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Stadtleben

»Bestenfalls bin ich unsichtbar«

Die Übersetzerin von »Crazy Rich Asians« Lisa Kögeböhn über schlechte Texte und gute Unterhaltung

  »Bestenfalls bin ich unsichtbar« | Die Übersetzerin von »Crazy Rich Asians« Lisa Kögeböhn über schlechte Texte und gute Unterhaltung

Literaturübersetzerinnen arbeiten normalerweise im Hintergrund. Dass sie aber weit mehr tun, als ein Werk für einen anderen Sprachraum lesbar zu machen, erklärt die studierte Übersetzerin Lisa Kögeböhn im Zoom-Meeting im Interview des Monats aus der September-Ausgabe des kreuzer.

kreuzer: Was macht eine Literaturübersetzerin?Lisa Kögeböhn: Sie übersetzt Literatur. Ich sage immer: »Ich übersetze Bücher.« Da hab ich das Gefühl, das ist direkt zugänglich und verständlich. Ich könnte zum Beispiel niemals dolmetschen. Das ist ein völlig eigenständiger Beruf.

kreuzer: Sie werden dann auch nach der Sprache gefragt, aus der Sie übersetzen?Kögeböhn: Ja, das ist immer die direkte Anschlussfrage. Ich übersetze aus dem Englischen und Französischen. Aber aus dem Französischen nur theoretisch. Das Englische dominiert einfach den Markt.kreuzer: Studiert man Übersetzung?Kögeböhn: Manchmal. Ich persönlich habe das Literaturübersetzen in Düsseldorf studiert. Dennoch muss man auch sagen, das Literaturübersetzen ist kein klassischer, studierbarer Beruf. Übersetzer werden das aus einer Art Berufung; es gibt ganz viele Quereinsteiger.kreuzer: Wie schwer war Ihr Einstieg?Kögeböhn: Direkt nach dem Studium bin ich erst mal aus Düsseldorf geflohen. Ich bin nach Leipzig gekommen und hab mich hier – als schöne Begrüßung und nach dem Motto »Hallo, hier bin ich!« – direkt arbeitslos gemeldet. Interessanterweise konnte ich beim Arbeitsamt das Übersetzen gar nicht als Beruf angeben. Die hatten nur Dolmetschen im Angebot.

kreuzer: Sie sind geflohen?Kögeböhn: Ich bin nie wirklich warmgeworden mit Düsseldorf. Nach dem Studium wollten mein Freund und ich weg und haben überlegt, welche große Stadt es werden soll – Berlin, Hamburg oder Köln? Irgendwann hat sich dann als Außenseiter noch Leipzig eingeschlichen. Ich war vorher nur einmal zur Buchmesse hier und mir kam die Stadt einfach total schön vor.kreuzer: Was hat Ihnen denn hier gefallen?Kögeböhn: Leipzig kam mir offener und unfertig vor. Weniger bieder, gesittet und in vorgefertigten Bahnen verlaufend. Dazu waren die Mieten günstig.

kreuzer: Inzwischen hat sich die Stadt verändert …Kögeböhn: Klar, aber ich bin immer noch gerne hier. Ich liebe es, dass ich an den See radeln kann oder in fünf Minuten im Grünen bin, obwohl ich eigentlich sehr zentral wohne. Leipzig ist groß, aber es ist nicht riesig groß und anonym.kreuzer: Wie ging es nach dem Studium hier weiter?Kögeböhn: Generell hab ich nicht erwartet, dass es mit Aufträgen so bald losgeht. Mir war klar, dass in der Branche alles über Beziehungen läuft. Solche Weiterempfehlungsstrukturen muss man sich erst erarbeiten. Der schönste Teil des Studiums waren die Kurzpraktika im Übersetzer-Kollegium in Straelen. Da konnten wir Kontakte zu echten Übersetzerinnen knüpfen, die sich teilweise auch Nachwuchsförderung auf die Fahnen geschrieben haben. So war ich irgendwann in der Empfehlungskette drin und hab dann zwei, drei Monate nach meiner Ankunft in Leipzig meinen ersten Auftrag bekommen. Da hat dann tatsächlich die Initiativbewerbung mit ein bisschen Namedropping gewirkt. Ich wurde angefragt für die Robbie-Williams-Biografie.

kreuzer: Nicht Ihre einzige Musikerbiografie.Kögeböhn: Ich habe noch Depeche Mode, Rod Stewart und Tom Jones übersetzt. Es hat Spaß gemacht, aber ich hatte auch Angst, dass ich zu sehr in die Schublade der Musikbiografien abrutsche. Zudem hab ich mich ein bisschen nach etwas anderem gesehnt als nach der x-ten Story eines Schwerenöters, der seine Berühmtheit ausnutzt, um Frauen zu erobern.

kreuzer: Was macht eine gute Übersetzung aus?Kögeböhn: Im allerbesten Fall mag man das Original, kann sich damit identifizieren und es in seinen eigenen Worten reproduzieren. Dabei kommt es gar nicht nur auf die Fremdsprachenkenntnisse an. Man muss sich in der eigenen Sprache komplett ausdrücken und alle Register ziehen können.kreuzer: Gibt es Unterschiede bei Texten hinsichtlich ihrer Eignung für eine Übersetzung?Kögeböhn: Man kann einen wahnsinnig guten Ausgangstext haben. Andererseits gibt es auch Texte, die im Original schlecht geschrieben sind. Letzteres kommt im Englischen tatsächlich recht häufig vor. Den Arbeitsschritt des Lektorats muss man dann selber mit einbringen und stößt da häufig auf Fehler, Chronologie-Probleme, schiefe Bilder. Manchmal bekommt man direkt vom Verlag auch mitgegeben: »Mach da mal einen lesbaren Text draus.«kreuzer: Das Original wird gar nicht so hoch gehalten?Kögeböhn: Unterhaltungstexte werden sowieso ganz anders übersetzt als hohe Literatur. Darin liegt auch der Unterschied zwischen Studium und Beruf. Die Übersetzung eines Klassikers ist etwas, das im Berufsleben vielleicht einmal passiert. Der größte Anteil ist Unterhaltung. Und da versucht man den deutschen Text so lesbar wie möglich zu gestalten. So dass im besten Falle niemand bemerkt, dass ich am Text mit drangesessen habe. Denn wenn ich selber unsichtbar bin – dann ist es eine gute Übersetzung.

kreuzer: Wenn in einer Kritik steht: »Die Sprache liest sich toll«, verstehen Sie das auch als Kompliment für sich?Kögeböhn: Natürlich würde es mir runtergehen wie Öl, wenn da stehen würde: »In der kongenialen Übersetzung von Lisa Kögeböhn«. Das ist immer so das Goldsternchen, wenn in einer Rezension tatsächlich die Übersetzerin erwähnt wird. Ich bin dazu übergegangen, »flüssige Sprache« beziehungsweise den »leicht-lockeren Stil« auch als Kompliment an mich anzunehmen. Ich habe es ja hingeschrieben.kreuzer: Kennen sich Übersetzer und Autor persönlich?Kögeböhn: Das ist sehr unterschiedlich, also ob man nur in den inneren oder sogar den konkreten Dialog tritt. Denn man kann Autoren ja auch kontaktieren. So kommt es eigentlich bei jedem Buch vor, dass man auf Fragen stößt, die man alleine nicht lösen kann. Beim normalen Lesen liest man oft über Ungenauigkeiten hinweg, aber beim Übersetzen muss man wirklich alles dechiffrieren und es neu in der eigenen Sprache reproduzieren. Oft freuen sich die Autoren sogar sehr, wenn man nachfragt.kreuzer: Hat der Übersetzer auch Anteil an der Übersetzung des Titels?Kögeböhn: In den meisten Fällen wird es irgendein griffiger Titel, den die Marketing-Abteilung anhand einer Leseprobe zusammenstrickt. Da kommen teilweise Sachen raus, die mit dem Originaltitel überhaupt nichts zu tun haben. Bei meinem neuesten Buch war der Titel »The Heatwave«. Auf Deutsch heißt es jetzt: »Das verborgene Zimmer«. Anders war es bei »Die Frau in der Themse« (engl.: »By Gaslight«, d. Red.) von Steven Price. Weil wir so lange mit dem Buch beschäftigt und so tief im Thema drin waren, hat die Lektorin uns nach Titelvorschlägen gefragt. Ich hätte mich zum Beispiel über »Im Zwielicht« gefreut, aber viele Titel sind einfach auch schon vergeben.kreuzer: Haben Sie sich Routinen angeeignet?Kögeböhn: Bei schwierigen Texten beherzige ich tatsächlich den Rat, ungefähr bei Kapitel vier einzusteigen. Dann kann ich erst mal langsam den Ton finden und niemand merkt dem Buch an, dass ich mich in Kapitel eins erst mühsam reinfinden musste. So war es zum Beispiel bei der Übersetzung der Pinguin-Biografie (Tom Michell: »Der Pinguin meines Lebens«, d. Red.). Da war der Erzähler ein alter englischer Lehrer mit einem ganz distanziert-ironischen, witzig-trockenen Stil. Den musste ich für mich erst finden. Dass der Anfang fließt, ist unglaublich wichtig. Denn wenn die ersten zehn Seiten stocken, legt man das Buch weg. Anders ist es bei lockerer Unterhaltungsliteratur. Da fange ich direkt am Anfang an.kreuzer: Welcher Anteil am Buchverkauf geht an den Übersetzer?Kögeböhn: Es gibt die »Gemeinsame Vergütungsregel«, kurz GVR. Die wurde gemeinsam mit einigen Verlagen von unserem Verband (Verband deutschsprachiger Übersetzer/innen literarischer und wissenschaftlicher Werke, d. Red.) aufgestellt. Aber es sind leider noch sehr wenige Verlage, die sich da beteiligen. Die ganzen Konzernverlage haben ihre eigenen Beteiligungsregeln. Vor einigen Jahren gab es auch ein BGH-Urteil, das unsere Sätze genau festlegt. So werden wir ab dem 5.001ten Exemplar mit 0,4 Prozent fürs Taschenbuch und 0,8 Prozent fürs Hardcover beteiligt. Vom Netto-Ladenpreis sind das so 20 Cent pro Buch. Eine typische Kleinauflage hat aber nur 5.000 Exemplare – das heißt, wenn sich das Buch abverkauft hat, fängt unsere Beteiligungsschwelle erst an. Es ist also eher der unwahrscheinliche Fall, dass wir über unser normales Seitenhonorar hinaus verdienen können.kreuzer: Sie sind jetzt zehn Jahre freischaffend tätig. Was hat sich in dieser Zeit geändert?Kögeböhn: Die Tendenz geht ganz klar zur Teamübersetzung. Die Fristen werden immer kürzer, so dass Projekte allein überhaupt nicht mehr bewerkstelligt werden können. Wir übersetzen häufig mindestens zu zweit.kreuzer: Wie kann man sich so eine Zusammenarbeit vorstellen?Kögeböhn: Wenn man ein Buch zu zweit übersetzt, teilen wir selten einfach in der Mitte. Stattdessen wechseln wir uns kapitelweise ab und lektorieren gegenseitig.kreuzer: Wie viele Bücher übersetzen Sie im Jahr?Kögeböhn: Ich glaube, vier Bücher ist ein Durchschnitt, auf den man kommen sollte, um über die Runden zu kommen.

kreuzer: Arbeiten Sie an mehreren Büchern gleichzeitig?Kögeböhn: Ich hatte gerade, nach einer kurzen Durststrecke, ab März drei Projekte gleichzeitig angeboten bekommen. Um nicht eins komplett absagen zu müssen, habe ich mir dann alle drei Projekte geteilt. Also habe ich drei unterschiedliche Projekte mit drei verschiedenen Kolleginnen gleichzeitig bearbeitet, das war ein bisschen verrückt. Da waren dann auch noch die Kinder zu Hause und ich musste mir die Zeit kompliziert einteilen. Im Idealfall sollte man das besser nicht tun. Aber das Problem ist nun mal, dass die Aufträge kommen, wie sie kommen.kreuzer: Wie stellen Sie sich auf Bücher ein?Kögeböhn: Für jedes Buch muss man recherchieren. Das mag ich auch so an meinem Beruf, dass neue Themen auf mich zukommen. Ich bewege mich auf ganz vielen Feldern, die ich sonst von mir aus nie beackert hätte.

kreuzer: Sie haben zwei Teile der »Crazy Rich Asians«-Trilogie von Kevin Kwan übersetzt, wie hat Ihnen die Verfilmung gefallen?Kögeböhn: Ich fand sie unterhaltsam. Aber das Besondere für mich, also der trockene, bissige Unterton des Autors, fehlt und macht den Film flacher und oberflächlicher als das Buch.

kreuzer: Ist die Trilogie also mehr als eine Spielart, die das klassische Soap-Opera-Motiv »reich und schön« mit Exotismus verbindet?Kögeböhn: Natürlich hat die Reihe unter der locker-flockigen Oberfläche noch eine tiefere Ebene, in der viel auf kulturelle Eigenheiten und den ganz eigenen Standesdünkel der Singapurer und Hongkonger Superreichenschicht eingegangen wird. In »Sex & Vanity«, dem Auftakt seiner neuen Trilogie mit seiner halb-chinesisch/halb-amerikanischen Heldin, hat sich Kwan, der ja selbst in Singapur aufgewachsen und dann mit elf in die USA gegangen ist, aber auch ganz konkret mit dem Rassismus gegenüber chinesischen Eingewanderten auf der einen Seite und dem fehlenden Zugehörigkeitsgefühl zu beiden Welten und dem Finden der eigenen Identität zwischen den Kulturen beschäftigt. Natürlich alles gewohnt bissig-ironisch und unterhaltsam verpackt.kreuzer: Was ist der Hieronymustag?Kögeböhn: Das ist der internationale Übersetzertag und findet immer am 30. September statt. An dem Tag gibt es viele Lesungen und auch den »Gläsernen Übersetzer« oder die »Gläserne Übersetzerin«. Das ist ein total cooles Format, weil es veranschaulicht, wie wir arbeiten. Man setzt sich mit einem Computer auf eine Bühne und hinter einem wird per Beamer übertragen, was man am PC macht. So können die Leute live miterleben, wie eine Übersetzung entsteht – wie man den Satz hinschreibt, wieder löscht, dreimal umschreibt, vier Synonyme findet, daneben recherchiert, das Wörterbuch aufschlägt und so weiter. Natürlich ist das Publikum auch angehalten, Fragen zu stellen oder Vorschläge zu unterbreiten. Ich kommentiere dann laut, was ich gerade tue.kreuzer: Lesen Sie privat Bücher in der Originalsprache?Kögeböhn: Das ist tatsächlich die Krux meines Berufes. Man macht die Leidenschaft des Lesens zum Beruf und wenn man den ganzen Tag liest, Texte reproduziert, ist am Abend das Hirn nicht mehr in der Lage, Texte zum reinen Vergnügen zu lesen. Im Urlaub lese ich jedoch sehr gerne. Ich lese gerne Übersetzungen, hatte früher aber manchmal so ein Misstrauen dagegen. Das habe ich dann aktiv abgestellt, weil ich es als unsolidarisch gegenüber meinem Berufsstand empfand. Aber ich lese natürlich ein Original immer mit meinem Übersetzerinnen-Hirn. Das heißt, ich habe beim Lesen immer Ideen, wie ich das jetzt übersetzen würde. Oder wenn ich eine Übersetzung lese, versucht mein Hirn das Original dahinter zu lesen.


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