Begleitet von vielen kritischen Stimmen hat Rumänien in diesem Jahr den Ratsvorsitz in der EU übernommen. Ein Fakt, der für viele die Frage aufwarf, wie weit das Land im Osten Europas eigentlich ist mit der Demokratie. Auch »Portavoce« widmet sich dieser Frage.
Die ersten Bilder sind in der Nacht entstanden. Man sieht Bukarest, eine Stadt, durchzogen von Lichtern, Straßen
und Werbereklamen. Hier, wo die Regierung sitzt, so erfährt man im Verlauf der Dokumentation, waren die Proteste in den letzten Jahren am größten, die Aktivisten am besten vernetzt. Relativ klassisch steigt »Portavoce« mit einer Erzählstimme ein, die davon berichtet, dass dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch des Ostblocks eine Zeit der politischen Inaktivität folgte. Dann jedoch formierten sich wieder Proteste, entwickelte sich eine neue Art der Zivilgesellschaft.
Marcel Schreiter hat in Merseburg studiert. Der Filmemacher betreibt in Leipzig die Produktionsfirma »Kirschbaum-Pictures«. Für »Portavoce« hat er jedoch nicht nur die Produktion übernommen, sondern beteiligte sich, gemeinsam mit zwei Freunden, am gesamten Prozess. Der 37-Jährige war gerade mit einem
Stipendium des rumänischen Kulturinstitutes in Bukarest, als 2015 beim Brand des Clubs Colectiv 64 Menschen ums Leben kamen. »Am Anfang wollten wir eine Doku über den Einfluss des Brandes auf die alternative Szene machen«, erzählt er. »Uns wurde dann jedoch ziemlich schnell klar, dass wir unseren Fokus auf die gesamte Protestkultur der letzten zehn Jahre legen müssen, um erklären zu können, was da passiert ist.« Die Protestkultur in Rumänien ist ein junges Phänomen. Das wird in »Portavoce« deutlich, dessen Material hauptsächlich aus den letzten zehn Jahren stammt. Und der die Entwicklung eines Aktivismus veranschaulicht, der sich immer wieder neu an Ereignissen wie dem Colectiv-Unglück oder der Regierungsverordnung OUG 13 entflammt.
Ruxandra Gubernat ist Journalistin und gehört neben Schreiter und dem Wissenschaftler Henry Rammelt zu dem Team, das »Portavoce« hergestellt hat. Im Rückblick bewertet sie den Dreh als einen großen Lernprozess, in dem »wir uns keinen spezifischen Rollenverteilungen unterworfen haben, auch wenn jeder von uns spezifische Kompetenzen mitgebracht hat«. Die Kombination aus Journalismus, Wissenschaft und Filmsachverstand, die die drei Freunde durch ihre Zusammenarbeit erreichen konnten, ist einer der Trümpfe von »Portavoce«. So sind die Gesprächspartner, die die Ereignisse der letzten Jahre einordnen und dem Film häufig auch eigenes Bild- und Songmaterial beigesteuert haben, durchweg sehr sorgfältig ausgewählt.
»Man muss sagen, dass die Berichterstattung in Rumänien stark von den offiziellen Medien geprägt ist«, sagt Henry Rammelt und fügt hinzu, dass die meisten Demonstranten sich in dieser Berichterstattung nicht wiederfänden. Entsprechend groß war ihr Interesse an einer Plattform, auf der sie ihre Sicht der Dinge darstellen konnten. Dabei wäre diese Plattform gar nicht entstanden, hätten die drei Freunde den Film nicht zustande gebracht – beinahe ohne Geld übrigens. Eine Filmförderung für ihre Dokumentation gab es nicht. Trotz der langwierigen Dreharbeiten sind bereits weitere Projekte in Planung. Dabei soll der Fokus auf Rumänien bleiben, einem Land, das, wie Gubernat sagt, »nicht gerade für Seite-eins-Schlagzeilen sorgt«, in dem es aber, wie »Portavoce« überzeugend zeigt, sehr viel zu entdecken gibt. Neben weiteren Projekten in Rumänien arbeitet Schreiter im Moment an einer Dokumentation über aussterbende Handwerke. »Gerne würde ich in der Zukunft auch einen Dokfilm in Leipzig oder der Umgebung realisieren«, sagt er. Bevor es so weit ist, erfährt jedoch zunächst einmal »Portavoce« in der Kinobar Prager Frühling seine Leipzig-Premiere. Hingehen lohnt sich.