Die CDU hat bei den letzten Stadtratswahlen in Leipzig ihren Rang als größte Fraktion verloren, während die AfD zu den großen Zugewinnlern gehört. Was bedeuten die neuen Verhältnisse für die Situation im Stadtparlament? Denn zumindest personell stehen sich die Leipziger CDU und die AfD recht nahe.
Donnerstag vor Pfingsten. Robert Clemen, Kreisverbandsvorsitzender der CDU Leipzig, hat sich mit dem kreuzer zum Gespräch verabredet, um über die vergangenen Wahlen und den Ausblick für den kommenden Stadtrat zu sprechen. Seit Januar 2018 ist er wieder Mitglied des Sächsischen Landtags. Wir treffen uns in einem Feinkostladen in der Südvorstadt. Der CDU-Chef lässt die Arbeit seiner Stadtratsfraktion der vergangenen fünf Jahre Revue passieren, kommt auf Themen wie Wirtschaftsentwicklung und Regulierung des Verkehrsaufkommens zu sprechen, bei denen sie einige Erfolge vorzuweisen habe: »Leider haben wir es nicht geschafft, aus diesen Erfolgen Kapital zu schlagen.« Dass die Christdemokraten beim Urnengang im Mai einen Verlust von 7,5 Prozent erlitten, hänge aber nicht mit der Stadtratsfraktion zusammen, meint Clemen. »Offenbar ist es so, dass in den vergangen fünf Jahren viele Menschen nach Leipzig gezogen sind, die eher einen linksgrünen Lebensstil schätzen und auch durchaus eine R2G-Mehrheit für sich als adäquat oder positiv sehen«, sagt er.
Neben den Grünen ist die AfD großer Gewinner im Stadtrat. Elf Personen wird ihre Fraktion zukünftig umfassen. Fast dreimal so viele wie zuvor. Schnell richtet sich das Gespräch auf die Frage, ob er sich vorstellen kann, auf kommunaler Ebene mit den Rechtspopulisten zusammenzuarbeiten. Derzeit noch ein Tabuthema,
werden solche Spekulationen beim Blick auf die Umfragewerte zur kommenden sächsischen Landtagswahl vor allem in linken Kreisen immer wieder betrieben.
»Wir werden uns bestimmt nicht dagegen sperren, wenn die AfD an der einen oder anderen Stelle Ideen von uns mitträgt«, Robert Clemen, Kreisverbandsvorsitzender der CDU Leipzig.
»Wir werden uns bestimmt nicht dagegen sperren, wenn die AfD an der einen oder anderen Stelle Ideen von uns mitträgt«, sagt der 52-Jährige. Er könne
aber von ihr keine konkreten Ideen für kommunale Politik erkennen. Und jene, die es bisher gab, seien teilweise noch dirigistischer und populistischer gewesen als das, was von SPD, Grünen und Linken gekommen sei: »Mir fällt es schwer, dort zu sehen, dass die eine gleiche Stadtentwicklung wie wir im Hinterkopf haben.« Bei den Themen Ordnung und Sicherheit gebe es mit der AfD die eine oder andere gemeinsame Position, räumt er ein. »Vom Grundansatz her sind wir aber weiter auseinander, als das viele wahrhaben wollen.« Trotz etlicher AfD-Akteure, die früher einmal bei der CDU gewesen sind? Clemen zählt Falk-Gert Pasemann, Jörg Kühne und Karl-Heinz Obser auf. Als Einzelpersonen seien alle integrierbar gewesen. Wenn sie jetzt allerdings in »massierter Form« miteinander auftreten, würden sie sicherlich andere Vorstellungen haben als die CDU.
Zukünftiger Umgang mit der AfD sei aktuell nicht abzusehen
Am Tag darauf empfängt Stadtrat Michael Weickert den kreuzer in den Räumen der CDU-Kreisgeschäftsstelle in der Mädler-Passage. Für einige Beobachter ist der 29-jährige Lehramtsstudent so etwas wie die konservative Nachwuchshoffnung der Leipziger Christdemokraten. Noch direkter als Clemen spricht er die Gründe für die Wahlniederlage an: »Die Inhaltsleere der Bundes-CDU gepaart mit missglückter Kommunikation ihrerseits hat uns hier das Genick gebrochen.« Knüppel seien ihnen lange vor dem Rezo-Video zwischen die Beine geworfen worden. Er nennt die Debatten um die CO2-Steuer oder Peter Altmaiers City-Maut-Vorschlag. Auch die Diskussion um Artikel 13 spricht er an: »Das war von uns grauenhaft kommuniziert.« Denn natürlich setze sich die CDU auch im Internet für Urheberschutz ein. Aber das, was sie dort gemacht habe, sei lebensfremd gewesen. Und es wurde von Leuten kommuniziert, für die das Internet wirklich Neuland sei. Folglich haben die lokalen Erfolge der Partei, wie die Abschaffung der Straßenausbaubeitragssatzung, die Einrichtung der Polizeibehörde oder das Tarifmoratorium für die Leipziger Verkehrsbetriebe die Leute am Ende einfach nicht interessiert, sagt Weickert.
»Die AfD ist in weiten Teilen eine sehr sozialistische Partei«, Michael Weickert, CDU Leipzig.
Er könne noch gar nicht sagen, wie er zukünftig mit der AfD umgehen werde, da noch nicht abzusehen sei, wie sie im Stadtrat auftreten werde. Bislang sei das relativ unauffällig gewesen. Knapp 20 Anträge habe sie bisher geschrieben, sagt der 29-Jährige. Schwerpunkte seien beispielsweise die Errichtung eines Otto-
von-Bismarck-Platzes oder die Benennung einer Oberschule nach Katharina von Bora gewesen. »Ich will die Themen jetzt nicht kleinmachen, aber der große gestalterische Wurf kam da nicht«, kommentiert er. Auf welchen politischen Gegner werde sich die CDU folglich in den nächsten fünf Jahren fokussieren? Mit Bezug zu den Grünen antwortet Weickert mit einem Beispiel, das er nach eigener Aussage immer wieder gerne bringt: »Wenn sich alle 13 CDU-Stadträte an den nächsten Castor-Transport ketten, gewinnen wir damit keine Wählerstimmen. So, wie wir keine Stimmen damit gewinnen, wenn wir der AfD hinterherrennen.«
Mit dem Unterschied, dass die AfD ein Stiefkind der CDU sei und bestimmte Positionen vertrete, die die Christdemokraten bundespolitisch vor zehn Jahren auch vertreten haben. Er stellt klar: »Heute können wir nichts damit gewinnen, die AfD rechts zu überholen. Das ist in bestimmten Teilen auch gar nicht möglich.« Andererseits dürfe aber auch nicht der Fehler gemacht werden, sie zu dämonisieren und in die Opferrolle zu drängen. Sie zu Märtyrern zu machen, das sei die Rolle, in der sich ihre Mitglieder am wohlsten fühlen. »Für mich ist klar, dass wir sie inhaltlich stellen.« Dazu gehöre, gemäßigten Vertretern der Partei die Verantwortung und den Vorsitz über einzelne Ausschüsse zu übertragen. »Man muss sie dazu zwingen, auch mal zu beweisen, ob sie denn überhaupt Politik können«, ist er überzeugt. Immer nur die Nazikeule zu schwingen, interessiere die Menschen überhaupt nicht. Diese hätten AfD aus Protest gegen die etablierten Parteien gewählt, meint Weickert. Man müsse das ein Stück weit anerkennen. Trotzdem blieben die inhaltlichen Differenzen zwischen beiden Parteien zu groß, denn für ihn ist »die AfD in weiten Teilen eine sehr sozialistische Partei, zum Beispiel wenn es ums Geldausgeben geht«. Da sei sie immer ganz vorne mit dabei. Und natürlich sei sie auch eine nationalistische Partei, was aber mit dem Etikett »konservativ« nichts zu tun habe.
Leipziger AfD will Hauptaugenmerk auf die CDU richten
Gegenprobe bei der AfD: Fraktionsgeschäftsführer Karl-Heinz Obser lädt in die Räumlichkeiten der Stadtratsfraktion ein. Die Vorzimmerdame empfängt mit einem freundlichen Lächeln. An der Wand hinter Obsers Schreibtisch hängen ein Wagner-Gedenkteller und Wahlplakate. »Mut zu Deutschland«, steht auf einem geschrieben. Er freut sich, dass ihn zum ersten Mal ein Journalist des kreuzer vor Ort besucht. Bevor es ums Wesentliche geht, erzählt der 72-Jährige aus seinem Leben. Von 1999 bis 2009 saß er als Vertreter der Deutschen Sozialen Union im Leipziger Stadtrat, war damals mit der CDU-Fraktion assoziiert. Viel habe er währenddessen angeschoben. Unter anderem den Wiederaufbau der Universitätskirche. Die AfD sei auch keine Ein-Themen-Partei. Das lokale Wahlprogramm hätte sonst schließlich nur eine statt 30 Seiten. Im neuen Stadtrat geht es ihm zukünftig vor allem darum, das umzusetzen, was für die Kommune am besten sei, unabhängig von Parteipolitik, aber mit gegenseitigem Respekt füreinander. »Anständig« wolle er mit seiner AfD bleiben.
»Wir werden auf die CDU zugehen mit dem Gedanken, ›Leute, das ist eigentlich eure Programmatik, die ihr noch viel besser vertreten müsstet als wir. Wie siehts aus?‹«, Karl-Heinz Obser, Fraktionsgeschäftsführer AfD Leipzig.
Auf die Frage, wie seine Fraktion ihre Arbeit im Stadtrat demnächst gestalten wird, hat Obser eine klare Antwort: »Wir richten unser Hauptaugenmerk jetzt erst einmal darauf, was die CDU macht.« Diese habe gute Leute, die aus welchen Gründen auch immer in der CDU seien und in bestimmten Situationen Angst hätten, hervorzutreten und bestimmte Dinge auch durchzusetzen. Woher er das weiß? »Die Erfahrung habe ich gemacht, als ich bei denen war«, sagt Obser.
Die politischen Ziele, die die CDU einmal gehabt habe, seien in der Versenkung verschwunden, führt er aus. Die Partei bräuchte seiner Ansicht nach eine Neufindung, weswegen er ankündigt: »Wir werden auf die CDU zugehen mit dem Gedanken, ›Leute, das ist eigentlich eure Programmatik, die ihr noch viel besser vertreten müsstet als wir. Wie siehts aus?‹« Für ihn ist es realistisch, dass die Leipziger AfD Unterstützung aus der Stadt-CDU erhält, wenn verborgene AfD-Sympathisanten ihre Angst überwinden. Sobald dies der Fall sei, »werden sie uns sicherlich bei Anträgen unterstützen, die wir stellen«. Und Obser nennt noch einen weiteren potenziellen Partner, zu dem er gute Kontakte unterhält: die SPD.