motiviert haben und keinesfalls besser geworden sind: Die massenhafte Überwachung durch Geheimdienste geht weiter und demokratische Staaten werden zunehmend autoritär. Es reiche nicht, darüber zu twittern, man müsse die Entwicklung stoppen, mahnt sie. Dass große Konzerne massenweise Daten sammeln sei sehr gefährlich.

Das Problem mit den Daten wird hier an jeder Ecke besprochen. Wer kriegt sie und was macht er damit? Am Ende sind es die zwei, drei Monopolisten der Branche - Google, Amazon oder Facebook -,  die die Daten sammeln. Und sie machen vor allem eins damit: Geld. Und auch die tollen Science-Fiction-mäßigen Dinge, die demnächst dank künstlicher Intelligenz möglich sind, können zwar Leben retten, indem sie zum Beispiel frühzeitig Krankheitssymptome erkennen, aber auch zur totalen Überwachung  führen, so dass die Menschen mit krankheitsgefährdeten Genen keine Krankenversicherung mehr nehmen will.

Die kapitalistischen Ziele all des Fortschritts prangert auch Katherine Maher an, Chefin von Wikipedia, der einzigen unkommerziellen Webseite unter den fünf wichtigsten Seiten der Welt. Aber selbst die Online-Enzyklopädie, in der es Einträge auf 300 Sprachen gibt, erreicht nur einen geringen Teil der Weltbevölkerung, wenn auch weitaus mehr als die meisten anderen Akteure des Silicon Valley. Reiche, privilegierte Menschen der westlichen Welt entwickeln neue Ideen für andere reiche privilegierte Menschen der westlichen Welt.  

Die reichen privilegierten Gäste der Republica tummeln sich in einem Bällebad, deren grüne Bälle als Greenscreen für jede Menge Quatsch herhalten. Nebenan kann man mit QR-Codes Bier bekommen. Das Land Baden-Württemberg will einen Tweet gegen ein Tannzäpfle. Draußen auf dem Hof legen vor dem Werbewagen der Spaßkasse Dr. Motte und andere halb vergessene Stars der Loveparade mittags Techno auf. Bei Stand des ZDF kann man abgefahrene Selfies mit einem Kosmonauten-Mainzelmännchen und dem Böhmermann-Pullovermann William Cohn machen. Böhmi selbst ist nicht da, sondern nur auf riesiger Leinwand auf Skype spontan zugeschaltet, weil er jetzt eine Liebes-Troll-Armee geschaffen hat – die hier beliebter ist als die Bundeswehr, die die Veranstalter nicht auf der Konferenz haben wollten, weswegen die am ersten Tag beleidigt ein bisschen Stress vor den Eingangstoren machen.

Böhmermann dagegen hat, wie er selbst twittert, »aus Versehen eine unabhängige, überparteiliche Bürgerrechtsbewegung im Internet gegründet, die nach 7 Tagen doppelt so viele Mitglieder hat wie die AfD«. Die ist auch dringend notwendig, denn das Netz ist schon lange nicht mehr der Platz, den sich Utopisten am Anfang noch paradiesisch mit gleichen Chancen auf Bildung und weltweiter Vernetzung ausgemalt haben – das wurde bereits in den letzten Jahren auf der Republica ausgiebig diskutiert. Inzwischen ist das Internet vielmehr ein Ort, in dem Leute ihrem Hass freien Lauf lassen, andere Menschen aufs Schlimmste beleidigen und wo die AfD oder Donald Trump sich erfolgreicher bewegen als ihre liberalen Gegner.

Das sieht auch Sascha Lobo als größtes Problem. Der Internet-Erklärer wird in seiner Rede zur Lage der Nation sehr politisch. Es gibt keine Katzenbilder zur Belustigung der Massen – sondern Forderungen nach einem offensiven Sozialliberalismus. Das Ziel, für das er kämpft, beschreibt er so: »Eine Gesellschaft, in der eine jüdische, arbeitslose, lesbische She-Male im Bikini betrunken knutschend an jedem Ort mit einer stillenden, schwarzen, behinderten Ex-Muslima mit Kopftuch auf der Straße tanzen kann – ohne Angst um ihre Existenz haben zu müssen.« Und er fügt noch an: »Mit Wlan.« Ein bisschen Internet muss dann doch sein.

Lobo beschwört auch wieder ein „Wir« und ist dabei recht bescheiden geworden: Wir = alle, die nicht rechtsextrem sind. Das dürften viele sein, aber sie verhalten sich so ruhig, dass die lauten Trolls oft den Diskurs bestimmen. Dieses Problem wird auf vielen Diskussionsrunden und Vorträgen auf der Republica thematisiert. Es geht um Rechtsruck, HateSpeech und erhitzte Gemüter. Einen Kulturkampf nennt das die Autorin Kübra Gümüşay: »Die Leute glauben sich im Krieg«, erklärt sie in einer Diskussionsrunde zum Thema »Zivilcourage im Netz«. Das liegt auch an den Medien und der ganzen Aufmerksamkeitsökonomie. »Wer nach einem Tag Focus online auf Facebook KEINE Angst bekommt, den halte ich für psychisch auffällig«, sagt Lobo.  

Krieg auf der republica gibt’s nicht. Und das liegt nicht an der draußen gebliebenen Bundeswehr, sondern an den Leuten, die am Ende zwischen Seifenblasen Bier zusammen trinken. Die Seifenblasen stehen für das Motto POP – das einerseits Power Of People symbolisiert und andererseits das Zerploppen von Filterblasen. Dabei würde man am liebsten die gesamte Republica in seine Filterbase holen und dann wäre das Internet wieder schön. Voller kluger Frauen, Wissen, Witz und Liebe. Und es wäre nie zu voll.


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