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Kultur

»Wir stehen mit dem Rücken zur Wand«

Choreografin Irina Pauls über die Arbeit während Corona und ihr neues Stück »Tohuwabohu«

  »Wir stehen mit dem Rücken zur Wand« | Choreografin Irina Pauls über die Arbeit während Corona und ihr neues Stück »Tohuwabohu«

Das Lofft möchte künftig mehr Kinderstücke ins Programm aufnehmen. Den Anfang macht »Tohuwabohu«, das am Samstag seine Leipzig-Premiere feiert. Das Stück der Wiener Gruppe »Das Collectif« richtet sich an Kinder und Familien. Im Kreuzer-Interview erzählt seine Choreografin Irina Pauls von der Uraufführung in Wien und verrät, was das Publikum erwartet.

kreuzer: Frau Pauls, wie geht es Ihnen als Choreografin in der aktuellen Situation?

IRINA PAULS: Ich würde das gerne von zwei Seiten beschreiben. Die eine ist der unglaubliche Entzug von leiblichen Begegnungen. Das wirkt sich aus meiner Sicht auf die ganze Gesellschaft aus. Da verändert sich gerade viel im Miteinander der Menschen, das ist ein Wahnsinnsverlust und bereitet mir unglaubliche Schmerzen. Auf der anderen Seite habe ich mir eine neue Arbeitsaufgabe gesucht und mich bei verschiedenen Förderprogrammen beworben. Was ich daran schätze ist, dass ich zum Beispiel für eine neue Produktion, die ich im September im Festspielhaus Hellerau zeigen werde, eine wirklich intensive Recherche finanziell abgesichert betreiben kann. Das ist etwas, was ich in den letzten Jahren sehr vermisst habe.

kreuzer: Ihr neues Stück »Tohuwabohu« feiert an diesem Wochenende seine Leipzig-Premiere im Livestream. Sehen Sie im virtuellen Raum auch Möglichkeiten oder ist das nur traurig?

PAULS: Nur traurig. Da bin ich ganz bei Ihnen. Wir wollen mit unserem Publikum einen sinnlichen Bezug im Raum erspüren, über Sounds und die Körper, über das leibliche Erleben eröffnen sich Beziehungen – genau das ist da nicht möglich. Wir stehen aber mit dem Rücken zur Wand und möchten gerade jetzt die Verbindung zu den Kindern und Familien nicht verlieren. Deshalb haben wir uns letztendlich zu diesem Stream entschlossen.

kreuzer: Wie würden Sie Ihr Stück beschreiben?

PAULS: Uns und mir ging es darum, den Kindern einen Pfad in das Detail zu eröffnen, damit die große komplexe Welt, die ihnen in ihrem Alltag begegnet, plötzlich durchschaubar wird. Unser Tohuwabohu ist inspiriert von Menschen einer Großstadt, in der ja wirklich unglaublich viel aufeinandertrifft. Du hast die verschiedensten Sounds, Menschen, die sich komplett unterschiedlich bewegen. Unsere Idee war es, aus der Komplexität die am Anfang unseres Stückes steht, nach und nach einzelne Figuren herauszulösen. Wir zeigen den Kindern, was die Besonderheit dieser Figur ist: Wie hört sich ihre Stimme an, singt sie, spricht sie, tanzt sie schnell oder langsam, wie fühlt sie sich? Wenn die Kinder dann an dieser einzelnen Figur und ihren Besonderheiten andocken, etwas entdecken, was sie neugierig macht, können sie sich am Ende beim großen Tohuwabohu plötzlich an einzelnen Details orientieren und einen Pfad durch die Verwirrung finden.

[caption id="attachment_123391" align="aligncenter" width="660"] Feiert am Wochenende Leipzig-Premiere als Stream: Das preisgekrönte Tanzstück »Tohuwabohu«; Foto: Lukas Beck[/caption]

kreuzer: Die Uraufführung von »Tohuwabohu« fand noch vor Publikum in Wien statt. Wie war dessen Reaktion?

PAULS: Das war wirklich ein erstaunlich großer Erfolg. Wir wurden dort für den Stella, den österreichischen Kinder- und Jugendpreis, in der Kategorie herausragende Musik nominiert, das hat uns ganz glücklich gemacht. Für mich als Choreografin ist es wichtig, dass das Stück, das ich entwerfe, von der künstlerischen Intensität und Sensibilität für Erwachsene und Kinder gleichermaßen funktioniert. Und wenn das wie hier passt, wenn Kindergruppen und Familien, aber auch ganz durchmischtes Publikum mit Begeisterung zuschauen und etwas entdecken, dann ist das etwas sehr Schönes.

kreuzer: Macht es für Sie eigentlich einen Unterschied, ob Sie für Kinder oder Erwachsene inszenieren?

PAULS: Also erstmal befasse ich mich sehr genau mit der Altersgruppe. Ich steige in die Wahrnehmungswelt der Kinder in diesem Alter ein, um sie in das Thema was ich erzählen möchte, reinzuholen und ansprechen zu können. Das ist das Wesentliche. Das andere ist, dass ich beim Stück-Rhythmus genau schauen muss. Wie lange gelingt es, die Kinder einer bestimmten Altersgruppe in einer Konzentration zu halten, wann zum Beispiel müssen Anordnungen im Raum oder die Beziehungen der DarstellerInnen zueinander wechseln? Das sind wichtige Parameter. Aber ansonsten für die Art der Fantasie, der Bewegung und des Musizierens mache ich keinen Unterschied zu einem Stück für Erwachsene.

kreuzer: Die Kinder sollen zuhause auch mitmachen können. Vor dem Stück wird es ein Warm-up geben. War das von Anfang an so geplant?

PAULS: Nein. Das haben wir jetzt wirklich nur für diese Zoom-Premiere kreiert. Und auch nur virtuell ausprobiert, weil unsere Tänzerinnen ja von überall her kommen. Die schalten sich da von Köln, Wien, Salzburg, Linz und Hannover zu. Wir haben uns überlegt, wie wir die Kinder gut an das Stück ranholen können. Im Warm-up gibt es den direkten persönlichen Kontakt zu den Menschen, die sich im Stück dann in die Inszenierung und die Figuren »hineinverwandeln«. Wir möchten die Zuschauenden damit auf eine bestimmte Art des Schauens und Hörens vorbereiten, ohne vorab allzu viel zu verraten.


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