An dieser Stelle veröffentlichen wir das Editorial der Februar-Ausgabe des kreuzer. Chefredakteur Andreas Raabe berichtet von seiner stärksten Erinnerung an den Herbst ´89 und davon, wie einer kreuzer-Redakteurin Hausverbot in einer Leipziger Kneipe erteilt wurde und eine weitere Autorin für einen Artikel geschmäht und beschimpft wurde.
Ich erinnere mich an einen dunklen Herbstabend im Jahr 1989. Ich bin 11 Jahre alt und gucke aus unserem Küchenfenster, in dem damals immer eine brennende Kerze stand. Genau gegenüber ist das Tor der Stasi-Zentrale Bezirk Rostock, ein großer Gebäudekomplex. Jedenfalls schaue ich aus dem Fenster und ich weiß, mein Vater ist zur Demo auf den Marktplatz gegangen. Und ich sehe, wie da das Tor aufgeht und Militärlaster rausfahren, an unserem Fenster vorbei, biegen ab Richtung Markt. Hinten auf den Pritschen unter den Planen sehe ich Soldaten sitzen.
Das ist meine stärkste Erinnerung an den Herbst 1989. Zumindest ist es die Szene, die mir sofort einfällt, die ich wie einen Film vor Augen habe. In unserer Titelgeschichte haben wir Leipzigerinnen und Leipziger nach genau solchen Erinnerungen gefragt. Die Fotografin Christiane Gundlach hat sie porträtiert. Es ist dabei eine erstaunliche kleine Sammlung herausgekommen, anzuschauen ab Seite 14.
Mit Erinnerungen geht es übrigens im nächsten Heft weiter. Dann nämlich werden die Autoren der kreuzer-Comic-Reihe Les Misanthropes, Phillip Janta (Grafik) und Marcel Raabe (Text), mit einer ganz neuen Geschichte beginnen. Der Misanthrop und seine Freunde feiern in dieser Ausgabe ihren Abschied.
Heute leben wir in einer Zeit, in der es wieder in Mode zu kommen scheint, Journalisten persönlich anzugehen, sie zu bedrohen oder ihnen genüsslich Steine in den Weg zu legen.
Dies passiert regelmäßig auch beim kreuzer. Ich schreibe hier mal fünf typische Fälle aus dem letzten Monat auf – nur, damit Sie Bescheid wissen. Da gibt es den Konzertveranstalter, der wegen eines Berichtes über einen seiner Betriebe laut darüber nachdenkt, keine Anzeigen mehr zu schalten. Es gibt die kreuzer-Redakteurin, die plötzlich Hausverbot in einer Leipziger Kneipe hat und bei ihrem Besuch nebst verdutzter Begleitung herausgebeten wird. Sie wisse schon, warum, hieß es.
Eine andere Autorin berichtet über eine Demo, bei der sich zwei linke Gruppen gegenüberstehen, eigentlich geht es aber um eine Moschee. Anschließend wird sie von einer der linken Gruppen im Internet geschmäht, beschimpft, ihre Arbeit wird herabgewürdigt, schließlich erhält sie privat Mails mit weiterem Hate-Content, der sich sogar auf ihre angenommene Herkunft bezieht. Der Pressesprecher des Amtsgerichtes Leipzig, selbst Richter, verschickt natürlich keine Hassmails. Einem kreuzer-Autor teilte er allerdings trocken mit, »für das angefragte Gespräch mit dem "kreuzer" stehe ich nicht zu Verfügung.« Einen Grund für die Verweigerung mochte der Richter auch auf Nachfrage nicht nennen.
Und dann ist da noch die SPD Sachsen. Die reagiert auf unsere letzte Titelgeschichte mit einem Tweet, in dem sie meint, der kreuzer würde Rot-Rot-Grün in Sachsen »zer-schreiben« und darum klappt das alles nicht. Zum Thema gibt es übrigens am 14. Februar einen kreuzer,-Korn-&-Kippen-Talk, die Ankündigung finden Sie auf Seite 13.
Vielleicht haben die Leute um den Jahreswechsel herum ja einfach nur schlechte Laune. Das bessert sich hoffentlich, denn wenn der Februar geschafft ist, steht der Frühling vor der Tür. Ganz oben auf der Seite sehen Sie die drei Gewinner der Wahl zum besten kreuzer-Cover des Jahres 2018. Die mit Abstand meisten Stimmen bekam das Titelblatt aus dem September, das die Leipziger Illustratorin Franziska Junge gestaltet hat. Herzlichen Glückwunsch!
Viel Spaß bei der Lektüre!